Ashley Curtis

Alles ist beseelt


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durch die Lande. Wir lernen etwas über die bekömmlichen Eigenschaften von Teerwasser, lesen Limericks über Bäume und Göttlichkeit, tauchen kurz ein in die Verzweiflung des größten Philosophen der englischsprachigen Welt, werfen einen Blick auf den Unterschied zwischen Autos auf einer Schnellstraße und fallenden Steinen, erfahren, warum so viele Professoren Artikel über Zombies schreiben, versenken uns in das Bewusstsein von Fledermäusen und Gürteltieren, sehen einem Mann dabei zu, wie er sich in einen Raben verwandelt, und einem anderen, wie er zum Elch wird, picknicken neben einer Eisenbahn, die sich Albert Einstein ausgedacht hat, messen die Schärfe von Chilis, betrachten Hamlet bei seiner eigenen Betrachtung von Suizid und überlegen, ob man von einer zufälligen Begegnung sagen kann, sie sei bedeutsam.

      Am Ende von all dem kehren wir dann zu Lynn White Jr. und seiner intellektuellen Bombe zurück. Sollte mein Versuch erfolgreich sein, wird Whites Wunsch nach einer praktikablen Entsprechung zum Animismus nicht mehr so abwegig wirken wie vielleicht jetzt gerade. Sollte ich keinen Erfolg haben, werden Sie zumindest eine Reise hinter sich haben, von der ich hoffe, dass sie gleichermaßen aufregend und spielerisch ist.

      Dieses Buch ist aus einer spielerischen Haltung heraus geschrieben, und ich wünsche mir, dass es Spaß macht. Aber ich habe es auch in vollem Ernst geschrieben. Ich hoffe, es wird in beiderlei Haltung gelesen.

      Die erste Behauptung des Kartesianismus lautet, die physische Welt existiere, mit oder ohne uns. Das ist gleichbedeutend mit der Aussage, die physische Welt bestehe aus Stoff – oder, eleganter ausgedrückt, aus Materie –, und dieser Stoff sei nun mal da, ob wir ihn nun wahrnähmen oder nicht. Im Kapitel »Der Gute Bischof« besuchen wir einen Philosophen, der die radikale Behauptung aufstellt, Materie existiere nicht – dass sogar das Konzept von Materie unstimmig sei.

      KAPITEL 1

       Der Gute Bischof

      Worin das Konzept von Materie hinterfragt und von einem Stuhl geträumt wird.

      1744 veröffentlichte der Bischof des irischen Cloyne das erfolgreichste Buch seines Lebens.28 Siris: Eine Kette von Philosophischen Betrachtungen und Untersuchungen über die Tugenden des Teerwassers erreichte innerhalb eines Jahres sechs Auflagen. 1752, ein Jahr vor seinem Tod, veröffentlichte der Bischof eine Fortsetzung, Weitere Gedanken zur Teerwasserfrage.

      Das bischöfliche Teerwasserrezept empfahl, ein Quart Holzteer in ein großes Glasgefäß zu geben und mit einer Gallone kaltem Wasser zu übergießen. Vier Minuten lang mit einer Kelle oder einem Stab umrühren, dann achtundvierzig Stunden stehen lassen. Danach die Flüssigkeit abgießen. Die Farbe sollte nicht heller sein als die von französischem Weißwein, nicht dunkler als die von spanischem. Abends und morgens eine halbe Pinte auf leeren Magen trinken; Kinder und »empfindliche Personen« sollten die Flüssigkeit verdünnt und dafür öfters trinken.

      Diese Kur, so der Bischof, heile allerlei Beschwerden. Er beschreibt eine Familie mit sieben Kindern während einer Pockenepidemie. Sechs der Kinder tranken Teerwasser und »durchstanden die Infektion sehr gut«. Das siebte »konnte nicht dazu bewegt werden, Teerwasser zu trinken«, und uns wird zu verstehen gegeben, dass es starb. Teerwasser kuriere wirksam »so viele purulente Geschwüre«, dass der Bischof es schließlich auch bei »anderen Verdorbenheiten des Blutes« anwandte, darunter »kutane Ausbrüche« und die »schändlichsten Krankheiten […] Pleuritis und Peripeumonie«.

      •

      Der Autor der Siris – vom großen Philosophen Immanuel Kant später als »der Gute Bischof« bezeichnet – bewarb Teerwasser so energisch aus Sorge um seine Gemeinde. In Cloyne, einer abgelegenen, armen Gegend, waren kurz zuvor die Pocken und Dysenterie ausgebrochen – oder wie es der Bischof anschaulich nannte, die »blutige Ruhr«.

      Ein Brief aus dieser Zeit an einen britischen Abgeordneten – »Die Plagen Irlands« – beschreibt das Land des Bischofs als »die elendigste Szenerie universellen Leides, von der je in der Geschichte zu lesen war«.29 Neben Krankheiten litt die Bevölkerung unter einer »Knappheit von Brot (die mancherorts einer Hungersnot gleichkommt)«. So sehr mangelte es an Brot, dass der Bischof in einer Solidaritätsgeste gegenüber seiner Gemeinde Mehl zum Pudern seiner Perücke erst wieder nach der Ernte verwendete.

      Der Bischof glaubte, er habe eine günstige Möglichkeit gefunden, einer darniederliegenden Bevölkerung zu guter Gesundheit zu verhelfen. Doch nicht nur sollte sein Erfolgsbuch die physiologischen Tugenden des Teerwassers darlegen und dessen Wirksamkeit wissenschaftlich erklären. Das dritte Ziel bestand darin, wie es in der Stanford-Enzyklopädie der Philosophie heißt, »den Leser durch eine Aneinanderreihung kleiner Schritte zu einer Reflexion über Gott zu führen«30. Das Wort »Siris« im Titel stammt vom griechischen Wort für »Kette«, und die bischöfliche »Kette von Philosophischen Betrachtungen« führt, trotz einiger Schlenker, vom Teerwasser zur Theologie.

      Was uns, wenn auch ein wenig abrupt, zu Gott bringt.

      •

      Die Tugenden des Teerwassers sind im Laufe der letzten Jahrhunderte größtenteils in Vergessenheit geraten, nicht jedoch die früheren Schriften des Bischofs. Es sind diese frühen Arbeiten, verfasst, als er sich mit Mitte zwanzig als Forschungsstipendiat am Dubliner Trinity College durchschlug, die ihn heute zu einer bekannten, wenn auch missverstandenen Figur machen. Denn in diesen frühen Schriften bestritt George Berkeley, der spätere Bischof von Cloyne, eindringlicher und wirkungsvoller als alle anderen Philosophen die Existenz von Materie.

      Sagt jemand zu Ihnen: »Du bist so materialistisch«, meint die Person in der Regel, Sie seien übermäßig auf Konsumartikel fixiert, möglicherweise auf Kosten von Wichtigerem wie menschlichen Beziehungen oder noblen Anliegen. Aber Materialismus kann auch etwas anderes bezeichnen als Shopping-Gier: Nämlich den in universitären Kreisen verbreiteten Glauben, das Universum und alles darin könne zufriedenstellend allein durch Materie erklärt werden. Das heißt, es könne zufriedenstellend erklärt werden, ohne dass es eines Gottes bedürfe, eines Geistes, einer Bestimmung oder eines Sinnes, die darüber hinausgehen, was wir aus Materie erschaffenen Menschen mit unseren aus Materie erschaffenen Gehirnen selbst erfinden.

      Wer anderer Meinung ist als die Materialisten, meint in der Regel, etwas existiere zusätzlich zur Materie – der menschliche Geist, Gott, eine Lebenskraft –, doch räumt er meist ein, dass Materie natürlich auch existiere. Materie ist physischer Stoff: Stühle, Tische, Steine, Wasser, Atome. Die Debatte zwischen Materialisten und Nichtmaterialisten betrifft normalerweise eher die Frage, ob es irgendetwas neben der Materie gebe, und nicht, ob Materie an sich existiere.