Samojeden oder Grönländer dargeben, dass er manchen Narren angetroffen, der ein Kreuzer an mir versehen hätte. Ob nun zwar ein jeder Verständige aus meinem magern und ausgehungerten Anblick und hinlässiger Aufziehung ohnschwer schließen können, dass ich aus keiner Garküchen, oder aus dem Frauenzimmer, weniger von irgendeines großen Herrn Hofhaltung entlaufen, so wurde ich jedoch unter der Wacht streng examiniert, und gleichwie sich die Soldaten an mir vergafften, also betrachtet ich hingegen ihres Offiziers tollen Aufzug, dem ich Red und Antwort geben musste. Ich wusste nicht, ob er sie oder er wäre, denn er trug Haar und Bart auf französisch, zu beiden Seiten hatte er lange Zöpf herunterhangen wie Pferdsschwänz, und sein Bart war so elend zugerichtet und verstümpelt, dass zwischen Maul und Nasen nur noch etlich wenig Haar so kurz davonkommen, dass man sie kaum sehen konnte: Nicht weniger setzten mich seine weiten Hosen seines Geschlechts halber in nicht geringen Zweifel, als welche mir vielmehr einen Weiberrock, als ein Paar Mannshosen vorstelleten. Ich gedachte bei mir selbst, ist dies ein Mann? so sollte er auch einen rechtschaffenen Bart haben, weil der Geck nicht mehr so jung ist, wie er sich stellet; ists aber ein Weib, warum hat die alte Hur dann so viel Stupfeln ums Maul? Gewißlich ists ein Weib, gedacht ich, denn ein ehrlicher Mann wird seinen Bart wohl nimmermehr so jämmerlich verketzern lassen; maßen die Böcke aus großer Schamhaftigkeit keinen Tritt unter fremde Herden gehen, wenn man ihnen die Bärt stutzet. Und demnach ich also im Zweifel stund, und nicht wusste, was die jetzige Mode war, hielt ich ihn endlich für Mann und Weib zugleich.
Dieses männische Weib, oder dieser weibische Mann, wie er mir vorkam, ließ mich überall besuchen, fand aber nichts bei mir, als ein Büchlein von Birkenrinden, darin ich meine täglichen Gebet geschrieben, und auch dasjenige Zettelein liegen hatte, das mir mein frommer Einsiedel, wie in vorigem Kapitel gemeldet worden, zum Valete hinterlassen, solches nahm er mir; weil ichs aber ungern verlieren wollte, fiel ich vor ihm nieder, faßte ihn um beide Knie, und sagte: »Ach mein lieber Hermaphrodit, laßt mir doch mein Gebetbüchlein!« »Du Narr«, antwortet' er, »wer Teufel hat dir gesagt, dass ich Hermann heiße?« Befahl darauf zweien Soldaten, mich zum Gubernator zu führen, welchem er besagtes Buch mitgab, weil der Phantast ohnedas, wie ich gleich merkte, selbst weder lesen noch schreiben konnte.
Also führete man mich in die Stadt, und jedermann lief zu, als wenn ein Meerwunder auf die Schau geführt würde; und gleichwie mich jedweder sehen wollte, also machte auch jeder etwas Besonders aus mir, etliche hielten mich für einen Spionen, andere für ein Unsinnigen, andere für ein wilden Menschen, und aber andere für ein Geist, Gespenst oder sonst für ein Wunder, welches etwas Besonders bedeuten würde: Auch waren etliche, die hielten mich für ein Narren, welche wohl am nächsten zum Zweck geschossen haben möchten, wenn ich den lieben Gott nicht gekennet hätte.
Das 20. Kapitel: Was gestalten er, um von dem Gefängnis und der Folter errettet worden
Als ich vor den Gubernator gebracht wurde, fragte er mich, wo ich herkäme? Ich aber antwortet, ich wüßte es nicht. Er fragt' weiter: »Wo willst du denn hin?« Ich antwortet abermal: »Ich weiß nicht.« »Was Teufel weißt du denn«, fragte er ferner, »was ist denn dein Hantierung?« Ich antwortet noch wie vor, ich wüßte es nicht. Er fragte: »Wo bist du zu Haus?« und als ich wiederum antwortet, ich wüßte es nicht, verändert' er sich im Gesicht, nicht weiß ich, obs aus Zorn oder Verwunderung geschah? Dieweil aber jedermann das Böse zu argwöhnen pflegt, zumalen der Feind in der Nähe war, als welcher allererst, wie gemeldt, die vorige Nacht Gelnhausen eingenommen und ein Regiment Dragoner darin zuschanden gemacht hatte, fiel er denen bei, die mich für einen Verräter oder Kundschafter hielten, befahl darauf, man sollte mich besuchen; als er aber von den Soldaten von der Wacht, so mich zu ihm geführet hatten, vernahm, dass solches schon beschehen, und anders nichts bei mir gefunden worden wär als gegenwärtiges Büchlein, welches sie ihm zugleich überreichten, las er ein paar Zeilen danach, und fragte mich, wer mir das Büchlein geben hätte? Ich antwortet, es wäre von Anfang mein eigen gewesen, denn ich hätte es selbst gemacht und überschrieben. Er fragte: »Warum eben auf birkenen Rinden?« Ich antwortet: »Weil sich die Rinden von andern Bäumen nicht dazu schicken.« »Du Flegel«, sagte er, »ich frage, warum du nicht auf Papier geschrieben hast?« »Ei«, antwortet ich, »wir haben keins mehr im Wald gehabt.« Der Gubernator fragte: »Wo? in welchem Wald?« Ich antwortet wieder auf meinen alten Schrot, ich wüßte es nicht.
Da wandte sich der Gubernator zu etlichen von seinen Offiziern, die ihm eben aufwarteten, und sagte: »Entweder ist dieser ein Erzschelm, oder gar ein Narr! zwar kann er kein Narr sein, weil er so schreibt«; und indem als er so redet', blättert' er in meinem Büchlein so stark herum, ihnen mein schöne Handschrift zu weisen, dass des Einsiedlers Brieflein herausfallen musste, solches ließ er aufheben, ich aber entfärbte mich darüber, weil ich solches für meinen höchsten Schatz und Heiligtum hielt; welches der Gubernator wohl in acht nahm, und daher noch ein größern Argwohn der Verräterei schöpfte, vornehmlich als er das Brieflein aufgemacht und gelesen hatte, denn er sagte: »Ich kenne einmal diese Hand, und weiß, dass sie von einem mir wohlbekannten Kriegsoffizier geschrieben worden ist, ich kann mich aber nicht erinnern, von welchem?« so kam ihm auch der Inhalt selbst gar seltsam und ohnverständlich vor, denn er sagte: »Dies ist ohne Zweifel eine abgeteilte Sprach, die sonst niemand verstehet, als derjenige mit dem sie abgeredt worden.« Mich aber fragte er, wie ich hieße? und als ich antwortet: »Simplicius«, sagte er: »Ja ja, du bist eben des rechten Krauts! fort, fort, dass man ihn alsobald an Hand und Fuß in Eisen schließe.« Also wanderten beide obgemeldten Soldaten mit mir nach meiner bestimmten neuen Herberg, nämlich dem Stockhaus zu, und überantworteten mich dem Gewaltiger, welcher mich seinem Befehl gemäß, mit eisernen Banden und Ketten an Händen und Füßen, noch ein mehrers zierte, gleichsam als hätte ich nicht genug an denen zu tragen gehabt, die ich bereits um den Leib herum gebunden hatte.
Dieser Anfang mich zu bewillkommen, war der Welt noch nicht genug, sondern es kamen Henker und Steckenknecht, mit grausamen Folterungs-Instrumenten, welche mir, ohnangesehen ich mich meiner Unschuld zu getrösten hatte, meinen elenden Zustand allererst grausam machten: »Ach Gott!« sagte ich zu mir selber, »wie geschieht mir so recht, Simplicius ist darum aus dem Dienst Gottes in die Welt gelaufen, damit ein solche Mißgeburt des Christentums den billigen Lohn empfange, den ich mit meiner Leichtfertigkeit verdienet habe. O du unglückseliger Simplici! wohin bringt dich deine Undankbarkeit? Siehe, Gott hatte dich kaum zu seiner Erkenntnis und in seine Dienst gebracht, so läufst du hingegen aus seinen Diensten, und kehrest ihm den Rücken! Hättest du nicht mehr Eicheln und Bohnen essen können wie zuvor, deinem Schöpfer ohnverhindert zu dienen? Hast du nicht gewusst, dass dein getreuer Einsiedel und Lehrmeister die Welt geflohen, und sich die Wildnis auserwählt? O blindes Bloch, du hast dieselbe verlassen, in Hoffnung, deinen schändlichen Begierden (die Welt zu sehen) genug zu tun. Aber nun schaue, indem du vermeinest, deine Augen zu weiden, musst du in diesem gefährlichen Irrgarten untergehen und verderben. Hast du unweiser Tropf dir nicht zuvor können einbilden, dass dein seliger Vorgänger der Welt Freude um sein hartes Leben, das er in der Einöde geführt, nicht vertauscht haben würde, wenn er in der Welt den wahren Frieden, eine rechte Ruhe und die ewige Seligkeit zu erlangen getraut hätte? Du armer Simplici, jetzt fahr hin, und empfange den Lohn deiner gehabten eitelen Gedanken und vermessenen Torheit. Du hast dich keines Unrechts zu beklagen, auch keiner Unschuld zu getrösten, weil du selber deiner Marter und darauf folgendem Tod entgegen bist geeilet.« Also klagte ich mich selber an, bat Gott um Vergebung, und befahl ihm meine Seel: Indessen näherten wir dem Diebsturm, und als die Not am größten, da war die Hilf Gottes am nächsten; denn als ich mit den Schergen umgeben war, und samt einer großen Menge Volks vorm Gefängnis stund, zu warten bis es aufgemacht und ich hineingetan würde, wollte mein Pfarrherr, dem neulich sein Dorf geplündert und verbrannt worden, auch sehen, was da vorhanden wäre (denn er lag zunächst dabei auch im Arrest). Als dieser zum Fenster aussah und mich erblickte, rief er überlaut: »O Simplici bist dus?« Als ich ihn hörte und sah, konnte ich nichts anders, als dass ich beide Händ gegen ihn aufhub, und schrie: »O Vater! o Vater! o Vater!« Er aber fragte, was ich getan hätte? Ich antwortet, ich wüßte es nicht, man hätte gewißlich mich darum daher geführt, weil ich aus dem Wald entlaufen wäre: Als er aber vom Umstand vernahm, dass man mich für einen Verräter hielt, bat er, man wollte mit mir einhalten, bis er meine Beschaffenheit dem Herrn Gouverneur berichtet hätte, denn