Georg Schwikart

Windhauch und Wein


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die Leute geschlafen. Aber wenn der Busfahrer gefahren ist, dann haben sie gebetet.“ Und die Mönche lachten! (Wie ich lernte, dürfen sie das in Thailand durchaus, nicht aber im benachbarten Burma, da gilt in aller Strenge Lachen als unpassend für einen Mönch.)

      In den Gesprächen, die ich mit Kevali führen durfte, merkten wir immer wieder, dass die für uns so selbstverständlichen Begriffe unserer eigenen Religion der Übersetzung bedürfen. Es gibt zahlreiche Ähnlichkeiten und gravierende Unterschiede in den uns prägenden Glaubenssystemen. Am letzten Abend meines Besuchs war ich eingeladen, vor Mönchen und Laienanhängern über das Christentum zu sprechen. Ich erzählte die Lebensgeschichte Jesu.

      Kevali, der Jünger Buddhas, und ich, der Jünger Jesu, schätzen uns, weil wir wissen, wie aufrichtig wir beide versuchen, unseren Weg zu gehen. Wir machen uns gegenseitig nichts vor und bekennen einander die Schwierigkeiten und Herausforderungen, auf der Spur zu bleiben.

      Von wem stammt wohl dieser Spruch: „Verweile nicht in der Vergangenheit, träume nicht von der Zukunft. Konzentriere dich auf den gegenwärtigen Moment“? Von Buddha, aber Kohelet hätte es genauso sagen können.

      Wenn ich in Thailand einen Tempel betrat, warf ich mich wie alle anderen je drei Mal vor der Buddha-Statue nieder. Buddha ist kein Gott. Buddha war überzeugt: Götter können nicht helfen, ein jeder Mensch ist sterblich und zuvor ist sein Leben leidvoll. Die letztendliche Befreiung muss jeder allein vollbringen. Das sehe ich anders. Ich vertraue auf die Gnade. Aber ich bin sehr angetan von der edlen Weisheit des Erhabenen. Er sucht nicht das Glück, sondern den Frieden. Für mich ein Name Gottes.

       Vom Segen des Vergessens

      Das vorweg: Die handelnden Personen sind weder verrückt noch dumm. Aber der Konflikt war es …, mindestens überflüssig, vor allem vermeidbar. Die Sache selbst ist kaum der Rede wert, sorgte aber für bitteren Nachgeschmack. Und der kann lange anhalten.

      Merle, eine Theologiestudentin, die sich auf das Pfarramt vorbereitet und in meiner Gemeinde einen Minijob innehat, ist an der Reihe mit dem „Gebet am Mittwoch“, einem kleinen Audio-Angebot auf der Homepage. Ich höre es mir vor dem Frühstück an und muss nach den ersten drei Worten auflachen: „Liebe Mutter Gottes!“, sagt Merle. Mir ist sofort klar, sie redet hier nicht Maria an (das Konzil von Ephesus im Jahre 431 verlieh ihr den Ehrentitel „Theotokos“ – „die Gottesgebärerin“). Für Merle ist Geschlechtergerechtigkeit selbstverständlich. Ich bin mir absolut sicher, sie spricht in Anlehnung an Gott Vater hier von Mutter Gott. Ein Grammatikfehler.

      So beschloss ich herauszufinden, was die Weisheit von der Verrücktheit und der Dummheit unterscheidet. Denn was wird der Mensch tun, der nach dem König kommen wird? Natürlich das, was man schon immer gemacht hat. Ich stellte fest, dass Weisheit wertvoller ist als Dummheit, genauso wie Licht besser ist als Dunkelheit. Denn der Weise hat Augen im Kopf und kann sehen, der Dummkopf dagegen ist blind und tappt im Dunkeln umher. Gleichzeitig erkannte ich aber, dass Weise und Dummköpfe am Ende das gleiche Schicksal ereilt. Da dachte ich mir: „Wenn es mir genauso ergehen wird wie dem Dummkopf – was hatte es dann für einen Sinn, dass ich mich so um Weisheit bemüht habe?“ Und ich sagte mir: „Das ist doch auch unnütz!“ Man erinnert sich an den Weisen ebenso wenig wie an den Dummen: Später, in der Zukunft, wird sowieso alles vergessen sein. Der Weise muss genauso sterben wie der Dummkopf!(Prediger 2,12–16)

      Nach dem Frühstück rufe ich Merle an. „Hast du ein inniges Verhältnis zur Gottesmutter?“, frage ich so beiläufig wie möglich, um mich zu vergewissern, ob ich wirklich richtigliege. Merle reagiert wie erwartet: „Hä?“ Dann kläre ich sie darüber auf, dass ihre Formulierung zu Missverständnissen führen könnte. Wir lachen beide.

      Das vergeht uns, als sich ein Ehepaar aufgeregt beschwert – per E-Mail an die gesamte Gemeindeleitung; immerhin haben die Leute die Adressen von 14 Mitgliedern des Presbyteriums in den Computer eingegeben. Im Kern lautet der Vorwurf, da würde von Merle zur Marienanbetung aufgerufen! Im Übrigen hätte ich das als Pfarrer ja schon in der Predigt an Heiligabend vorbereitet. Meine Textgrundlage war das Magnifikat gewesen, der Lobgesang Mariens.

      Was mit einer falschen Wortendung begonnen hatte, gewann eine absurde Dimension: Die Identität der evangelischen Gemeinde stand auf dem Spiel! Zu ihrem Selbstverständnis gehört offensichtlich, auf jeden Fall alles abzulehnen, was nur einen katholischen Hauch an sich haben könnte, wie das Thema Maria zum Beispiel. Martin Luther sah das entspannter.

      Aus der Gemeinde forderte jemand, Merle dürfe, wenn ihr so etwas passiere, nicht Pfarrerin werden. Einer Ehrenamtlichen bereitete diese Bemerkung eine schlaflose Nacht.

      Was mich so betrübt: Ich kenne das Ehepaar. Wir hatten ein nettes, offenes Verhältnis; warum haben sie mich nicht einfach angesprochen und gefragt: „Was war das denn da mit der Muttergottes?“ Warum diese Aufregung? Das kostete ein großes Stück unseres Vertrauens.

      Eine (evangelische) Hörerin des „Gebetes am Mittwoch“ meinte, sie sei tatsächlich davon ausgegangen, Maria sei angesprochen worden, und das habe sie überhaupt nicht gestört. Sie würdigte den schönen und tiefen Inhalt von Merles Gebet. Ja, Merle wird eine fabelhafte Pfarrerin werden.

      Diese Muttergottes-Episode steht symptomatisch für Auseinandersetzungen im Mikrokosmos Gemeinde. Hier ist jemand gekränkt, weil er sich nicht angemessen gegrüßt fühlt. Dort beschwert sich einer und möchte in der Predigt nicht geduzt werden (wenn ich zum Beispiel frage „Wisst ihr, was ich meine?“). Über die meisten Vorwürfe und Auseinandersetzungen kann man außerhalb des Gemeinde-Biotops nur den Kopf schütteln. Wir beschäftigen uns viel und gern und ausführlich mit uns selbst. Und wenn ich höre, was anderswo los ist, geht’s uns noch gut.

      Dabei ist der Anspruch ein ganz anderer. Der abstrakte Begriff Kirche soll in der Gemeinde konkret werden: Wir, diese unvollkommenen und unterschiedlichen Menschen, sind die Gemeinschaft der Heiligen. Wir repräsentieren als Leib Christi das Reich Gottes. Wir sind kein Selbstzweck, sondern im Auftrag des Herrn unterwegs – befähigt, seine Botschaft in die Welt zu tragen. … Die Theologin Dorothee Sölle hat solche theologische Phrasendrescherei entlarvt und sagt: „Dass Gott uns alle und sogar jeden einzelnen liebt, ist eine allgemeine theologische Wahrheit, die ohne Übersetzung zur allgemeinen Lüge wird. Die Übersetzung dieses Satzes ist die weltverändernde Praxis.“ An der Umsetzung scheitern wir immer wieder gnadenlos.

      Unser gegenseitiges Beurteilen und Verurteilen hat mit dem Evangelium nicht mehr viel zu tun. Wir benehmen uns verrückt und dumm, weil es uns an Weisheit mangelt, würde Kohelet diagnostizieren. Das macht alles unnütz. Und am Ende muss der Weise genauso sterben wie der Dummkopf. Stimmt. Aber in der Zeit davor liegt es in unserer Hand, das Leben etwas erträglicher zu gestalten. Gottes Liebe im Alltag zu praktizieren verändert die Welt. Wir verlieren nicht nur Kirchenmitglieder, weil die Menschen aufhören, an Gott zu glauben, sondern auch, weil es bei uns oft genug so wenig wohlwollend zugeht.

      „Später, in der Zukunft, wird sowieso alles vergessen sein.“ Welch ein Segen! Dank sei Mutter Gott!

       Begriff im Wandel

      Herrn Lipkos Anzug sitzt wie maßgeschneidert. Die – wohl italienische – Seidenkrawatte gleicht einem Schmuckstück. Haare adrett, Schuhe tipptopp. Diese lässige Haltung, in der er mir gegenübersitzt. Er möchte jünger aussehen, als er ist. Seine erfolgreiche Karriere lässt er im Gespräch so nebenbei einfließen, ebenso die beeindruckenden Berufe seiner Kinder. Über seine Kontakte zu wichtigen Persönlichkeiten der Gesellschaft berichtet er anekdotenhaft. Mit einem Wort: Der Mann ist eitel. Ich gestehe, dass ich Frauen diese Eigenschaft großzügiger durchgehen lasse als Männern.

      Eitelkeit: Da setzt ein Mensch alles daran, als schön und besonders wahrgenommen zu werden. Soll er doch! Ich empfinde statt Hochachtung eher so etwas wie Mitleid mit den Eitlen. Durch ihr Auftreten und Verhalten geben sie zu erkennen, dass sie mit dem, wie sie wirklich sind, keinen Frieden haben. Sie können sich mit ihrer eigenen Unvollkommenheit und Normalität nicht versöhnen. Ich kann das gut nachvollziehen, gibt es doch auch in mir Anflüge