Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen

Der Abenteuerliche Simplicissimus Teutsch


Скачать книгу

alles unser grob Gemüs hinunter convoyieren musste; wir hatten auf eine Zeit ein junges wildes Schweinlein aufgefangen, welches wir in einen Pferch versperret, mit Eicheln und Buchen auferzogen, gemästet und endlich verzehret, weil mein Einsiedel wusste, dass solches keine Sünde sein könnte, wenn man genießet, was Gott dem ganzen menschlichen Geschlecht zu solchem End erschaffen; Salz brauchten wir wenig, und von Gewürz gar nichts, denn wir durften die Lust zum Trunk nicht erwecken, weil wir keinen Keller hatten, die Notdurft an Salz gab uns ein Pfarrer, der ohngefähr drei Meil Wegs von uns wohnete, von welchem ich noch viel zu sagen habe.

      Unsern Hausrat betreffend, dessen war genug vorhanden, denn wir hatten eine Schaufel, eine Haue, eine Axt, ein Beil, und einen eisernen Hafen zum Kochen, welches zwar nicht unser eigen, sondern von obgemeldtem Pfarrer entlehnet war, jeder hatte ein abgenutztes stumpfes Messer, selbige waren unser Eigentum, und sonsten nichts; ferner bedurften wir auch weder Schüsseln, Teller, Löffel, Gabeln, Kessel, Pfannen, Rost, Bratspieß, Salzbüchs noch ander Tisch- und Küchengeschirr, denn unser Hafen war zugleich unser Schüssel, und unsere Hände waren auch unsere Gabeln und Löffel, wollten wir aber trinken, so geschah es durch ein Rohr aus dem Brunnen, oder wir hängten das Maul hinein, wie Gideons Kriegsleute. Von allerhand Gewand, Wollen, Seiden, Baumwollen und Leinen, beides zu Betten, Tischen und Tapezereien hatten wir nichts, als was wir auf dem Leib trugen, weil wir für uns genug zu haben schätzten, wenn wir uns vor Regen und Frost beschützen konnten. Sonsten hielten wir in unserer Haushaltung keine gewisse Regel oder Ordnung, außerhalb an Sonn- und Feiertagen, an welchen wir schon um Mitternacht hinzugehen anfingen, damit wir noch frühe genug, ohne männiglichs Vermerken, in obgemeldten Pfarrherrns Kirche, die etwas vom Dorf abgelegen war, kommen, und dem Gottesdienst abwarten können, in derselben verfügten wir uns auf die zerbrochne Orgel, an welchem Ort wir sowohl auf den Altar als zu der Kanzel sehen konnten. Als ich das erstemal den Pfarrherrn auf dieselbige steigen sah, fragete ich meinen Einsiedel, was er doch in demselben großen Zuber machen wollte? Nach verrichtetem Gottesdienst aber gingen wir ebenso verstohlen wieder heim, als wir hinkommen waren, und nachdem wir mit müdem Leib und Füßen zu unserer Wohnung kamen, aßen wir mit guten Zähnen übel, alsdann brachte der Einsiedel die übrige Zeit zu mit Beten, und mich in gottseligen Dingen zu unterrichten.

      An den Werktagen taten wir, was am nötigsten zu tun war, je nachdem sichs fügte, und solches die Zeit des Jahrs und unser Gelegenheit erforderte; einmal arbeiteten wir im Garten, das andermal suchten wir den feisten Grund an schattigen Orten, und aus hohlen Bäumen zusammen, unsern Garten, anstatt des Dungs, damit zu bessern, bald flochten wir Körbe oder Fischreusen, oder machten Brennholz, fischten, oder taten ja so etwas wider den Müßiggang. Und unter allen diesen Geschäften ließ der Einsiedel nicht ab, mich in allem Guten getreulichst zu unterweisen; unterdessen lernete ich in solchem harten Leben Hunger, Durst, Hitz, Kälte und große Arbeit überstehen, und zuvörderst auch Gott erkennen, und wie man ihm rechtschaffen dienen sollte, welches das Vornehmste war. Zwar wollte mich mein getreuer Einsiedel ein mehrers nicht wissen lassen, denn er hielt dafür, es sei einem Christen genug, zu seinem Ziel und Zweck zu gelangen, wenn er nur fleißig bete und arbeite, dahero es kommen, ob ich zwar in geistlichen Sachen ziemlich berichtet wurde, mein Christentum wohl verstund, und die teutsche Sprach so schön redete, als wenn sie die Orthographia selbst ausspräche, dass ich dennoch der Einfältigste verblieb; gestalten ich, wie ich den Wald verlassen, ein solcher elender Tropf in der Welt war, dass man keinen Hund mit mir aus dem Ofen hätte locken können.

      Zwei Jahr ungefähr hatte ich zugebracht, und das harte eremitisch Leben kaum gewohnet, als mein bester Freund auf Erden seine Haue nahm, mir aber die Schaufel gab, und mich seiner täglichen Gewohnheit nach an der Hand in unsern Garten führte, da wir unser Gebet zu verrichten pflegten: »Nun Simplici, liebes Kind«, sagte er, »dieweil gottlob die Zeit vorhanden, dass ich aus dieser Welt scheiden, die Schuld der Natur bezahlen, und dich in dieser Welt hinter mir verlassen soll, zumalen deines Lebens künftige Begegnisse beiläufig sehe, und wohl weiß, dass du in dieser Einöde nicht lang verharren wirst, so hab ich dich auf dem angetretenen Weg der Tugend stärken, und dir einige Lehren zum Unterricht geben wollen, vermittelst deren du, als nach einer ohnfehlbaren Richtschnur, zur ewigen Seligkeit zu gelangen dein Leben anstellen sollest, damit du mit allen heiligen Auserwählten das Angesicht Gottes in jenem Leben ewiglich anzuschauen gewürdiget werdest.«

      Diese Wort setzten meine Augen ins Wasser, wie hiebevor des Feinds Erfindung die Stadt Villingen, einmal, sie waren mir so unerträglich, dass ich sie nicht ertragen konnte, doch sagte ich: »Herzliebster Vater, willst du mich denn allein in diesem wilden Wald verlassen? Soll denn...« mehrers vermochte ich nicht herauszubringen, denn meines Herzens Qual ward aus überflüssiger Lieb, die ich zu meinem getreuen Vater trug, also heftig, dass ich gleichsam wie tot zu seinen Füßen niedersank. Er hingegen richtet' mich wieder auf, tröstet' mich, so gut es Zeit und Gelegenheit zuließ, und verwies mir gleichsam fragend meinen Fehler, ob ich nämlich der Ordnung des Allerhöchsten widerstreben wollte? »Weißt du nicht«, sagt' er weiters, »dass solches weder Himmel noch Höll zu tun vermögen? nicht also mein Sohn! was unterstehest du dich, meinem schwachen Leib (welcher für sich selbst der Ruhe begierig ist) aufzubürden? vermeinest du mich zu nötigen, länger in diesem Jammertal zu leben? Ach nein, mein Sohn, laß mich fahren, sintemal du mich ohne das weder mit Heulen noch Weinen, und noch viel weniger mit meinem Willen, länger in diesem Elend zu verharren, wirst zwingen können, indem ich durch Gottes ausdrücklichen Willen daraus gefordert werde; folge anstatt deines unnützen Geschreis meinen letzten Worten, welche sind, dass du dich je länger je mehr selbst erkennen sollest, und wenn du gleich so alt als Methusalem würdest, so laß solche Übung nicht aus dem Herzen, denn dass die meisten Menschen verdammt werden, ist die Ursach, dass sie nicht gewusst haben, was sie gewesen, und was sie werden können oder werden müssen.« Weiters riet er mir getreulich, ich sollte mich jederzeit vor böser Gesellschaft hüten, denn derselben Schädlichkeit wäre unaussprechlich. Er gab mir dessen ein Exempel und sagte: »Wenn du einen Tropfen Malvasier in ein Geschirr voll Essig schüttest, so wird er alsobald zu Essig; wirst du aber soviel Essig in Malvasier gießen, so wird er auch unter dem Malvasier hingehen. Liebster Sohn«, sagte er, »vor allen Dingen bleibe standhaftig, denn wer verharret bis ans End, der wird selig; geschiehet aber wider mein Verhoffen, dass du aus menschlicher Schwachheit fällst, so stehe durch ein rechtschaffene Buß geschwind wieder auf.«

      Dieser sorgfältige fromme Mann hielt mir allein dies wenige vor, nicht zwar, als hätte er nichts mehrers gewusst, sondern darum, dieweil ich ihn erstlich meiner Jugend wegen nicht fähig genug zu sein bedünkte, ein mehrers in solchem Zustand zu fassen, und dann weil wenig Wort besser, als ein langes Geplauder, im Gedächtnis zu behalten sind, und wenn sie anders Saft und Nachdruck haben, durch das Nachdenken größern Nutzen schaffen als ein langer Sermon, den man ausdrücklich verstanden hat und bald wieder zu vergessen pflegt.

      Diese drei Stück, sich selbst erkennen, böse Gesellschaft meiden und beständig verbleiben, hat dieser fromme Mann ohne Zweifel deswegen für gut und nötig geachtet, weil er solches selbsten praktiziert, und dass es ihm dabei nicht mißlungen ist; denn nachdem er sich selbst erkannt, hat er nicht allein böse Gesellschaften, sondern auch die ganze Welt geflohen, ist auch in solchem Vorsatz bis an das Ende verharret, an welchem ohn Zweifel die Seligkeit hängt, welchergestalt aber, folgt hernach.

      Nachdem er mir nun obige Stück vorgehalten, hat er mit seiner Reuthaue angefangen sein eigenes Grab zu machen, ich half so gut ich konnte, wie er mir befahl, und bildete mir doch dasjenige nicht ein, worauf es angesehen war, indessen sagte er: »Mein lieber und wahrer einziger Sohn (denn ich habe sonsten kein Kreatur als dich zu Ehren unsers Schöpfers erzeuget) wenn meine Seele an ihren Ort gangen ist, so leiste meinem Leib deine Schuldigkeit und die letzte Ehre, scharre mich mit derjenigen Erden wieder zu, die wir anjetzo aus dieser Gruben gegraben haben.« Darauf nahm er mich in seine Arm und drückte mich küssend viel härter an seine Brust, als einem Mann, wie er zu sein schien, hätte möglich sein können: »Liebes Kind«, sagte er, »ich befehle dich in Gottes Schutz, und sterbe um so viel desto fröhlicher, weil ich hoffe, er werde dich darin aufnehmen.« Ich hingegen konnte nichts anders, als klagen und heulen, ich hängete