hieß: Da suchte ich die allerzartesten Worte hervor, die mir mein bäurische Grobheit immermehr eingeben konnte, welche alle dahin gingen, den Einsiedel zu bewegen, dass er mich bei sich behielte: Ob es ihm nun zwar beschwerlich gefallen, meine verdrießliche Gegenwart zu gedulden, so hat er jedoch beschlossen, mich bei sich zu leiden, mehr, dass er mich in der christlichen Religion unterrichtete, als sich in seinem vorhandenen Alter meiner Dienste zu bedienen, seine größte Sorg war, mein zarte Jugend dürfte eine solche harte Art zu leben in die Länge nit ausharren mögen.
Eine Zeit von ungefähr drei Wochen war mein Probierjahr, in welcher eben S. Gertraud mit den Gärtnern zu Feld lag, also dass ich mich auch in deren Profession gebrauchen ließ, ich hielt mich so wohl, dass der Einsiedel ein sonderliches Gefallen an mir hatte, nicht zwar der Arbeit halber, so ich zuvor zu vollbringen gewohnet war, sondern weil er sah, dass ich ebenso begierig seine Unterweisungen hörete, als geschickt die wachsweiche und zwar noch glatte Tafel meines Herzens solche zu fassen sich erzeigte. Solcher Ursachen halber wurde er auch desto eifriger, mich in allem Guten anzuführen, er machte den Anfang seiner Unterrichtungen vom Fall Luzifers, von dannen kam er in das Paradeis, und als wir mit unsern Eltern daraus verstoßen wurden, passierte er durch das Gesetz Mosis, und lehrete mich vermittelst der zehen Gebot Gottes und ihrer Auslegungen (von denen er sagte, dass sie ein wahre Richtschnur seien, den Willen Gottes zu erkennen, und nach denselben ein heiliges Gott wohlgefälliges Leben anzustellen) die Tugenden von den Lastern zu unterscheiden, das Gute zu tun, und das Böse zu lassen: Endlich kam er auf das Evangelium, und sagte mir von Christi Geburt, Leiden, Sterben und Auferstehung; zuletzt beschloß ers mit dem jüngsten Tag, und stellet' mir Himmel und Höll vor Augen, und solches alles mit gebührenden Umständen, doch nit mit gar zu überflüssiger Weitläufigkeit, sondern wie ihn dünkte, dass ichs am allerbesten fassen und verstehen möchte; wann er mit einer materia fertig war, hub er ein andere an, und wusste sich bisweilen in aller Geduld nach meinen Fragen so artlich zu regulieren und mit mir zu verfahren, dass er mirs auch nicht besser hätte eingießen können; sein Leben und seine Reden waren mir eine immerwährende Predigt, welche mein Verstand, der eben nicht so gar dumm und hölzern war, vermittels göttlicher Gnad nicht ohn Frucht abgehen ließ, allermaßen ich alles dasjenige, was ein Christ wissen soll, nicht allein in gedachten dreien Wochen gefaßt, sondern auch ein solche Lieb zu dessen Unterricht gewonnen, dass ich des Nachts nicht davor schlafen konnte.
Ich habe seithero der Sach vielmal nachgedacht, und befunden, dass Aristoteles lib. 3. de Anima wohl geschlossen, als er die Seele eines Menschen einer leeren ohnbeschriebenen Tafel verglichen, darauf man allerhand notieren könne, und dass solches alles darum von dem höchsten Schöpfer geschehen sei, damit solche glatte Tafel durch fleißige Impression und Übung gezeichnet, und zur Vollkommenheit und Perfection gebracht werde; dahero denn auch sein Commentator Averroes lib. 2. de Anima (da der Philosophus sagt, der Intellectus sei alls potentia, werde aber nichts in actum gebracht, als durch die scientiam, das ist, es sei des Menschen Verstand allerdings fähig, könne aber nichts ohne fleißige Übung hineingebracht werden) diesen klaren Ausschlag gibt: nämlich, es sei diese scientia oder Übung die Perfection der Seelen, welche für sich selbst überall nichts an sich habe; solches bestätigt Cicero lib. 2. Tuscul. quaest., welcher die Seel des Menschen ohne Lehr, Wissenschaft und Übung einem solchen Feld vergleicht, das zwar von Natur fruchtbar sei, aber wenn man es nicht baue und besame gleichwohl keine Frucht bringe.
Solches alles erwies ich mit meinem eigenen Exempel, denn dass ich alles so bald gefaßt, was mir der fromme Einsiedel vorgehalten, ist daher kommen, weil er die geschlichte Tafel meiner Seelen ganz leer, und ohn einzige zuvor hinein gedruckten Bildnisse gefunden, so etwas anders hineinzubringen hätt hindern mögen; gleichwohl aber ist die pure Einfalt gegen andere Menschen zu rechnen noch immerzu bei mir verblieben, dahero der Einsiedel (weil weder er noch ich meinen rechten Namen gewusst) mich nur Simplicium genennet.
Mithin lernete ich auch beten, und als er meinem steifen Vorsatz, bei ihm zu bleiben, ein Genügen zu tun entschlossen, baueten wir für mich eine Hütten gleich der seinigen, von Holz, Reisern und Erden, fast formiert wie die Musketierer im Feld ihre Zelte, oder besser zu sagen, die Bauten an teils Orten ihre Rübenlöcher haben, zwar so nieder, dass ich kaum aufrecht darin sitzen konnte, mein Bett war von dürrem Laub und Gras, und ebenso groß als die Hütte selbst, so dass ich nit weiß, ob ich dergleichen Wohnung oder Höhlen eine bedeckte Lagerstatt oder eine Hütte nennen soll.
Das 10. Kapitel: Wasgestalten er schreiben und lesen im wilden Wald gelernet
Als ich das erstemal den Einsiedel in der Bibel lesen sah, konnte ich mir nicht einbilden, mit wem er doch ein solch heimlich und meinem Bedünken nach sehr ernstlich Gespräch haben müßte; ich sah wohl die Bewegung seiner Lippen, hingegen aber niemand, der mit ihm redet', und ob ich zwar nichts vom Lesen und Schreiben gewusst, so merkte ich doch an seinen Augen, dass ers mit etwas in selbigem Buch zu tun hatte: Ich gab Achtung auf das Buch, und nachdem er solches beigelegt, machte ich mich dahinter, schlugs auf, und bekam im ersten Griff das erste Kapitel des Hiobs, und die davorstehende Figur, so ein feiner Holzschnitt und schön illuminiert war, in die Augen; ich fragte dieselbigen Bilder seltsame Sachen, weil mir aber keine Antwort widerfahren wollte, wurde ich ungeduldig, und sagte eben, als der Einsiedel hinter mich schlich: »Ihr kleinen Hudler, habt ihr denn keine Mäuler mehr? habt ihr nicht allererst mit meinem Vater (denn also musste ich den Einsiedel nennen) lang genug schwätzen können? ich sehe wohl, dass ihr auch dem armen Knan seine Schaf heimtreibt, und das Haus angezündet habt, halt, halt, ich will dies Feuer noch wohl löschen«, damit stund ich auf Wasser zu holen, weil mich die Not vorhanden zu sein bedünkte. »Wohin Simplici?« sagt' der Einsiedel, den ich hinter mir nicht wusste. »Ei Vater«, sagte ich, »da sind auch Krieger, die haben Schaf, und wollens wegtreiben, sie habens dem armen Mann genommen, mit dem du erst geredet hast, so brennet sein Haus auch schon lichterloh, und wenn ich nicht bald lösche, so wirds verbrennen«; mit diesen Worten zeigte ich ihm mit dem Finger, was ich sah: »Bleib nur«, sagte der Einsiedel, »es ist noch keine Gefahr vorhanden.« Ich antwortete, meiner Höflichkeit nach: »Bist du denn blind, wehre du, dass sie die Schaf nicht forttreiben, so will ich Wasser holen.« »Ei«, sagte der Einsiedel, »diese Bilder leben nicht, sie sind nur gemacht, uns vorlängst geschehene Dinge vor Augen zu stellen«; ich antwortet: »Du hast ja erst mit ihnen geredt, warum wollten sie dann nicht leben?«
Der Einsiedel musste wider seinen Willen und Gewohnheit lachen, und sagte: »Liebes Kind, diese Bilder können nicht reden, was aber ihr Tun und Wesen sei, kann ich aus diesen schwarzen Linien sehen, welches man lesen nennet, und wenn ich dergestalt lese, so hältst du dafür, ich rede mit den Bildern, so aber nichts ist.« Ich antwortet: »Wenn ich ein Mensch bin wie du, so müßte ich auch an den schwarzen Zeilen können sehen, was du kannst, wie soll ich mich in dein Gespräch richten? Lieber Vater, berichte mich doch eigentlich, wie ich die Sach verstehen soll?« Darauf sagte er: »Nun wohlan mein Sohn, ich will dich lehren, dass du so wohl als ich mit diesen Bildern wirst reden können, allein wird es Zeit brauchen, in welcher ich Geduld, und du Fleiß anzulegen.« Demnach schrieb er mir ein Alphabet auf birkene Rinden, nach dem Druck formiert, und als ich die Buchstaben kennete, lernete ich buchstabieren, folgends lesen, und endlich besser schreiben, als es der Einsiedel selber konnte, weil ich alles dem Druck nachmalet.
Das 11. Kapitel: Redet von Essenspeis, Hausrat und andern notwendigen Sachen, die man in diesem zeitlichen Leben haben muss
Zwei Jahr ungefähr, nämlich bis der Einsiedel gestorben, und etwas länger als ein halbes Jahr nach dessen Tod, bin ich in diesem Wald verblieben; derohalben siehet mich für gut an, dem kuriosen Leser, der auch oft das Geringste wissen will, unser Tun, Handel und Wandel, und wie wir unser Leben durchgebracht, zu erzählen.
Unsere Speis war allerhand Gartengewächs, Rüben, Kraut, Bohnen, Erbsen und dergleichen, wir verschmäheten auch keine Buchen, wilden Äpfel, Birn, Kirschen, ja die Eicheln machte uns der Hunger oft angenehm; das Brot, oder besser zu sagen, unsere Kuchen backten wir in heißer Aschen aus zerstoßenem welschen Korn, im Winter fingen wir Vögel mit Sprinken und Stricken, im Frühling und Sommer aber bescherte uns Gott Junge aus den Nestern, wir behalfen uns oft mit Schnecken und Fröschen, so