Joseph von Eichendorff

Gesammelte Werke


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weiter sie kamen, je erinnernder und sehnsüchtiger sprach jede Stelle zu ihm; oft verwandelte sich auf einmal alles wieder, ein Baum, ein Hügel legte sich fremd vor seine Aussicht wie in eine uralte, wehmütige Zeit, doch konnte er sich durchaus nicht besinnen.

      So hatten sie nach und nach den Gipfel des Berges erreicht. Freudig überrascht standen sie beide still, denn eine überschwengliche Aussicht über Städte, Ströme und Wälder, soweit die Blicke in das fröhlichbunte Reich hinauslangten, lag unermeßlich unter ihnen. Da erinnerte sich Friedrich auf einmal; das ist ja meine Heimat! rief er, mit ganzer Seele in die Aussicht versenkt. Was ich sehe, hier und in die Runde, alles gemahnt mich wie ein Zauberspiegel an den Ort, wo ich als Kind aufwuchs! Derselbe Wald, dieselben Gänge – nur das schöne, altertümliche Schloß finde ich nicht wieder auf dem Berge. -

      Sie stiegen weiter und erblickten wirklich auf dem Gipfel im Gebüsche die Ruinen eines alten, verfallenen Schlosses. Sie kletterten über die umhergeworfenen Steine hinein und erstaunten nicht wenig, als sie dort ein steinernes Grabmal fanden, das ihnen durch seine Schönheit sowohl, als durch seine mannigfaltige Bedeutsamkeit auffiel. Es stellte nämlich eine junge, schöne fast wollüstig gebaute weibliche Figur vor, die tot über den Steinen lag. Ihre Arme waren mit künstlichen Spangen, ihr Haupt mit Pfauenfedern geschmückt. Eine große Schlange, mit einem Krönlein auf dem Kopfe, hatte sich ihr dreimal um den Leib geschlungen. Neben und zum Teil über dem schönen Leichnam lag ein altgeformtes Schwert, in der Mitte entzwei gesprungen, und ein zerbrochenes Wappen. Aus dieser Gruppe erhob sich ein hohes, einfaches Kreuz, mit seinem Fuße die Schlange erdrückend.

      Friedrich traute seinen Augen kaum, da er bei genauerer Betrachtung auf dem zerbrochenen Schilde sein eigenes Familienwappen erkannte. Seine Augen fielen dabei noch einmal aufmerksamer auf die weibliche Gestalt, deren Gesicht soeben von einem glühenden Abendstrahle hell beleuchtet wurde. Er erschrak und wußte doch nicht, warum ihn diese Mienen so wunderbar anzogen. Endlich nahm er das kleine Porträt hervor, das sie auf Erwinens Brust gefunden hatten. Es waren dieselben Züge, es war das schöne Kind, mit dem er damals in dem Blumengarten seiner Heimat gespielt; nur das Leben schien seitdem viele Züge verwischt und seltsam entfremdet zu haben. Ein wehmütiger Strom von Erinnerungen zog dadurch seine Seele, dem er kaum mehr in jenes frühste, helldunkle Wunderland nachzufolgen vermochte. Er fühlte schaudernd seinen eigenen Lebenslauf in den geheimnisvollen Kreis dieser Berge mit hineingezogen.

      Er setzte sich voller Gedanken auf das steinerne Grabmal und sah in die Täler hinunter, wie die Welt da nur noch in einzelnen, großen Farbenmassen durcheinander arbeitete, in welche Türme und Dörfer langsam versanken, bis es dann still wurde wie über einem beruhigten Meere. Nur das Kreuz auf ihrem Berge oben funkelte noch lange golden fort.

      Da hörten sie auf einmal hinter ihnen eine Schalmei über die Berge wehen; die Töne blieben oft in weiter Ferne aus, dann brachen sie auf einmal wieder mit neuer Gewalt durch die ziehenden Wolken herüber. Sie sprangen freudig auf. Sie zweifelten längst nicht mehr, daß sie sich in dem Gebiete des sonderbaren Mannes befänden, zu dem sie von Erwin hingewiesen worden. Um desto willkommener war es ihnen, endlich einen Menschen zu finden, der ihnen aus diesem wunderbaren Labyrinthe heraushelfe, in dem ihre Augen sowie ihre Gedanken verwirrt und verloren waren. Sie bestiegen daher schnell ihre Pferde und ritten jenen Klängen nach.

      Die Töne führten sie immerfort bergan zu einer ungeheuren Höhe, die immer öder und verlassener wurde. Ganz oben erblickten sie endlich einen Hirten, welcher, auf der Schalmei blasend, seine Herde in der Dämmerung vor sich her nach Hause trieb. Sie grüßten ihn, er dankte und sah sie ruhig und lange von oben bis unten an. Wem dient Ihr? fragte Leontin. Dem Grafen. Wo wohnt der Graf? Dort rechts auf dem letzten Berge in seinem Schlosse. Wer liegt dort, fuhr Leontin fort, auf der grünen Höhe unter den steinernen Figuren begraben? Der Hirt sah ihn an und antwortete nicht; er wußte nichts davon und war noch niemals dort hinabgekommen. Sie ritten langsam neben ihm her, da erzählte er ihnen, wie auch er weit von hier in den Tälern geboren und aufgewachsen sei, aber das ist lange her, sagte er, und ich weiß nicht mehr, wie es unten aussieht. Darauf wünschte er ihnen eine gute Nacht, nahm seine Schalmei wieder vor und lenkte links in das Gebirge hinein. Sie blickten rings um sich, es war eine weite, kahle Heide und die Aussicht zwischen den einzelnen Fichten, die hin und her zerstreut standen, unbeschreiblich einsam, als wäre die Welt zu Ende. Es wurde ihnen angst und weh an dem Orte. Sie gaben ihren Pferden die Sporen und schlugen rechts den Weg ein, den ihnen der einsilbige Hirt zu dem Schlosse des Grafen angezeigt hatte.

      Es war indes völlig dunkel geworden. Die Gegend wurde noch immer höher, die Luft schärfer; sie wickelten sich fest in ihre Mäntel ein und ritten schnell fort. Da erblickten sie endlich auf dem höchsten Gipfel des Gebirges das verheißene Schloß. Es war, soviel sie in der Dunkelheit unterscheiden konnten, weitläufig gebaut und alt. Der Weg führte sie von selbst durch ein dunkles Burgtor in den altertümlichen, gepflasterten Hof, in dessen Mitte sich ein großer Baum über einem steinernen Springbrunnen wölbte.

      Das erste, das ihnen dort auffiel, war ein seltsamer Mensch, mit einem langen, breiten Talare über den Achseln, einer Art von Krone, die etwas schief auf dem Kopfe saß, und einem langen Hirtenstabe in der Hand. Er näherte sich ihnen ein wenig, kehrte sich dann stolz wieder um und ging mit einem feierlich abgemessenen Schwebetritt langsam über den Hof, wobei der breite Mantel, wie der Schweif eines sich aufblähenden kalkuttischen Hahnes, hinter ihm drein rauschte. Ein alter Mann war unterdes heruntergekommen und sagte den beiden Gästen, sein Graf sei nicht zu Hause, bat sie aber, abzusteigen. Sie hatten die Augen noch auf jene vorüberschwebende Figur gerichtet und fragten erstaunt, was das zu bedeuten habe? Er sucht den Karfunkelstein, sagte der Alte trocken und führte ihre Pferde ab.

      Ein junger Mensch, der sich inzwischen mit einem Lichte eingefunden hatte, bat sie, ihm zu folgen, und führte sie stillschweigend über verschiedene Wendeltreppen und einen langen Bogengang in ein großes, gotisch gewölbtes Gemach mit zwei Himmelbetten, ein paar großen, altmodischen Stühlen und einem ungeheuren runden Tische in der Mitte. Sie bemerkten mit Verwunderung, daß er ein ledernes Reiterwams trug und seine ganze Tracht überhaupt altdeutsch sei. Seine blonden Haare hatte er über der Stirne gescheitelt und in schönen Locken über die Schultern herabhängen.

      Er setzte das Licht auf den Tisch und fragte sie, wann sie wieder weiterzuziehen gedächten? Ach, fügte er hinzu, ohne erst ihre Antwort abzuwarten, ach, könnt' ich mitziehn! Und wer hält Euch denn hier? fragte Leontin. Es ist meine eigene Unwürdigkeit, entgegnete jener wieder, wohl fehlt mir noch viel zu der ehrenfesten Gesinnung, zu der Andacht und der beständigen Begeisterung, um der Welt wieder einmal Luft zum Himmel zu hauen. Ich bin gering und noch kein Ritter, aber ich hoffe, es durch fleißige Tugendübung mit Gottes Gnade zu werden und gegen die Heiden hinauszuziehn; denn die Welt wimmelt wieder von Heiden. Die Burgen sind geschleift, die Wälder ausgehauen, alle Wunder haben Abschied genommen, und die Erde schämt sich recht in ihrer fahlen, leeren Nacktheit vor dem Kruzifixe, wo noch eines einsam auf dem Felde steht; aber die Heiden hantieren und gehen hochmütig vorüber und schämen sich nicht. Er sprach dies mit einer wirklich rührenden Demut, doch selbst in der steigenden Begeisterung, in die er sich bei den letzten Worten hineingesprochen hatte, blieb etwas modern Fades in seinen Zügen zurück. Leontin faßte ihn bei der Hand und wußte nicht, was er aus ihm machen sollte, denn für einen Menschen, der seine ordentliche Vernunft vesitzt, hatte er ihm doch beinahe zu gescheit gesprochen.

      Unterdes hatte sich der Ritter nachlässig in einen Stuhl geworfen, zog eine Lorgnette unter dem Wams hervor, betrachtete die beiden Grafen flüchtig und sagte, seine letzten Worte wohlgefällig wiederholend: aber die Heiden gehen vorüber und schämen sich nicht. Recht gut gesagt, nicht wahr, recht gut? Beide sahen ihn erstaunt an. Er lorgnettierte sie von neuem. Aber ihr seid doch recht einfältig, fuhr er darauf lachend fort, daß ihr das alles eigentlich so für baren Ernst nehmt! Ihr seid wohl noch niemals in Berlin gewesen? Seht, ich möchte wohl eigentlich ein Ritter sein, aber, aufrichtig gesprochen, das ist doch im Grunde alles närrisches Zeug, welcher gescheite Mensch wird im Ernst an so etwas glauben! Überdies wäre es auch schrecklich langweilig, so strenge Tugend und Ehre zu halten. Ich versichere euch aber, ich bin wohl eigentlich ein Ritter, aber ihr faßt das nur nicht, ihr andern Leute, ich halte aus ganzer Seele gleichsam auf die alte Ehre, aber seht, das ist ganz anders zu verstehen das ist – aber ihr versteht mich doch nicht – das ist – hierbei