Elizabeth C. Bunce

Mord im Gewächshaus


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niedergelassen hatte. »Celastrina argiolus

      »Versuch nicht, das Thema zu wechseln. Moment …« Sie stellte sich aufrecht und auf ihrer Stirn erschien eine Falte. »Ist das der Polizeiwagen?« Die Falte wurde zu einem richtigen Runzeln. »Myrtle?«

      Ich deckte das Teleskop mit dem eigens dafür vorgesehenen Tuch ab. »Warum sehen Sie mich so an? Ich habe nichts getan!« Ich biss mir auf die Lippe. »Nun ja, womöglich habe ich die Polizei gerufen.«

      »Und zu Miss Wodehouse geschickt? Warum in Gottes Namen?« Miss Judson griff nach ihrem Umhang und eilte zur Tür.

      »Gehen wir rüber?« Ich rutschte von der Fensterbank und holte rasch meine eigenen Sachen: Notizbuch, Tasche, meine Lupe, meine Handschuhe und das kleine Set zum Entnehmen von Proben mit der Pinzette, den Nadeln und den winzigen Probengläschen darin.

      »Das halte ich für das Beste. Schnapp dir deinen Mantel. Unterwegs kannst du mir erklären – damit ich es deinem Vater begreiflich machen kann –, was in aller Welt dich dazu veranlasst hat, die Polizei zu der Lady von nebenan zu schicken!« Auf der Schwelle hielt sie inne und warf mir einen misstrauischen Blick zu. »Es ging doch nicht schon wieder um ihre Katze?«

      »Natürlich nicht!« Ich beeilte mich, zu ihr aufzuschließen. Miss Judson in Eile glich einer Naturgewalt. »Also, zumindest nicht direkt. Mit ihr hat nur alles angefangen.«

      Eine Hand auf das polierte Geländer gelegt, drehte sie sich auf der Treppe zu mir herum. »Ich höre.«

      Im Erklären hatte ich ungeheuer viel Übung. »Ich habe sie heute Morgen nicht gesehen«, fing ich an.

      »Miss Wodehouse?«

      »Nein, Peony – nun, Miss Wodehouse ebenso wenig. Und dann ist auch Mr Hamm nicht wie üblich erschienen.« Mr Hamm war der Gärtner von Redgraves, dessen tägliche Routine für gewöhnlich damit begann, dass er um 6 Uhr 15 mit Katze Peony im Schlepptau die Brunnen und Vogelbäder überprüfte. Um spätestens 6 Uhr 40 kümmerte er sich um den südlichen Rasen. Oft wurde er dabei von Miss Wodehouse beaufsichtigt, erntete von der spröden alten Dame allerdings nichts als Geringschätzung und Kritik. Räumen Sie das Laub da weg. Ich will nicht, dass der Rittersporn die Margeriten berührt. Und halten Sie mir diese verwünschte Katze vom Leib!

      Eventuell habe ich sie ein- oder zweimal observiert.

      »Und dann ist mir etwas Merkwürdiges aufgefallen.«

      Miss Judson sah mich mit verschränkten Armen erwartungsvoll an, während ihre Finger auf dem Ellbogen ihres ordentlichen Tweedgewands herumtrommelten. Dieser Teil war etwas kniffelig zu erklären. Ich hatte mit dem Teleskop an diesem Morgen nämlich etwas anvisiert, das streng verboten war, und das war mir durchaus bewusst. Dabei war nur die Katze schuld. Als von Mr Hamm nichts zu sehen war, tat ich, was jede gute Ermittlerin tun würde. Ich hielt nach Hinweisen Ausschau – und fand welche.

      »Der Blumentopf auf Miss Wodehouses Balkon war umgekippt – dieser große, schwere Pflanzkübel – und Peony hat darin gebuddelt. Sie wissen ja, wie sehr Miss Wodehouse es hasst, wenn die Katze etwas durcheinanderbringt, vor allem ihre Blumen, also habe ich versucht, sie zu verscheuchen.«

      »Bitte sag mir, dass dieser Versuch Rauchsignale oder vielleicht Telepathie beinhaltete.«

      »Jetzt werden Sie aber lächerlich. Ich habe meine Schleuder genommen.«

      Miss Judson schloss die Augen. »Diese Geschichte wird besser und besser.«

      »Ich habe die Balkontür getroffen und eine Scheibe ist zerbrochen – nur eine kleine! Ich werde sie von meinem Taschengeld bezahlen – Mr Hamm hat immer welche als Ersatz auf Vorrat. Aber niemand kam heraus

      Sie lehnte sich ans Treppengeländer und wirkte ein klein wenig erleichtert. Und fasziniert. »Das ist merkwürdig. Nicht einmal das Hausmädchen?«

      »Erst nach einer Ewigkeit. Und dann hat sie nur den Kopf zur Tür herausgestreckt, überprüft, ob sie verschlossen ist, und die Vorhänge zugezogen. Sie wirkte nervös.« In meinen Notizen hatte ich den Begriff verstohlen verwendet, doch Miss Judson warf mir hin und wieder vor, zu Übertreibungen zu neigen.

      »Und da hast du dann die Polizei verständigt?«

      Ich scharrte verlegen mit dem Fuß im Teppich. »Nicht direkt. Ich dachte, es könnten alle krank sein – Sie erinnern sich an die Arsenvergiftung von Holyrood im letzten Jahr –, daher ging ich hinüber, um nach dem Rechten zu sehen.«

      »Oh, großer Gott!«

      »Das Hausmädchen hatte damals sechs Menschen ermordet.«

      Miss Judson hockte sich neben mich auf die Stufe. »Myrtle. Das geht nun wirklich zu weit. Du kannst doch nicht ernsthaft glauben, die kleine Trudy – oder sonst jemand auf Redgraves – könnte etwas so …«, sie suchte nach dem richtigen Wort, »… Unglaubliches getan haben.«

      »Nein.« Obwohl Giftmord durch Arsen in letzter Zeit in Mode gekommen war. »Doch irgendetwas stimmte dort drüben nicht. Ich klopfte und klopfte, erhielt aber keine Antwort. Mr Hamm war auch nicht zu Hause.«

      Miss Judson schürzte die Lippen und blickte an meinem Kopf vorbei ins Leere. Ich merkte ihr an, dass sie mögliche Reaktionen abwog. »Und dir kam nicht in den Sinn, es einfach jemandem zu sagen?«, fragte sie schließlich etwas schwach.

      Sie wusste noch genauso gut wie ich, was die letzten Male geschehen war, wenn ich Erwachsenen von meinen Bedenken berichtet hatte, daher machte ich mir nicht einmal die Mühe, ihr zu antworten.

      »Na schön.« Entschlossen stand sie auf. »Gehen wir. Sicher ist dein Vater bald auf den Beinen und es wäre wohl besser, wenn wir rechtzeitig zum Frühstück wieder im Haus sind, damit er mich auf direktem Weg zurück nach Französisch- Guayana schicken kann.«

      Das Redgraves-Anwesen lag direkt nebenan, trotzdem mussten wir unseren Rasen und den kleinen Weg überqueren, um dahinter die Straße entlang bis zum Vordereingang des gewaltigen Hauses zu laufen, wo die Polizeikutsche parkte. Der Wachtmeister am Wagen, den ich nicht kannte, nahm zum Gruß den Helm vom Kopf, während er sein Pferd am Hals tätschelte. Davon abgesehen war es auf Redgraves gespenstisch still.

      »Wo ist die Katze?«, zischte ich, doch Miss Judson brachte mich mit einem Psst zum Schweigen. Während sie sich den schicken kleinen Hut geraderückte, marschierte sie die gewaltige Vordertreppe aus Stein hinauf und läutete an der Haustür, was die Stille des ruhigen Morgens zerriss und im Säulenvorbau eine Gruppe Tauben aufschreckte. Als niemand reagierte, spazierte ich los, um nach Peony oder irgendeinem anderen Hinweis auf das, was letzte Nacht geschehen war, zu suchen. Ein geziegelter Weg, flankiert von nackter Erde, schlängelte sich durch die Blumen. Im Boden führten tiefe Fußabdrücke bis hinter das Haus.

      »Wo willst du hin? Myrtle!«

      Der Pfad endete an einem sorgfältig gepflegten Rasen und mit ihm die Spur, dafür entdeckte ich Matschflecken auf der Backsteinterrasse, welche die Orangerie1 umgab. Das Dach dieses Wintergartens war gleichzeitig Miss Wodehouses Balkon, den ich von den Fenstern des Unterrichtsraums aus sehen konnte. Ich musterte die verschmierten Abdrücke und versuchte, festzustellen, was hier passiert sein mochte.

      »Myrtle! Warte auf mich!« Miss Judson hastete zu mir, wobei sie achtgab, die Matschspuren nicht zu verwischen. Oder sie wollte sich lediglich die Stiefel nicht besudeln. »Oh, gut gemacht. Fußspuren!«

      »Diese gehören Mr Hamm.« Ich zeigte auf die größeren Abdrücke mit der Hufeisenform, die von den Metallabsätzen des Gärtners stammten. Doch das andere Paar …

      »Und die hier sind von Peony!«, sagte sie triumphierend.

      »Die gehören zu einem Eichhörnchen.« Ich sah sie schräg von der Seite an. »Sie sollen mir doch Biologie beibringen.«

      »Ich habe mich hinreißen lassen. Tja, Miss Wodehouse oder Trudy gehören diese anderen Abdrücke jedenfalls nicht. Sie sind zu groß.« Zu Demonstrationszwecken raffte sie ihre Röcke in die Höhe und hielt ihren eigenen Fuß darüber.