Stefano Mancuso

Die Intelligenz der Pflanzen


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eher beiläufig, etwa nach dem Motto: »Manchmal brauchte der große Denker wohl ein wenig Zerstreuung.«

      Darwin hat mehrfach erklärt, er halte Pflanzen für die außergewöhnlichsten Lebewesen, die ihm je begegnet seien: »Mit großer Freude habe ich in der Hierarchie der Lebewesen stets die Pflanzen gerühmt.« In seinem 1880 erschienenen Grundlagenwerk The Power of Movement in Plants (Das Bewegungsvermögen der Pflanzen) äußert er sich näher dazu. Darwin ist ein Forscher alter Schule, der die Natur beobachtet und daraus Gesetzmäßigkeiten ableitet. Wenngleich ihm ausgefeilte Versuchsanordnungen fremd sind, beschreibt er in seinem Werk Hunderte von Versuchen, die er mit seinem Sohn Francis durchgeführt hat, und erläutert, wie vielfältig sich Pflanzen bewegen können. Ihr Bewegungsvermögen beschränkt sich dabei meist nicht nur auf den oberirdischen Teil der Pflanze, sondern betrifft auch die Wurzel, die Darwin als eine Art »Kommandozentrale« betrachtet.

      Dem letzten Absatz seiner Werke widmet der britische Naturforscher stets besondere Aufmerksamkeit. Denn dort legt er seine Schlussfolgerungen einfach und allgemein verständlich dar. Ein wunderbares Beispiel dafür ist der berühmte Schluss der Entstehung der Arten:

      Es ist wahrlich eine großartige Ansicht, daß der Schöpfer den Keim alles Lebens, das uns umgibt, nur wenigen oder nur einer einzigen Form eingehaucht hat, und daß, während unser Planet den strengsten Gesetzen der Schwerkraft folgend sich im Kreise schwingt, aus so einfachem Anfange sich eine endlose Reihe der schönsten und wundervollsten Formen entwickelt hat und noch immer entwickelt.

      Im letzten Absatz seines Werks Das Bewegungsvermögen der Pflanzen unterstreicht Darwin seine Überzeugung, dass sich in den pflanzlichen Wurzeln so etwas wie das Gehirn niederer Tiere verbirgt (auf S. 127 f. werden wir darauf noch einmal zurückkommen). Und tatsächlich besitzen Pflanzen Tausende von Wurzelspitzen, von denen jede mit einem »Rechenzentrum« ausgestattet ist. Wir wählen hier bewusst den Begriff »Rechenzentrum«, um noch dem hartnäckigsten Kritiker klarzumachen, dass weder Darwin noch heutige Forscher je behauptet haben, Wurzeln besäßen ein – nussförmiges oder dem menschlichen ähnliches – Gehirn, das bloß jahrtausendelang übersehen worden sei. Vielmehr geht die Wissenschaft davon aus, dass ein pflanzliches Äquivalent in den Wurzelspitzen zahlreiche Funktionen des Tiergehirns ausführen kann. Kein Grund zur Panik also.

      Darwins These hätte eine beträchtliche Wirkung entfalten können – wenn er sich nicht davor gehütet hätte, sie in seinen Büchern weiterzuentwickeln. Das Bewegungsvermögen der Pflanzen verfasste er in hohem Alter. Er wusste, dass Pflanzen intelligente Organismen sind, aber ebenso, dass er mit dieser These erneut in ein Wespennest stechen würde. Und da er schon genug Mühe hatte, seine Kritiker davon zu überzeugen, dass der Mensch vom Affen abstammt, überließ er die Weiterentwicklung seiner botanischen Theorie anderen, vor allem seinem Sohn.

      Die Theorien und Forschungsarbeiten von Charles Darwin hatten großen Einfluss auf Francis Darwin (1848–1925), seinen Sohn, der die väterlichen Forschungen fortführte. Francis Darwin gehörte zu den weltweit ersten Lehrstuhlinhabern für Pflanzenphysiologie und war Verfasser der ersten englischsprachigen Abhandlung über die neue Disziplin. Ende des 19. Jahrhunderts galten Pflanzen und Physiologie noch als unvereinbare Konzepte. Doch Francis Darwin, der mit seinem Vater jahrelang Pflanzen und deren Verhalten erforscht hatte, hielt sie schließlich sogar für intelligent. Bei der Eröffnung des Jahreskongresses der British Association for the Advancement of Science am 2. September 1908 sagte der inzwischen weltberühmte Botaniker ohne jede diplomatische Zurückhaltung: »Pflanzen sind intelligente Lebewesen.« Seine Aussage löste, wenig überraschend, einen Sturm der Entrüstung aus. Francis Darwin blieb nichtsdestotrotz bei seiner These und veröffentlichte in der Zeitschrift Science noch im selben Jahr einen dreißigseitigen Artikel zu dem Thema.

      Seine These stieß auf enorme Resonanz und entfachte in der Presse eine weltweite Debatte, bei der sich zwei wissenschaftliche Lager unversöhnlich gegenüberstanden: auf der einen Seite die Anhänger von Francis Darwin, die angesichts der erdrückenden Beweislage von der Intelligenz der Pflanzen überzeugt waren, auf der anderen Seite all jene, die seine These entrüstet ablehnten. Genau wie im alten Griechenland!

      Bereits einige Jahre zuvor hatte Charles Darwin einen regen Briefwechsel mit einem italienischen Botaniker geführt, dessen Namen heute zu Unrecht in Vergessenheit geraten ist. Federico Delpino (1833–1905) zählte zu den bedeutendsten Naturforschern seiner Zeit: Er ist der eigentliche Erfinder der Pflanzenbiologie. Der außergewöhnliche wissenschaftliche Denker und Leiter des Botanischen Gartens von Neapel war, unter anderem durch seinen Briefwechsel mit Darwin, davon überzeugt, dass Pflanzen intelligent sind, und beschäftigte sich in vielen Versuchen mit der Symbiose von Pflanzen und Ameisen, der sogenannten Myrmekophylaxis (von griechisch múrmex, Ameise, und phílos, Freund).

      Darwin wusste nur allzu gut, dass zahlreiche Pflanzen nicht nur in der Blüte Nektar erzeugen – obwohl Nektar natürlich überwiegend in der Blüte erzeugt wird, um Insekten als Pollenträger anzulocken. Er beobachtete auch, dass der süße Nektar Ameisen anzieht, erforschte das Phänomen aber nie näher, weil er annahm, dass die Pflanze mit den sogenannten »extrafloralen Nektarien« lediglich Reststoffe absondere. Delpino war in diesem Punkt völlig anderer Meinung als sein berühmter Lehrmeister. Denn Nektar, so wusste er, ist ein energiereicher Stoff, dessen Produktion für die Pflanzen sehr aufwendig ist. Warum, so fragte er sich, sollten sie ihn dann wieder absondern? Es musste noch eine andere Erklärung geben. Aufgrund seiner Beobachtungen kam Delpino zu dem Schluss, dass »Ameisenpflanzen« eine ausgefeilte Verteidigungsstrategie verfolgen und extraflorale Nektarien ausscheiden, um damit Ameisen anzulocken: Denn wie brave Soldaten schützen die wohlgenährten Ameisen die Pflanze vor ihren Feinden, den Pflanzenschädlingen. Jeder, der sich schon einmal auf einer Wiese niedergelassen und die Bisse der aggressiven Hautflügler zu spüren bekommen hat, weiß, wovon Delpino redet. Ameisen rotten sich bei Gefahr auf der Stelle zusammen, greifen den potenziellen Räuber an und zwingen ihn zum Rückzug! Wer wollte da noch abstreiten, dass beide Arten davon prächtig profitieren?

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      Der Artikel der »New York Times« über Francis Darwin, der auf dem Jahreskongress der British Association for the Advancement of Science 1908 erklärte: Pflanzen besitzen eine grundlegende Intelligenz.

      Auf dem Foto von links nach rechts: D.G. Hogarth, W. Dunstan, A.G. Harcourt, S. Hartland, T. Anderson, R.T. Glazebrook, C. Hawkesley, G. Darwin, A.S. Woodward, S. Dewar, C. Foster, F. Darwin, W.A. Herdman, A.C. Haddon, A. Geikie, S. Vincent, E. Brabook, O. Lodge

      Bei den Ameisen, die auf diese Weise ihre Futterquelle verteidigen, gehen die Insektenforscher von intelligentem Verhalten aus, doch die Botaniker sehen die Sache bis heute völlig anders. Nur wenige gestehen den Pflanzen ein intelligentes – oder absichtsvolles – Verhalten zu und betrachten die extraflorale Nektarabsonderung als eine bewusste Strategie, mit der sich Pflanzen ihre ungewöhnlichen Bodyguards geneigt machen.

      Pflanzen: die ewigen Zweiten

      Kein Wunder also, dass zahlreiche wissenschaftliche Erkenntnisse, die wir Pflanzenversuchen verdanken, häufig erst nach Jahren – und nach analogen Tierversuchen – von der Wissenschaftswelt anerkannt werden. Selbst bedeutsame Entdeckungen über Grundvorgänge des Lebens sind nicht davor gefeit, mehr oder minder ignoriert oder völlig unterschätzt zu werden, solange sie die Pflanzenwelt betreffen. Erst wenn Tiere ins Spiel kommen, erlangen sie dann mit einem Schlag Berühmtheit.

      Das gilt etwa für die Erbsenversuche von Gregor Johann Mendel (1822–1884): Sie läuteten die Geburtsstunde der Genetik ein, doch ihre Ergebnisse blieben vierzig Jahre lang völlig unbeachtet – bis die Genetik mit den ersten Tierversuchen einen Boom erlebte. Dasselbe Schicksal ereilte Barbara McClintock (1902–1992). Allerdings mit glücklicherem Ausgang: Sie erhielt für ihre Entdeckung der genomischen Instabilität 1983 schließlich den Nobelpreis.

      Bis zu ihrer bahnbrechenden Entdeckung hielt man das Genom (Erbgut) für statisch und dachte, es könne sich im Laufe eines Lebens nicht verändern. Die »Konstanz des Genoms« war als wissenschaftliche Lehrmeinung