nicht vergreifen würde, sintemal er mich besser kenne, als sonst kein Mensch.
Das 21. Kapitel: Das betrügliche Glück gibt Simplicio einen freundlichen Blick
Ihm wurde erlaubt, zum Gubernator zu gehen, und über ein halbe Stund hernach wurd ich auch geholt, und in die Gesindstube gesetzt, allwo sich schon zween Schneider, ein Schuster mit Schuhen, ein Kaufmann mit Hüten und Strümpfen, und ein anderer mit allerhand Gewand eingestellt, damit ich ehest gekleidet würde; da zog man nur den Rock ab, samt der Ketten und dem härenen Hemd, auf dass die Schneider das Maß recht nehmen könnten; folgends erschien ein Feldscherer, mit scharfer Laugen und wohlriechender Seifen, und eben als dieser seine Kunst an mir üben wollte, kam ein anderer Befehl, welcher mich greulich erschreckte, weil er lautet', ich sollte mein Habit wieder anziehen; solches war nicht so bös gemeint, wie ich wohl besorgte, denn es kam gleich ein Maler mit seinem Werkzeug daher, nämlich mit Minien und Zinnober zu meinen Auglidern, mit Lack, Endig und Lasur zu meinen korallenroten Lippen, mit Auripigmentum, Rausch-schütt und Bleigelb zu meinen weißen Zähnen, die ich vor Hunger bleckte, mit Kienruß, Kohlschwärz und Umbra zu meinen gelben Haaren, mit Bleiweiß zu meinen gräßlichen Augen, und mit sonst vielerlei Farben zu meinem wetterfarbigen Rock, auch hatte er eine ganze Hand voll Pinsel. Dieser fing an mich zu beschauen, abzureißen, zu untermalen, den Kopf über eine Seite zu hängen, um seine Arbeit gegen meine Gestalt genau zu betrachten; bald ändert' er die Augen, bald die Haar, geschwind die Naslöcher, und in Summa alles, was er im Anfang nicht recht gemacht, bis er endlich ein natürliches Muster entworfen hatte, wie Simplicius eins war: Alsdann durfte allererst der Feldscherer auch über mich herwischen, derselbe zwagte mir den Kopf und richtet' wohl anderthalbe Stund an meinen Haaren, folgends schnitt er sie ab auf die damalige Mode, denn ich hatte Haar übrig. Nachgehends setzt' er mich in ein Badstüblein, und säubert' meinen mageren ausgehungerten Leib von mehr als drei- oder vierjähriger Unlust: Kaum war er fertig, da bracht man mir ein weißes Hemd, Schuhe und Strümpf, samt einem Überschlag oder Kragen, auch Hut und Feder, so waren die Hosen auch schön ausgemacht, und überall mit Galaunen verbrämt, allein manglets noch am Wams, daran die Schneider zwar auf die Eil arbeiteten; der Koch stellet' sich mit einem kräftigen Süpplein ein, und die Kellerin mit einem Trank: Da saß mein Herr Simplicius wie ein junger Graf, zum besten akkommodiert. Ich zehrte tapfer zu, ohnangesehen ich nicht wusste, was man mit mir machen wollte, denn ich wusste noch von keinem Henkermahl nichts, dahero tat mir die Erkostung dieses herrlichen Anfangs so trefflich kirr und sanft, dass ichs keinem Menschen genugsam sagen, rühmen und aussprechen kann; ja ich glaube schwerlich, dass ich mein Lebtag einzigesmal eine größere Wollust empfunden, als eben damals. Als nun das Wams fertig war, zog ichs auch an, und stellte in diesem neuen Kleid ein solch ungeschickte Postur vor Augen, dass es sah wie ein Trophaeum, oder als wenn man ein Zaunstecken geziert hätte, weil mir die Schneider die Kleider mit Fleiß zu weit machen mussten, um der Hoffnung willen die man hatte, ich würde in kurzer Zeit zulegen, welches auch bei so gutem Futter augenscheinlich geschah. Mein Waldkleid, samt der Ketten und allem Zugehör, wurde hingegen in die Kunstkammer zu andern raren Sachen und Antiquitäten getan, und mein Bildnis in Lebensgröß danebengestellt.
Nach dem Nachtessen wurde mein Herr in ein Bett gelegt, dergleichen mir niemals weder bei meinem Knan noch Einsiedel zuteil worden; aber mein Bauch kurret' und murret' die ganze Nacht hindurch, dass ich nicht schlafen konnte, vielleicht keiner andern Ursach halber, als weil er entweder noch nicht wusste was gut war, oder weil er sich über die anmutigen neuen Speisen, die ihm zuteil worden, verwunderte; ich blieb aber ein Weg als den andern liegen, bis die liebe Sonn wieder leuchtet' (denn es war kalt) und betrachtet, was für seltsame Anständ ich nun etliche Tag gehabt, und wie mir der liebe Gott so treulich durchgeholfen, und mich an ein so guten Ort geführet hätte.
Das 22. Kapitel: Wer der Einsiedel gewesen, dessen Simplicius genossen
Denselben Morgen befahl mir des Gouverneurs Hofmeister, ich sollte zu obgemeldtem Pfarrern gehen, und vernehmen, was sein Herr meinetwegen mit ihm geredt hätte: Er gab mir einen Leibschützen mit, der mich zu ihm brachte, der Pfarrer aber führet' mich in sein Museum, setzt' sich, hieß mich auch sitzen, und sagte: »Lieber Simplici, der Einsiedel, bei dem du dich im Wald aufgehalten, ist nicht allein des hiesigen Gouverneurs Schwager, sondern auch im Krieg sein Beförderer und wertester Freund gewesen; wie dem Gubernator mir zu erzählen beliebt', so ist demselben von Jugend auf weder an Tapferkeit eines heroischen Soldaten, noch an Gottseligkeit und Andacht, die sonst einem Religioso zuständig, niemal nichts abgangen, welche beiden Tugenden man zwar selten beieinander zu finden pflegt. Sein geistlicher Sinn und widerwärtige Begegnisse hemmeten endlich den Lauf seiner weltlichen Glückseligkeit, so dass er seinen Adel und ansehnliche Güter in Schotten, da er gebürtig, verschmähet' und hintan setzet', weil ihm alle Welthändel abgeschmack, eitel und verwerflich vorkamen: Er verhoffte, mit einem Wort, seine gegenwärtige Hoheit um ein künftige bessere Glori zu verwechseln, weil sein hoher Geist einen Ekel an aller zeitlichen Pracht hatte, und sein Dichten und Trachten war nur nach einem solchen erbärmlichen Leben gerichtet, darin du ihn im Wald angetroffen, und bis in seinen Tod Gesellschaft geleistet hast: Meines Erachtens ist er durch Lesung vieler papistischen Bücher von dem Leben der alten Eremiten hierzu verleitet worden.
Ich will dir aber auch nicht verhalten, wie er in den Spessart und seinem Wunsch nach zu solchem armseligen Einsiedlerleben kommen sei, damit du inskünftig auch andern Leuten etwas davon zu erzählen weißt: Die zweite Nacht hernach, als die blutige Schlacht vor Höchst verloren worden, kam er einzig und allein vor meinen Pfarrhof, als ich eben mit meinem Weib und Kindern gegen den Morgen entschlafen war, weil wir wegen des Lärmens im Land, den beides die Flüchtigen und Nachjagenden in dergleichen Fällen zu erregen pflegen, die vorige ganze und auch selbige halbe Nacht durch und durch gewacht hatten: Er klopfte erstlich sittig an, und folgends ungestüm genug, bis er mich und mein schlaftrunken Gesind erweckte, und nachdem ich auf sein Anhalten und wenig Wortwechseln, welches beiderseits gar bescheiden fiel, die Tür geöffnet, sah ich den Kavalier von seinem mutigen Pferd steigen, sein kostbarlich Kleid war ebensosehr mit seiner Feinde Blut besprengt, als mit Gold und Silber verbrämt; und weil er seinen bloßen Degen noch in der Faust hielt, so kam mich Furcht und Schrecken an, nachdem er ihn aber einsteckte, und nichts als lauter Höflichkeit vorbrachte, hatte ich Ursach mich zu verwundern, dass ein so braver Herr einen schlechten Dorfpfarrer so freundlich um Herberg anredet': Ich sprach ihn wegen seiner schönen Person und seines herrlichen Ansehens halber für den Mansfelder selbst an. Er aber sagte, er sei demselben für diesmal nur in der Unglückseligkeit nicht allein zu vergleichen, sondern auch vorzuziehen; drei Ding beklagte er, nämlich sein verlorne hochschwangere Gemahlin, die verlorne Schlacht, und dass er nicht gleich andern redlichen Soldaten in derselben für das Evangelium sein Leben zu lassen das Glück gehabt hätte. Ich wollte ihm trösten, sah aber bald, dass seine Großmütigkeit keines Trostes bedurfte, demnach teilte ich mit, was das Haus vermochte, und ließ ihm ein Soldatenbett von frischem Stroh machen, weil er in kein anders liegen wollte, wiewohl er der Ruhe sehr bedürftig war. Das erste, das er den folgenden Morgen tat, war, dass er mir sein Pferd schenkte, und sein Geld (so er an Gold in keiner kleinen Zahl bei sich hatte) samt etlich köstlichen Ringen unter meine Frau, Kinder und Gesind austeilete. Ich wusste nicht, wie ich mit ihm dran war, weil die Soldaten viel eher zu nehmen als zu geben pflegen; trug derowegen Bedenkens, so große Verehrungen anzunehmen, und wandte vor, dass ich solches um ihn nicht meritiert, noch hinwiederum zu verdienen wisse; zudem sagte ich, wenn man solchen Reichtum, und sonderlich das köstliche Pferd, welches sich nicht verbergen ließe, bei mir und den Meinigen sehe, so würde männiglich schließen, ich hätte ihn berauben oder gar ermorden helfen. Er aber sagte, ich sollte diesfalls ohne Sorg leben, er wollte mich vor solcher Gefahr mit seiner eigenen Handschrift versichern, ja er begehre sogar sein Hemd, geschweige seine Kleider aus dem Pfarrhof nicht zu tragen, und mit dem öffnet' er mir seinen Vorsatz, ein Einsiedel zu werden: Ich wehrete mit Händen und Füßen was ich konnte, weil mich bedünkte, dass solch Vorhaben zumal nach dem Papsttum schmeckte, mit Erinnerung, dass er dem Evangelio mehr mit seinem Degen würde dienen können; aber vergeblich, denn er machte so lang und viel mit mir, bis ich alles einging, und ihn mit denjenigen Büchern, Bildern und Hausrat montierte, die du bei ihm gefunden, wiewohl er nur der wollenen Decke, darunter er dieselbige Nacht auf dem Stroh geschlafen, für all dasjenige begehrte,