S. 270.
18 Aristoteles: Politik. Übersetzt von Franz Susemihl, Hamburg 2003, VII 2, 1324a27.
19 John Locke: Versuch über den menschlichen Verstand. Übersetzt von Carl Winckler, Hamburg 2006, II. Buch, XXI 55.
20 John Locke: Versuch über den menschlichen Verstand. Übersetzt von Carl Winckler, Hamburg 2006, II. Buch, XXI 55.
21 Kant, Immanuel: Was ist Aufklärung?, Stuttgart 2002, S. 9.
22 Kant, Immanuel: Was ist Aufklärung?, Stuttgart 2002, S. 9.
23 Doch bereits im Hellenismus (direkt im Anschluss an die Zeit der Klassik) wurden in den unterschiedlichen philosophischen Schulen die ersten Ansätze entwickelt, den Menschen aus der unmittelbaren wie kategorischen Notwendigkeit politischer Partizipation herauszulösen. So z. B. bei den Kynikern, den Stoikern und den Epikureern. Alle diese Schulen unternehmen den Versuch, das Politische in seiner Bedeutung für die individuelle Lebensführung des einzelnen Menschen einer Relevanzrelativierung zuzuführen. Denn, so ein Grundtenor der Philosophie im Hellenismus, das Politische kann für das individuell gute und gelingende Leben in letzter Konsequenz nicht alleine verantwortlich gemacht werden.
24 Vgl. Beck, Ulrich: Der kosmopolitische Blick – oder: Krieg ist Frieden, Frankfurt 2004, S. 7–10.
25 Alexander van der Bellen appellierte an alle „Österreicherinnen und Österreicher und [an] alle die hier leben“ und bat „im Namen unserer Gemeinschaft“ um Verständnis für die neuen Maßnahmen; sprach weiters von kommenden Belastungen im Zuge der COVID-19-Verordnungen, die „für manche in unserer Gemeinschaft ganz besonders“ schwer zu tragen seien sowie darüber, dass „Gemeinschaft nicht nur ein leeres Wort“ sei. Vgl. dazu: https://www.bundespraesident.at/aktuelles/detail/tv-ansprache-anlaesslich-der-verordnung-zum-2-lockdown (Letzter Abruf: 1. 3. 2021).
Zivilgesellschaft und Bürgertum
Ernst Bruckmüller
Kurzfassung: Die moderne Formulierung „Zivilgesellschaft“ oder „Bürgergesellschaft“ bezeichnet das gemeinsame Engagement von Menschen in Bereichen außerhalb ihrer familiären und beruflichen Sphären, zumeist auch außerhalb der Politik. Sie kann in „Bürgerinitiativen“ auch die Beeinflussung von Politik und Verwaltung, in Sonderfällen sogar die Umgestaltung des politischen Systems anpeilen (wie das Občanské fórum – Bürgerforum – 1989 im tschechischen Teil der damaligen Tschechoslowakei). Der Beitrag stellt die Frage, inwiefern ältere Entwürfe von Bürgertum und „bürgerlicher Gesellschaft“ etwas mit den modernen zivilgesellschaftlichen Erscheinungsformen zu tun haben. Denn zivilgesellschaftliches Handeln erfolgt in der Regel primär im Rahmen der von „bürgerlichen“ Vordenkern, Vorkämpfern, Revolutionären und Politikern errungenen rechtlichen Möglichkeiten wie dem Recht auf persönliche Freiheit, auf Erwerbsfreiheit, auf Freiheit der Religionsausübung und der Meinungsäußerung, der Pressefreiheit, der Vereins- und Versammlungsfreiheit, dem Petitionsrecht usw.
Bürgergesellschaft, Zivilgesellschaft und Bürgertum
Spricht man heute von „Zivilgesellschaft“ oder „Bürgergesellschaft“, so wird damit das Engagement von Menschen in verschiedensten Bereichen außerhalb der eigentlichen „Politik“ und außerhalb ihrer familiären und beruflichen Sphären bezeichnet. Dieses Engagement äußert sich überaus vielfältig in lokalen, regionalen oder auch überregionalen Initiativen im den Bereichen Kultur, Umwelt, Dritte Welt, Pflege, Betreuung von Asylanten usw., kann aber auch in „Bürgerinitiativen“ die Beeinflussung von Politik und Verwaltung anpeilen. In autoritären Staatswesen kann die Zivilgesellschaft auch zu einer mächtigen Bewegung zur Veränderung des politischen Systems anwachsen.1 Zu erinnern ist an das Občanské fórum (OF; deutsch: Bürgerforum) im tschechischen Teil der damaligen Tschechoslowakei, gegründet am 19. November 1989, zwei Tage nach Beginn der „samtenen Revolution“ in Prag.2 Sowohl die Begriffe „Bürger-“ bzw. „Zivilgesellschaft“ wie auch Občanské fórum orientieren sich am mündigen, aktiv interessierten und engagementbereiten Staatsbürger (oder der entsprechenden Bürgerin).
Die folgenden Überlegungen gelten der Frage, inwiefern ältere Entwürfe von Bürgertum und „bürgerlicher Gesellschaft“ des 19. und frühen 20. Jahrhunderts etwas mit den modernen zivilgesellschaftlichen Erscheinungsformen zu tun haben. Denn in modernen demokratischen Rechtsstaaten erfolgt zivilgesellschaftliches Handeln zumeist im Rahmen der von „bürgerlichen“ Vordenkern, Vorkämpfern, Revolutionären und Politikern errungenen rechtlichen Möglichkeiten. Zentrale zivilgesellschaftliche Freiheiten sind das Recht auf persönliche Freiheit, auf Erwerbsfreiheit, auf Freiheit der Religionsausübung und der Meinungsäußerung, die Pressefreiheit, das Vereins- und Versammlungsrecht, das Petitionsrecht. Ergänzt werden sie durch den Schutz der Privatsphäre (Hausrecht) und das Briefgeheimnis – das die meisten Zeitgenossen heutzutage durch den Gebrauch des Internets durchaus freiwillig entsorgen.
Nun gibt es im Deutschen ein begriffliches Problem, das die meisten anderen Sprachen nicht kennen. Im Deutschen bezeichnet der Begriff „Bürger“ sowohl den (vollberechtigten) Bewohner einer vormodernen Stadt wie den (vollberechtigten) Staatsbürger. Dagegen unterscheidet das Französische zwischen „citoyen“ (Staatsbürger) und „bourgeois“ (Stadtbürger, von „bourg“, das sowohl „Markt“ bedeutet, wie auch als „fauxbourg“ die „Vorstadt“), das Englische kennt sowohl den „citizen“ (Staatsbürger) als auch den „common“ oder auch „burger“ (Stadtbürger), das Italienische den „cittadino“ und den „borghese“. Klar, dass hier einerseits das lateinische „civis“ und die dazugehörige „civitas“ dahintersteht, andererseits ein germanisch-spätlateinisches „burgus“, was zunächst nur ein Kastell bezeichnete, später aber auch auf – eben – „bürgerliche“ Siedlungen, Märkte und Städte, überging.3 Auch in den slawischen Sprachen wird zwischen Staatsbürger (slowenisch „državljan“) und Stadtbürger (slowenisch „meščan“, ganz ähnlich russisch) unterschieden.
Aber auch im Deutschen bleibt, neben dem heimischen Wort, doch auch das vom „civis“ stammende „Zivile“ lebendig, zunächst einmal als Gegensatz zum Militär, aber auch sehr früh als Begriff, der ein bestimmtes – eben „zivilisiertes“, also gewaltfreies, gleichberechtigtes – Verhalten im Verkehr der Menschen miteinander bezeichnet. Im 16. Jahrhundert aus dem Französischen „civil“ entlehnt (vom lateinischen „civilis“), bedeutete es „bürgerlich“, „patriotisch, staatlich, öffentlich“.4 Im 18. Jahrhundert kam – im Zuge der Aufklärung – die Bedeutung „zivilisiert“ im Sinne von „aufgeklärt, gewaltfrei, gutes Benehmen“ dazu, wobei aber im Deutschen wohl auch noch immer die alte stadtbürgerliche Bedeutung von „Ehrsamkeit“ (eheliche Abstammung, ehrsames Verhalten) mitschwingen mochte. Dieses Verhalten erforderte eine rechtliche Normierung: 1789 definierte der große österreichische Aufklärer Gottfried van Swieten bereits die „bürgerliche Gesellschaft“ im Gegensatz zu „einer Horde wilder Menschen“ durch jene „Grundsätze ihrer Verbindung“, dass es „kein Recht ohne Verbindlichkeit und keine Verbindlichkeit ohne Recht“ gibt.5 Die „bürgerliche Gesellschaft“ (Staatsbürgergesellschaft) benötigt daher als Basis ein „bürgerliches Recht“, das ja nun in ebendieser Zeit kodifiziert wurde und 1812 als „Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch“ (ABGB)6 in Kraft trat. Schon in der Zeit Josephs II. begegnet uns erstmals der Begriff des „Staatsbürgers“ in der Gesetzgebung; auch das ABGB geht von einer gemeinsamen Staatsbürgerschaft der Bewohner jener habsburgischen („österreichischen“) Länder aus, in denen das ABGB in Kraft gesetzt wurde (nicht in Ungarn).
Aber war die „Gesellschaft“ nicht nur in Mitteleuropa, sondern auf dem ganzen Kontinent schon so weit, dass man sie als Gesellschaft gleichberechtiger Menschen ansehen konnte? Tatsächlich bestanden in den allermeisten Regionen noch feudale Abhängigkeiten. Die bäuerliche Bevölkerung,