Olga Tokarczuk

Übungen im Fremdsein


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– da haben wir allerlei Souvenirs und irgendwelchen glitzernden Plunder zusammengekauft (zu Hause weiß man dann nicht, was anfangen mit dem Zeug), alle Sehenswürdigkeiten besichtigt, die der Reiseführer empfiehlt, haben einheimische alkoholische Getränke probiert und lokale Gerichte (viele gibt es in einer eigenen Touristenversion), haben folkloristische Tänze gesehen. Doch wenn wir wieder zu Hause sind und mit den Koffern im Flur stehen, beschleicht uns das Gefühl, an einer irrealen Show teilgenommen zu haben. Als hätten wir durch eine Scheibe ein Eis essen wollen.

      Eine Frage der Freiheit

      Eine Reise zu unternehmen, war in unserer westlichen Kultur ein Akt der Freiheit. Phileas Fogg ist ein freier Mensch. Als freier Mensch geht er eine Wette ein, stellt sich einer Herausforderung und entscheidet damit über sein Leben. Reisen wurde zu einem Symbol der Freiheit, und vermutlich ist es auch deshalb für uns so attraktiv. Vielleicht verstehen wir, die wir von Natur aus Nomaden sind und nur angehalten haben auf unserem Weg, auf eben diese atavistische Weise die Freiheit – in Bewegung sein, die Orte wechseln, irgendwohin ziehen …

      Wenn der Entschluss, sein Land zu verlassen – und sich auf den Weg zu machen –, eine Frage der freien Entscheidung ist, vergleichbar der Redefreiheit, wie könnten wir sie dann, wenn wir selbst darüber verfügen, anderen verbieten wollen? Für manche Menschen stellt die Emigration die einzige Alternative dar angesichts des Freiheitsverlusts und wird damit Teil des unantastbaren Rechts des Menschen auf eine freie Entscheidung. Wer soll bestimmen dürfen, wo jemandes Platz sei? In Zeiten, in denen Tausende Menschen in unseren Ländern Schutz suchen, bitten Herr al-Halabi und Frau Marrousch nicht um unsere Hilfe. Sie wollen nicht wie Flüchtlinge behandelt werden, sondern wie freie Menschen, denen es zusteht zu entscheiden. Paradox ist es, dass es den Ortswechsel erleichtern würde, wenn sie sich als Ware deklarieren, einen Lieferschein ausfüllen und sich selbst per Flugzeug expedieren würden. Sie hätten es leichter, Grenzen zu überwinden, hätten es leichter zu reisen.

      Fremde Freiheit ist immer heikel. Die sich der Freiheit erfreuen dürfen, wollen sie anderen häufig nicht gönnen.

      Warum kann ich in das Land Frau Marrouschs, das Land Herrn al-Halabis fahren und dort so lange bleiben, wie ich möchte – wahrscheinlich könnte ich mich dort sogar niederlassen –, Frau Marrousch aber und Herr al-Halabi dürfen dies in meinem Land nicht? Warum wollen meine Landsleute, die seinerzeit in Libyen und Syrien Geld verdient haben beim Bau von Brücken und Fabriken, um im Leben vorwärtszukommen, heute den Libyern und Syrern keine Chance in Polen geben – selbst dann nicht, wenn deren Leben auf dem Spiel steht?

      Habe ich noch das Recht zu reisen? Wenn Menschen an Grenzen festgehalten und in Flüchtlingslager gesteckt werden, wird Reisen zunehmend zum ethischen Problem.

      Ehrlich gesagt, ich habe die Lust am Reisen verloren. Und das nicht aus Angst vor Anschlägen oder Kriegen. Die Lust am Reisen ist mir vergangen, weil es mich beschämt, über eine Freiheit zu verfügen, die andere nicht haben.

      Ich möchte keine Touristin mehr sein in den Ländern des armen globalen Südens. Hilflos das Elend der Menschen und das Leiden der Tiere zu sehen, ist mir unerträglich.

      Die Lust am Reisen ist mir vergangen, seit ich im Südchinesischen Meer schwimmende Inseln aus Plastik gesehen habe. Wollte man sich am Strand hinsetzen, musste man sich den Platz zuerst freiräumen.

      Ich möchte nicht mehr mit dem Flugzeug reisen, seit Flugzeuge als Taxis zwischen den Citys dienen, die bei einem Flug so viel Treibstoff verbrennen wie zig Reisebusse auf der gleichen Strecke.

      Die Lust am Reisen ist mir vergangen, seit es auf Facebook Blogs gibt, auf denen heutige Reisende ihre Fotos posten und in allen Einzelheiten darüber informieren, was sie an jedem Tag ihrer exotischen Reise unternommen haben. Und wer möchte, kann mit ihnen so einfach in Kontakt treten, als wären sie zu Hause. Ich habe den Eindruck, sie wären nie wirklich aufgebrochen.

      Bücher vom Zuschnitt »Ich erzähle euch, wo ich war« und Festivals, die dem Reisen gewidmet sind, reizen mich nicht mehr. Auch der Reisende als Flaneur, der ohne Eile unterwegs ist, mit leicht schleppendem Schritt, als Verkörperung des reinen Schauens gleichsam, über die Straßen der Welt streift, um sein unersättliches, ewig nach Erfahrungen gierendes Ego zu zelebrieren, bereitet mir keine Freude mehr.

      Die Lust am Reisen ist mir vergangen, seit Dschihadisten Buddha-Statuen gesprengt und Palmyra zerstört haben. Vielleicht ist es besser, diese Orte virtuell zu besuchen, denn im Internet existieren sie noch, dort sind sie sicher.

      Ich verspüre nicht mehr das Bedürfnis, fremde Städte zu besuchen, seit man in jeder Straße der Welt die gleichen in China produzierten Souvenirs findet.

      Ich werde in fremden Städten keine Museen mehr besuchen, solange ich nicht in den Museen meiner eigenen Stadt gewesen bin.

      Kann man noch ein unschuldiger Reisender sein in einer Welt der Konflikte, der explodierenden Bomben, der entführten Flugzeuge und der ständigen Angst vor Anschlägen? Kann man Urlaubsfreude empfinden an einem Strand, den die Einheimischen nicht betreten dürfen? Kann man sich im Flugzeug bequem zurücklehnen, wenn in der Gegenrichtung Menschen unterwegs sind, die sich in Containern drängen?

      Was würden Phileas Fogg und Indiana Jones dazu sagen?

      Vielleicht sollten wir jetzt einfach einmal zu Hause bleiben, um andere Reisende zu begrüßen.

      Deutsch von Lothar Quinkenstein

      Die Masken der Tiere

      Das Leiden eines Menschen ist für mich leichter zu ertragen als das Leiden eines Tieres. Der Mensch hat einen eigenen, ausgearbeiteten und allseits propagierten ontologischen Status, was ihn zu einer privilegierten Gattung macht. Er hat Kultur und Religion, die ihm im Leiden beistehen sollen. Er hat seine Rationalisierungen und Sublimierungen. Er hat seinen Gott, der ihn am Ende erlöst. Das menschliche Leiden hat einen Sinn. Für das Tier gibt es weder Trost noch Linderung, denn auf das Tier wartet keine Erlösung. Für das Tier gibt es auch keinen Sinn. Sein Körper gehört ihm nicht. Es hat keine Seele. Das Leiden des Tieres ist ein absolutes, totales.

      Wenn wir versuchen, uns diese Tatsache mit unserer menschlichen Fähigkeit zu Reflexion und Mitgefühl zu vergegenwärtigen, dann offenbart sich uns das ganze Grauen des tierischen Leidens und mit ihm das entsetzliche, kaum erträgliche Grauen der Welt.

      Im vorsokratischen antiken Griechenland galt ein Trilog. Er bestand aus drei einfachen Geboten, die Pythagoras und dessen Schüler formuliert hatten: Ehre die Eltern, bringe den Göttern Fruchtopfer dar, verschone die Tiere. Diese Gebote verweisen denkbar lakonisch auf die drei wichtigsten Sphären des menschlichen Lebens: erstens die grundlegenden sozialen Bindungen, zweitens den weitgefassten Bereich der Religion und drittens den würdigen Umgang mit Tieren. Sie geben kein konkretes Verhalten vor, doch sie weisen die Richtung. Sie sind mehr Ge- als Verbote und lassen Raum für Interpretationen. Ihre Nichterfüllung weckt Schuldgefühle, Scham, moralisches Unbehagen. Man muss sie nicht konkretisieren.

      Während aber die beiden ersten Gebote uns auf umfassend kodifizierte Systeme verweisen – das soziale und das religiöse –, und sich auf klar ausformulierte, allgemein transparente Normen und Rituale stützen, ist das Verhältnis des Menschen zu den Tieren nicht auf vergleichbare Weise reguliert (abgesehen vielleicht von den im Alten Testament enthaltenen Speisevorschriften) und bleibt deshalb dem menschlichen Gewissen überlassen. Somit wird es zu einer ethischen Frage, das heißt, wir können abwägen, was zu tun und was zu unterlassen ist.

      Wie die Gabe der Vernunft uns besser macht

      Die Pythagoräer hielten Tiere für vernunftbegabte Wesen, der anarchistische Diogenes behauptete sogar, sie seien dem Menschen in vielerlei Hinsicht überlegen. Doch das war nicht die allgemeine Auffassung.

      Die jüdisch-christliche Tradition sagt eindeutig: Die Erde mit ihren Pflanzen- und Tierarten wurde geschaffen, um der menschlichen Gattung zu dienen. Gleich zu Beginn des Buches Genesis heißt es, Gott gebe dem Menschen die Herrschaft über alle Geschöpfe der Erde, denn der Mensch stehe im Mittelpunkt der Schöpfung, und Zweck der Natur sei es, ihm zu Diensten zu sein.

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