Ramin M., der den Bodyguard in mehreren Fällen vertreten hatte, kundtat. M. hörte dem gesprächigen Mann, einem der engsten Mitarbeiter des FPÖ-Chefs, aufmerksam zu. Ob damals schon der Plan geschmiedet wurde, Heinz-Christian Strache zu vernichten, kann anhand der mittlerweile vorliegenden Dokumente nicht gesichert angenommen werden.
Feststeht allerdings, dass sich Oliver R. in der zweiten Hälfte des Jahres 2014 nochmals an M. gewandt hat. Diesmal scheinbar mit belastendem Material gegen Strache. Dem Vernehmen nach sollen Fotos von einer mit Bargeld gefüllten Sporttasche gezeigt worden sein. Weiters soll auch über angeblichen Suchtgiftmissbrauch des damaligen FPÖ Chefs gesprochen worden sein. Ramin M. soll dafür Beweise verlangt haben.2
Wurden bei Straches Friseurbesuch Haare abgezweigt?
Die Jagd auf Heinz-Christian Strache nimmt erst jetzt so richtig Fahrt auf. Denn Oliver R. nützt einen Friseurbesuch seines Chefs, um Haare abzuzweigen, die im Fall einer forensischen Analyse als Beweis für den behaupteten Drogenkonsum herangezogen werden könnten. Mit dem nun erlangten Zugriff auf die vermeintlichen Beweise, berät sich Ramin M. mit seinem bei den NEOS in führender Rolle tätigen Jugendfreund Christoph J. über die weitere Vorgehensweise. Bei einem Treffen der beiden mit „Sicherheitsmann“ Oliver R. verständigen sie sich darauf, den ehemaligen ÖVP-Politiker Fritz Kaltenegger hinzuzuziehen. Kaltenegger war von 2008 bis 2011 Generalsekretär der Volkspartei und ist nach wie vor gut in der Partei vernetzt. Er stellt den Kontakt zum Direktor der ÖVP-Parteiakademie, Dietmar Halper und zu VP-Parteianwalt Werner Suppan her. In weiterer Folge gesellt sich auch der ehemalige Pressemann von ÖVP-Vizekanzler Josef Pröll, Daniel Kapp, zu dieser illustren Runde.3
Im September 2014 wird erstmals konkret über Geld gesprochen. Und zwar bei einem Treffen zwischen Halper, Suppan und M. in dessen Anwaltskanzlei. Die Herren besprechen eine „finanzielle Absicherung“ für Oliver R., der – nach der geplanten „Aktion gegen seinen Chef“ – ohne Job dastehen würde. Laut Aussage von M. sei damals ein Betrag von 40.000 bis 70.000 Euro in Aussicht gestellt worden.4
Diese Summe waren die hochrangigen Vertreter der ÖVP offenbar bereit aufzutreiben, um den damaligen FPÖ-Obmann zur Strecke zu bringen, wobei man vor allem am mutmaßlichen Suchgiftmissbrauch von Strache interessiert war.
Der ehemalige Chef der ÖVP-Parteiakademie, Dietmar Halper, bestätigte in seiner Einvernahme im „Ibiza“-Untersuchungsausschuss zwar, dass es dieses Treffen in der Anwaltskanzlei gab, bestritt aber gleichzeitig, dass ein Betrag genannt wurde. Warum M. von 40.000 bis 70.000 Euro gesprochen habe, wisse er nicht.5 Pikantes Detail am Rande ist allerdings, dass er über dieses Treffen mit niemanden gesprochen haben will, „denn das war ja nur -- (sic)“, so Halper.6
Demnach hat er also alles für sich behalten. Ob man es für lebensnah hält, dass der Chef der ÖVP-Parteiakademie eine derartige politische Bombe weder dem damaligen Präsidenten der Akademie, Sebastian Kurz, noch dem damaligen Parteiobmann Reinhold Mitterlehner mitteilte, kann jeder selbst beurteilen.
Parallel dazu vermittelt Fritz Kaltenegger einen weiteren Gesprächskanal in dieser Causa, nämlich in das Bundeskriminalamt zu Andreas Holzer. Dieser wird nach der Veröffentlichung des Videos skurrilerweise Chef der „Soko-Tape“, also jener Einheit, die mit den Ermittlungen zur Causa „Ibiza“ betraut wurde.7
Am 27. März 2015 kommt es im Bundeskriminalamt zu einem Treffen zwischen Holzer und Rechtsanwalt M., dem auch der Nachfolger Holzers als Soko-Chef, Dieter Csefan beiwohnt. Der Anwalt erzählt dort von angeblichem Suchtgiftkonsum und der mutmaßlichen Finanzierung des Privatlebens Straches aus Parteigeldern.8
Holzer gab später im Untersuchungsausschuss an, dass er die Anschuldigungen über einen mutmaßlichen Drogenkonsum Straches damals bereits gekannt habe, schien aber in erster Linie an den Hintermännern, den Lieferanten interessiert gewesen zu sein.9
Wie aus einem später ergänzten Aktenvermerk hervorgeht, versuchten die Kriminalpolizisten in den Wochen nach diesem Treffen mehrmals, Rechtsanwalt M. zu erreichen, jedoch vergeblich. Es wurden keine Ermittlungen eingeleitet, da der Mandant von M., Oliver R., nicht in Erscheinung treten wollte und somit keine konkreten Hinweise vorlagen.10
„Der Typ hat eine Menge Geld gefordert“
Über den Grund, weshalb Oliver R. beim Bundeskriminalamt nicht in Erscheinung treten wollte, kann nur gemutmaßt werden.
Über die finanziellen und politischen Absichten von M. und Oliver R. sagte Holzer in einem Interview vom 27.5.2020 gegenüber „oe24“:
„Der Anwalt ist damals bei mir aufgetaucht und hat gesagt: Vor den Landtagswahlen 2015 müsst ihr mit euren Ermittlungen gegen Strache fertig sein.‘ Der Typ hat dann eine Menge Geld vom Innenministerium gefordert – aber er hat uns nicht sagen wollen, von wem er das angebliche Belastungsmaterial hatte.“11
Nachdem sich Oliver R. dem Vernehmen nach nicht mit den in Aussicht gestellten 70.000 Euro zufrieden geben will, betritt ein weiterer Spieler der ÖVP die Bühne. Daniel Kapp, der in der PR-Branche als Mastermind für „spezielle Einsätze“ der ÖVP gilt, unternimmt einen weiteren Anlauf, die Vorwürfe gegen Strache an die Öffentlichkeit zu bringen. Seine Destination ist die SPÖ. Kurz vor der Wiener Landtagswahl im Jahr 2015 kontaktiert Kapp deren PR-Berater Rudi Fußi und erzählt ihm vom Material gegen Strache: von den Fotos von Geldtaschen, den beim Friseur entwendeten Haaren, aber auch von regelmäßigen Besuchen Straches bei einer Esoterikern vor wichtigen Entscheidungen. Der ÖVP-Mann Kapp fragt also bei der SPÖ an, ob sie sich hier nicht beteiligen wolle.
Fußi informiert daraufhin den damaligen SPÖ-Bundesgeschäftsführer Georg Niedermühlbichler. Dieser, 2015 auch Wahlkampfmanager der Wiener SPÖ, sagte dem „Standard“ im September 2019, dass es damals Gerüchte über belastendes Material über Strache gegeben habe. „Gesehen habe ich die Bilder aber nie“, meinte er.12
Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass auch bei den NEOS wegen einer finanziellen Beteiligung angeklopft wurde. Das behauptete Rudi Fußi in seiner Zeugeneinvernahme gegenüber der Polizei. Bestätigt wurde die Aussage von NEOS-Generalsekretär Nick Donig Ende Mai 2019 gegenüber der Zeitung „Welt am Sonntag“. Der Partei, so Donig, seien belastende, verwackelte Bilder und SMS-Chatverläufe von Strache zum Kauf angeboten worden. Die NEOS hätten aber abgelehnt. Donig bestätigte auf eine Anfrage des „Standard“ im September 2019, dass Anwalt Ramin M. in Verkaufsgespräche involviert gewesen sei.13
Brisant: Ein anonymer Informant, wie ihn der „Standard“ bezeichnete, sagte der Zeitung, dass sich die Verhandlungsgespräche 2015 bereits „konkret um das Spesenthema“ von Heinz-Christian Strache gedreht hätten. Um jene Spesen also, die nach der „Ibiza-Affäre“ zum endgültigen Bruch zwischen der FPÖ und ihrem früheren Parteichef führten. Heikel ist die Sache deshalb, weil es hier um einen Betrugsverdacht ging, den man – wer auch immer davon wusste – den Behörden verschwieg.
Dennoch, der perfide Plan, Heinz-Christian Strache ans Messer zu liefern, scheiterte vorerst.
In den Monaten nach diesen Geschehnissen, vor allem im Sommer 2015, sollte sich die politische Landschaft in Österreich nachhaltig verändern. Durch die Flüchtlingswelle und die verfehlte Asylpolitik der österreichischen Bundesregierung gerieten die ehemaligen Großparteien SPÖ und ÖVP zunehmend unter Druck. Im Oktober 2015 errang die FPÖ bei der Landtags- und Gemeinderatswahl in Wien mit knapp 31 Prozent einen deutlichen Wahlsieg.
Ein halbes Jahr später, bei der Bundespräsidentschaftswahl 2016, erreichte keiner der Kandidaten von SPÖ oder ÖVP die Stichwahl. Norbert Hofer, Kandidat der Freiheitlichen, erhielt 35 Prozent und mit Abstand die meisten Stimmen. Während die FPÖ in Umfragen mittlerweile stärkste Partei in Österreich war, hatten Rot und Schwarz zusammen keine Mehrheit. Nervosität und Angst beim politischen