Wolfgang Altgeld

Geschichte Italiens


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die Rolle eines primus inter pares inne; Drogo konnte seine Position aber verbessern, als 1047 Kaiser Heinrich III. nach Süditalien kam und ihn sowie Rainulf von Capua-Aversa in die Lehnsabhängigkeit vom Reich übernahm. Die ursprüngliche Gleichberechtigung blieb aber in Erinnerung und führte in den nächsten hundert Jahren immer wieder zu Aufständen der Barone.

      Das Papsttum stand den Normannen feindlich gegenüber. Leo IX. versuchte, gemeinsam mit Byzanz, militärisch gegen sie vorzugehen, unterlag aber 1053 in der [59]Schlacht von Civitate und geriet sogar in normannische Gefangenschaft. Den entscheidenden Schritt tat erst Nikolaus II.: 1059 wurden Richard von Capua-Aversa und Robert Guiskard (für Apulien und das noch zu erobernde Sizilien) Lehnsleute des Heiligen Stuhls, unter Ignorierung der Lehnsnahme von Heinrich III. (Da der Kaiser 1056 gestorben war, kann man argumentieren, dass die Lehnsbindung zum Reich erloschen war. Die deutschen Könige erkannten die päpstliche Belehnung jedoch nicht an.)

       Kaiser und Papst als Lehnsherren der Normannen

      

      [60]In den folgenden Jahren brach in Süditalien die byzantinische Herrschaft zusammen. Nach der Eroberung von Reggio Calabria rief das Heer Robert Guiskard zum Herzog aus; 1071 fiel mit Bari die letzte byzantinische Bastion. Auch die langobardischen Fürstentümer wurden von den Normannen erobert. Einzig die Stadt Benevent entging diesem Schicksal, da sie sich 1051 dem Papst unterstellt hatte und von nun an bis 1860 eine Exklave des Kirchenstaates bildete.

      Gleichzeitig eroberte Roger (I.), der jüngste Bruder Robert Guiskards, Sizilien, teils gemeinsam mit Robert, teils selbständig, wobei er juristisch gesehen als Graf von [61]Sizilien Untervasall seines Bruders war. Die Eroberung zog sich zwar bis 1088 hin, trotzdem stellt sich die Frage, warum den Normannen in knapp drei Jahrzehnten gelang, was die Byzantiner drei Jahrhunderte lang vergeblich versucht hatten. Es kamen wohl vier Gründe zusammen: 1. die Normannen profitierten von einem innersarazenischen Bürgerkrieg auf Sizilien; 2. infolge politischer Veränderungen in Nordafrika und der Fortschritte der Reconquista in Spanien erhielten die sarazenischen Sizilianer weniger Hilfe von ihren dortigen Glaubensgenossen; 3. die Normannen sicherten eroberte Gebiete sofort durch Burgen; 4. sie forderten nicht wie die Byzantiner die Konversion der islamischen Bevölkerung zum Christentum, so dass religiös motivierter Widerstand unterblieb.

      Roger II.

      Die Hauteville in Süditalien

      Wichtiger als die apulische Linie der Hauteville, die 1127 ruhmlos erlosch, wurden die Nachkommen Rogers von Sizilien. Roger II. (seit 1112) erhob nach dem Aussterben seiner festländischen Verwandten Erbansprüche auf das Herzogtum Apulien, die nach kurzem Widerstand auch das Papsttum anerkennen musste. 1130 bot sich ihm die Chance, seine Position weiter zu festigen: Die Papstwahl dieses Jahres führte zum Schisma zwischen Anaklet II. und Innozenz II. Während Innozenz beim französischen und deutschen König Unterstützung fand, erkannte Roger II. Anaklet an; der Lohn dafür war seine Erhebung zum König von Sizilien.

      Im Jahr 1137 unternahm Kaiser Lothar III. zugunsten [62]Papst Innozenz’ II. seinen zweiten Italienzug und drang bis nach Apulien vor. Dort sollte Rainulf von Alife als Herzog eingesetzt werden; jedoch kam es zu Misshelligkeiten zwischen Kaiser und Papst über die Frage, ob Apulien vom Reich (wie 1047) oder vom Heiligen Stuhl (wie 1059) zu Lehen rühre. Die Frage blieb offen, und bei der Belehnungszeremonie mussten beide Seiten in einen Kompromiss einwilligen. Da Lothar, der kurz darauf starb, bald wieder nach Norden abzog, blieb sein Feldzug ohne dauerhafte Folgen für Roger. Im Gegenteil, Innozenz II. scheiterte, als er den Feldzug allein fortsetzen wollte, 1139 in der Schlacht von Magnano und geriet in die Gefangenschaft der Normannen (wie 1059 Leo IX. bei Civitate). Da Anaklet II. 1138 gestorben war, war ein Ausgleich möglich: Roger erkannte Innozenz als Papst an, und dieser bestätigte Rogers Königswürde.

      Roger II. begann, die Verwaltung des Königreichs in effizienter Weise auszubauen (Kodifikation u. a. in den Assisen von Ariano), wobei vor allem auf Sizilien und in der Finanzverwaltung die bestehenden arabischen (und byzantinischen) Strukturen beibehalten wurden; diese Leistungen seiner normannischen Vorgänger musste Friedrich II. später nur noch zum Abschluss bringen. Entsprechend der multikulturellen Zusammensetzung der Bevölkerung war die Verwaltung dreisprachig (griechisch, lateinisch, arabisch), wozu noch die italienische Umgangssprache (volgare) und wohl das Französische als Sprache des Hofes kamen. Der König selbst war, nach byzantinischem Vorbild, in die sakrale Sphäre erhoben und herrschte absolut als lex animata in terris; bereits eine Diskussion über seine Maßnahmen galt als Sakrileg.

      An der Spitze des Staates stand die magna curia, d. h. die [64]am Königshof anwesenden Beamten der Zentralregierung, Vasallen und Bischöfe; da sich der Hof indes meist in Palermo aufhielt, umfasste sie eine sehr begrenzte Personenzahl, die nicht für das gesamte Land repräsentativ war. Noch exklusiver war das sogenannte Familiarenkolleg, das zu Zeiten der Minderjährigkeit des Herrschers die Regierung führte. Die wichtigsten Ämter waren die Kanzlei sowie die Finanzverwaltung, die dohana, mit besonders starker arabischer Tradition. Sie führte, zumindest für Sizilien, detaillierte Kataster (defetari).

      Die Lehnspyramide umfasste unterhalb des Königs vier Stufen von feoda; die Städte unterstanden teils direkt dem König, teils waren sie in die Lehnspyramide miteinbezogen. Die Lehnsleute wurden von der Zentrale scharf überwacht: Sie mussten den Ehekonsens des Königs einholen, und bei jeder Neuvergabe eines Lehens wurde eine genaue Beschreibung seines Umfangs beurkundet (in einer sogenannten platea), wobei dieser Umfang entweder dem Kataster entnommen oder durch eine Befragung vor Ort (inquisitio) ermittelt wurde. Die Kirche unterstand ganz der Herrschaft des Königs, der als ständiger päpstlicher Legat fungierte und entscheidenden Einfluss auf die Besetzung der Bischofsstühle hatte.

      Wilhelm I. und Wilhelm II.

      Nach dem Tode Rogers II. sah sich sein Sohn Wilhelm I., obwohl seit 1151 Mitkönig, massivem Widerstand gegen seine Nachfolge ausgesetzt: Der Papst verweigerte die Erneuerung der Lehnsbeziehung und zog mit griechischer [65]Hilfe gegen ihn zu Felde, während sich gleichzeitig die Barone auf dem Festland gegen den König erhoben. Die Aktion des Papstes endete jedoch in einer katastrophalen Niederlage bei Brindisi am 28. Mai 1156, so dass Hadrian IV. Wilhelm am 18. Juni im Vertrag von Benevent anerkennen musste. Gleichwohl war der König ein eher schwacher und unselbständiger Herrscher, der die Regierungsgeschäfte dem Kanzler und seit 1154 ammiratus ammiratorum Majo überließ, bis dieser 1160 ermordet wurde. Anschließend richteten sich die Intrigen einer Hofpartei gegen Wilhelm selbst. Ein Aufstand im Jahre 1161 führte zur Gefangensetzung des Königs, doch wurde er mit Hilfe des hohen Klerus und der Bevölkerung Palermos befreit; allerdings kam der Kronprinz bei den Ereignissen ums Leben. Die anschließenden Vergeltungsmaßnahmen brachten Wilhelm den Beinamen »der Böse« ein. Er starb 1166.

      Es folgte, zunächst unter der Vormundschaft seiner Mutter, Wilhelm II., der »Gute«. Über die Zeit seiner selbständigen Regierung ist nur wenig bekannt. Wichtigstes Ereignis war die Heirat seiner Tante Konstanze mit dem Staufer Heinrich VI., die, da der König auch nach langen Ehejahren kinderlos blieb, seine nächste Verwandte und damit Thronerbin war. Um ihr das Erbe zu sichern, ließ er kurz vor seinem Tode alle Barone des Reiches auf sie vereidigen.

      Tankred von Lecce

      Gegen die Nachfolge Konstanzes regte sich trotz der geleisteten Eide Widerstand. Eine Hofpartei erhob Anfang 1190 Tankred von Lecce, den unehelichen Sohn Rogers, des [66]älteren Bruders Wilhelms I., zum König. Ob sich darin eine Ablehnung der weiblichen Erbfolge oder eine »nationale« Reaktion gegen Konstanzes ausländischen Ehemann Heinrich VI. kundtat oder ob es sich um ein Unabhängigkeitsstreben angesichts der zu erwartenden unio regni ad imperium