nippte, verbrannte sie sich die Lippen. Schnell nahm sie einen Schluck Wasser.
»Sie meinen, der Mann wäre nicht an einem Bienenstich gestorben? Was bringt Sie zu diesem Schluss?«, hakte Ida nach.
»In meiner Familie sind alle verrückt nach Bienen. Mein Onkel betreibt Imkerei. Auch mein Großonkel und sogar meine Großmutter. Ich bin mit Bienen aufgewachsen. Ich kenne mich aus. Deshalb wollte ich in den Mund sehen. Der Mann hatte an der Nase einen Stich, aber der kann nicht tödlich gewesen sein.«
»Hatte er einen Stich im Mund?«
»Nein. Den Stich an der Nase wird er kaum bemerkt haben. Vielleicht wurde er überhaupt erst nach dem Tod dort gestochen.«
Dabei war Ida als Mädchen immer gewarnt worden, in der Nähe von Blumenwiesen und blühenden Klee zu spielen. »Ein Bienenstich an einer empfindlichen Stelle im Gesicht oder im Mund kann zum Ersticken führen«, wandte sie ein.
»Imkern tut das Gift nichts. Weil sie oft gestochen werden, verliert das Gift seine Wirkung.« Amalie strich sich eine Haarsträhne hinter das Ohr. »Der Mann hatte doch nicht eben erst mit der Imkerei begonnen, oder?«
»Ich glaube nicht, nein.«
Amalie blies auf den Kaffee, um ihn zu kühlen. »Wenn ein Imker gestochen wird, schwillt die Stelle nicht mehr so heftig an. Dafür habe ich den dreifachen Beweis in der Familie. Mein Großonkel ist einmal von mindestens zehn Bienen gestochen worden. Er hatte rote Flecken am Arm und am Hals, aber das war es auch schon.«
»Einem Imker kann das Gift der Biene nichts anhaben«, wiederholte Ida nachdenklich. »Aber woran ist er dann gestorben? Ich habe gehört, er wäre tot umgefallen.«
»War er sonst gesund?«
Das wusste Ida nicht genau.
»Schwaches Herz?«, fragte Amalie weiter.
»Davon war nie die Rede.«
»Wer so schnell stirbt, hat einen Hirnschlag oder das Herz setzt aus.«
Ida rutschte auf dem harten Sessel herum. Sie konnte sich an diese Möbel von Thonet nicht gewöhnen. »Woher wollen Sie das so genau wissen?«
»Das habe ich von meinem Cousin.«
»Wieso hat er darüber Kenntnis?«
»Er ist Mediziner. Pathologe.«
»Welche Aufgabe hat ein Pathologe?«
»Er untersucht Tote.«
Ida überlegte, ob sich die Photographin einen Scherz mit ihr erlaubte.
»Mein Cousin untersucht Leichen, um mehr über die Todesursache zu erfahren. So gewinnt er Erkenntnisse über Ursachen von Krankheiten und ihren Verlauf.«
»Ach, so ist das.« Ida spielte mit dem kleinen Beutel an ihrem Handgelenk. Das Gespräch machte sie nervös.
»Mein Cousin sagt, es sterben mehr Menschen eines unnatürlichen Todes, als wir annehmen würden.«
»Meint er damit, sie werden ermordet?«, fragte Ida entrüstet.
Amalie nickte und trank ihren Kaffee.
»Mord ist ein Verbrechen und Mörder bezahlen mit dem Leben. Die Todesstrafe ist ihnen gewiss.«
»Mein Cousin redet von Morden, bei denen es keine Wunden oder Würgemale gibt. Morde, die aussehen wie natürliche Todesfälle.«
»Hat dieser Cousin auch einen Namen?«, fragte Ida.
»Ernstl.«
»Ich brauche einen Nachnamen!«
»Ernst Holler.«
»Und er behauptet tatsächlich, dass Leute umgebracht werden und es der Justiz entgeht?«
Amalie nickte. »Der Verdacht ist eine Sache, der Beweis für den Mord eine andere. Ernstl besucht die Vorträge eines Gerichtsmediziners, bei denen es darum geht, wie man einen Mord beweisen kann.«
Auch dieser Begriff war Ida neu.
»Ein Gerichtsmediziner untersucht auf Anweisung des Gerichts die Ursache des Todes. Er versucht herauszufinden, ob der Tote auf natürliche Weise gestorben ist oder nicht«, erklärte Amalie, noch bevor Ida fragen konnte. »Er kann sogar einen ungefähren Todeszeitpunkt feststellen. Er kennt Methoden, um herauszufinden, welche Person hinter einer verkohlten oder stark verunstalteten Leiche steckt.«
Ida konnte sich nicht vorstellen, wie das möglich sein sollte. »Nach einem Brand haben die Flammen das Opfer doch völlig unkenntlich gemacht?«
»Diese Frage habe ich Ernstl auch gestellt. Er erwähnte Knochenbrüche und den Zustand der Zähne. Besteht ein Verdacht, um wen es sich bei der Leiche handeln könnte, werden die Hinterbliebenen befragt, ob der Verwandte sich Knochen gebrochen hat und wie es um seine Zähne bestellt war. Ihre Aussagen vergleicht man dann mit der Leiche.«
Ida war fasziniert von dem, was sie von Amalie erfuhr. Trotzdem war sie noch nicht überzeugt. »Der Arzt, der den Totenschein für Alfred Oberland ausgestellt hat, wird die Leiche doch untersucht haben. Er müsste wissen, dass der Bienenstich nicht die Todesursache sein konnte.«
Amalie trank den Rest ihres Kaffees und schnalzte mit der Zunge. »Der Arzt hat bloß das Offensichtliche gesehen. Ein plötzlicher Tod in der Nähe von Bienen. Also ziemlich sicher ein tödlicher Bienenstich. Oder ein Herztod. Der Verstorbene war weder eine hohe Persönlichkeit noch sonderlich reich, also vermutet niemand einen Mord. Wieso auch?«
»Er war Lehrer des Kronprinzen und hat in der Hofbibliothek gearbeitet.«
»Eben. Weder sehr wichtig noch sehr einträglich.« Amalie klopfte mit der Tasse auf den Tisch und rief Peter zu, mehr Kaffee zu kochen.
Ida nahm ein Spitzentuch aus ihrem kleinen Beutel und tupfte sich die Lippen ab. Sie dachte an das Päckchen, um dessen Schutz Oberland die Kaiserin bitten wollte. Hatte er damals schon Angst um sein Leben gehabt? Ida fühlte sich noch immer schuldig, weil sie ihn abgewiesen hatte. »Wie kann man…«, begann sie zögerlich. »Wie kann man jemanden ermorden, ohne eine Spur zu hinterlassen?«
»Gift!« Amalie sagte es, als wäre es das Selbstverständlichste auf der Welt.
»Gift löst Krämpfe aus«, widersprach Ida. »Gift bringt schreckliche Leiden. Über Giftmorde ist in den Zeitungen zu lesen und immer wird erwähnt, welchen fürchterlichen Todeskampf das Opfer durchmachen musste.«
»Ernstl hat einmal bei einem Familienessen erzählt, die feinste Art jemanden zu ermorden, sei Gift. Das Opfer riecht und schmeckt nichts. Es ist ein schneller und leiser Tod.«
»Und so etwas gibt es?«, fragte Ida mit einem Anflug von Angst in der Stimme.
Amalie nickte bloß.
Die Fechtstunde war für halb sechs Uhr früh angesetzt.
Fanny Feifalik hatte Elisabeths Haare geflochten, aufgesteckt und noch im Toilettezimmer unter dem Fechthelm verstaut. Die Kleiderzofen hatten der Kaiserin in die Kniehose und das Oberteil geholfen. Es wurde hinten geschnürt wie ein Mieder. Die enganliegende Hose hatte Verschlüsse an der Seite, die nur in Gemeinschaftsarbeit von den Zofen geschlossen werden konnten. Sie wussten, dass die Kaiserin größten Wert darauf legte, ihre schlanke Figur auch in der Sportkleidung zu betonen.
Ihr Gegner beim Fechten hieß Pierre, stammte aus Frankreich und war ein Meister seines Faches. Als sie die Fechthalle im Erdgeschoss des Schlosses betrat, wartete Pierre bereits auf sie. Er trug einen Helm und sein Gesicht war hinter dem feinen, dunklen Gitter verborgen.
Elisabeth kannte weder seine Haarfarbe