Joseph von Eichendorff

Gesammelte Werke


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ein anderer fast einzig das hohe Wort. Es war ein junger, voller Mensch mit strotzender Gesundheit, ein Antlitz, das vor wohlbehaglicher Selbstgefälligkeit glänzte und strahlte. Er wußte für jedes Ding ein hohes Schwungwort, lobte und tadelte ohne Maß und sprach hastig mit einer durchdringenden, gellenden Stimme. Er schien ein wütend Begeisterter von Profession und ließ sich von den Frauenzimmern, denen er sehr gewogen schien, gern den heiligen Thyrsusschwinger nennen. Es fehlte ihm dabei nicht an einer gewissen schlauen Miene, womit er niedere, nicht so saftige Naturen seiner Ironie preiszugeben pflegte. Friedrich wußte gar nicht, wohin dieser während seiner Deklamationen so viel Liebesblicke verschwende, bis er endlich ihm gerade gegenüber einen großen Spiegel entdeckte.

      Der Begeisterte ließ sich nicht lange bitten, etwas von seinen Poesien mitzuteilen. Er las eine lange Dithyrambe von Gott, Himmel, Hölle, Erde und dem Karfunkelstein mit angestrengtester Heftigkeit vor, und schloß mit solchem Schrei und Nachdruck, daß er ganz blau im Gesichte wurde. Die Damen waren ganz außer sich über die heroische Kraft des Gedichts, sowie des Vortrags.

      Ein anderer junger Dichter von mehr schmachtendem Ansehn, der neben der Frau vom Hause seinen Wohnsitz aufgeschlagen hatte, lobte zwar auch mit, warf aber dabei einige durchbohrende, neidische Blicke auf den Begeisterten, vom Lesen ganz Erschöpften. Überhaupt war dieser Friedrich schon von Anfang an durch seinen großen Unterschied von jenen beiden Flausenmachern aufgefallen. Er hatte sich während der ganzen Zeit, ohne sich um die Verhandlungen der andern zu bekümmern, ausschließlich mit der Frau vom Hause unterhalten, mit der er eine Seele zu sein schien. Ihre Unterhaltung mußte sehr zart sein, wie man von dem süßen, zugespitzten Munde beider abnehmen konnte, und Friedrich hörte nur manchmal einzelne Laute, wie: »mein ganzes Leben wird zum Roman« »überschwengliches Gemüt« »Priesterleben« herüberschallen. Endlich zog auch dieser ein ungeheures Paket Papiere aus der Tasche und begann vorzulesen, unter andern folgendes Assonzlied:

      Hat Lenz die silbern'n Bronnen

       Losgebunden:

       Knie ich nieder, süßbeklommen,

       In die Wunder.

      Himmelreich so hoch geschwommen

       Auf die Wunden!

       Hast du einzig mich erkoren

       Zu den Wundern?

      In die Ferne süß verloren,

       Lieder fluten,

       Daß sie, rückwärts sanft erschollen,

       Bringen Kunde.

      Was die andern sorgen wollen,

       Ist mir dunkel,

       Mir will ew'ger Durst nur frommen

       Nach dem Durste.

      Was ich liebte und vernommen,

       Was geklungen,

       Ist den eignen, tiefen Wonnen

       Selig Wunder!

      Weiter folgendes Sonett:

      Ein Wunderland ist oben aufgeschlagen,

       Wo goldne Ströme gehn und dunkel schallen

       Und durch ihr Rauschen tief' Gesänge hallen,

       Die möchten gern ein hohes Wort uns sagen.

       Viel goldne Brücken sind dort kühn geschlagen,

       Darüber alte Brüder sinnend wallen

       Und seltsam' Töne oft herunterfallen

       Da will tief Sehnen uns von hinnen tragen.

       Wen einmal so berührt die heil'gen Lieder:

       Sein Leben taucht in die Musik der Sterne,

       Ein ewig Ziehn in wunderbare Ferne.

       Wie bald liegt da tief unten alles Trübe!

       Er kniet ewig betend einsam nieder,

       Verklärt im heil'gen Morgenrot der Liebe.

      Er las noch einen Haufen Sonette mit einer Art von priesterlicher Feierlichkeit. Keinem derselben fehlte es an irgend einem wirklich aufrichtigen kleinen Gefühlchen, an großen Ausdrücken und lieblichen Bildern. Alle hatten einen einzigen, bis ins Unendliche breit auseinandergeschlagenen Gedanken, sie bezogen sich alle auf den Beruf des Dichters und die Göttlichkeit der Poesie, aber die Poesie selber, das ursprüngliche, freie, tüchtige Leben, das uns ergreift, ehe wir darüber sprechen, kam nicht zum Vorschein vor lauter Komplimenten davor und Anstalten dazu. Friedrich kamen diese Posierer in ihrer durchaus polierten, glänzenden, wohlerzogenen Weichlichkeit wie der fade, unerquickliche Teedampf, die zierliche Teekanne mit ihrem lodernden Spiritus auf dem Tische wie der Opferaltar dieser Musen vor. Er erinnerte sich bei diesem ästhetischen Geschwätz der schönen Abende im Walde bei Leontins Schloß, wie da Leontin manchmal so seltsame Gespräche über Poesie und Kunst hielt, wie seine Worte, je finsterer es nach und nach ringsumher wurde, zuletzt eins wurden mit dem Rauschen des Waldes und der Ströme und dem großen Geheimnisse des Lebens, und weniger belehrten als erquickten, stärkten und erhoben.

      Er erholte sich recht an der erfrischenden Schönheit Rosas, in deren Gesicht und Gestalt unverkennbar der herrliche, wilde, oft ungenießbare Berg- und Waldgeist ihres Bruders zur ruhigeren, großen, schönen Form geworden war. Sie kam ihm diesen Abend viel schöner und unschuldiger vor, da sie sich fast gar nicht in die gelehrten Unterhaltungen mit einmischte. Höchst anziehend und zurückstoßend zugleich erschien ihm dagegen ihre Nachbarin, die junge Gräfin Romana, welche er sogleich für die griechische Figur in dem Tableau erkannte, und die daher heute allgemein die schöne Heidin genannt wurde. Ihre Schönheit war durchaus verschwenderisch reich, südlich und blendend und überstrahlte Rosas mehr deutsche Bildung weit, ohne eigentlich vollendeter zu sein. Ihre Bewegungen waren feurig, ihre großen, brennenden, durchdringenden Augen, denen es nicht an Strenge fehlte, bestrichen Friedrich wie ein Magnet. Als endlich der Schmachtende seine Vorlesung geendigt hatte, wurde sie ziemlich unerwartet um ihr Urteil darüber befragt. Sie antwortete sehr kurz und verworren, denn sie wußte fast kein Wort davon; sie hatte währenddessen heimlich ein auffallend getroffenes Porträt Friedrichs geschnitzt, das sie schnell Rosa zusteckte. Bald darauf wurde auch sie aufgefordert, etwas von ihren Poesien zum besten zu geben. Sie versicherte vergebens, daß sie nichts bei sich habe, man drang von allen Seiten, besonders die Weiber mit wahren Judasgesichtern, in sie, und so begann sie, ohne sich lange zu besinnen, folgende Verse, die sie zum Teil aus der Erinnerung hersagte, größtenteils im Augenblick erfand und durch ihre musikalischen Mienen wunderbar belebte:

      Weit in einem Walde droben,

       Zwischen hoher Felsen Zinnen,

       Steht ein altes Schloß erhoben,

       Wohnet eine Zaubrin drinne.

       Von dem Schloß, der Zaubrin Schöne,

       Gehen wunderbare Sagen,

       Lockend schweifen fremde Töne

       Plötzlich her oft aus dem Walde.

       Wem sie recht das Herz getroffen,

       Der muß nach dem Walde gehen,

       Ewig diesen Klängen folgend,

       Und wird nimmermehr gesehen.

       Tief in wundersamer Grüne

       Steht das Schloß, schon halb verfallen,

       Hell die goldnen Zinnen glühen,

       Einsam sind die weiten Hallen.

       Auf des Hofes stein'gem Rasen

       Sitzen von der Tafelrunde

       All die Helden dort gelagert,

       Überdeckt mit Staub und Wunden.

       Heinrich liegt auf seinem Löwen,

       Gottfried auch, Siegfried der Scharfe,

       König Alfred, eingeschlafen

       Über seiner goldnen Harfe.

       Don Quixote hoch auf der Mauer,

       Sinnend tief in nächt'ger Stunde,

       Steht gerüstet auf der Lauer