Negligé vom feinsten, weißen Perkal, von dem er mit vieler Grazie hin und wieder die Staubflecken abzuklopfen und wegzublasen bemüht war.
Nach einer Weile nahm er das Augenglas wieder vor und musterte die beiden Fremden, sich vornehm auf dem Sessel hin und her schaukelnd. Bei welchem Schneider lassen Sie arbeiten? sagte er endlich. Dann stand er auf und befühlte ihre Hemden an der Brust. Aber, mein Gott! wie kann man so etwas tragen sagte er, bon soir, bon soir, mes amis! Hiermit ging er, laut ein französisches Lied trällernd, ab. In der Tür begegnete er einem Mädchen, das eben mit einem Korbe voll Erfrischungen heraufkam. Er nahm sie sogleich in den Arm und wollte sie küssen. Sie schien aber keinen Spaß zu verstehen und warf den Ritter, wie sie an dem Gepolter wahrnehmen konnten, ziemlich unsanft die Stiege hinab.
Nun wahrhaftig, sagte Friedrich, hier geht es lustig zu, ich sehe nur, wann wir beide selber anfangen, mit verrückt zu werden. Mir war bei dem Kerle zumute, meinte Leontin, als sollten wir ihn hundemäßig durchprügeln.
Das Mädchen hatte unterdes, ohne ein Wort zu sprechen, mit unglaublicher Geschwindigkeit den Tisch gedeckt und Essen aufgetragen. Ihre Hast fiel ihnen auf, sie betrachteten dieselbe genauer und erschraken beide, als sie in ihr die verlorne Marie erkannten. Sie war leichenblaß, ihr schönes Haar war seltsam aufgeputzt und phantastisch mit bunten Federn und Flitter geschmückt. Der überraschte Leontin nahm sie sanft streichelnd bei dem weichen, vollen Arme, und sah ihr in die sonst so frischen Augen, die er seit ihrem Abschiede auf der Gebirgsreise nicht wieder gesehen hatte. Sie aber wand die Hand los, legte den Finger geheimnisvoll auf den Mund, und war so im Augenblick zur Tür hinaus. Vergebens eilten und riefen sie ihr nach, sie war gleich einer Lazerte zwischen dem alten Gemäuer verschwunden.
Beide hatte dieses unerwartete Begegnis sehr bewegt. Sie lehnten sich in das Fenster und sahen über die Wälder hinaus, die der Mond herrlich beleuchtete. Leontin wurde immer stiller. Endlich sagte er: Es ist doch seltsam, wie gegenwärtig mir hier eine Begebenheit wird, die mich einst heftig erschütterte; und ich täusche mich nicht, daß ich hier endlich eine Auflösung darüber erhalten werde. Friedrich bat ihn, sie ihm mitzuteilen, und Leontin erzählte:
Ich hatte einst ein Liebchen hinter dem Walde bei meinem Schlosse, ein gutes, herziges, verliebtes Ding. Ich ritt gewöhnlich spät abends zu ihr, und sie litt mich wohl manchmal über Nacht. Eines Abends, da ich eben auch hinkomme, sieht sie ungewöhnlich blaß und ernsthaft aus, und empfängt mich ganz feierlich, ohne mir, wie sonst, um den Hals zu fallen. Doch schien sie mehr traurig, als schmollend. Wir gingen an dem Teiche spazieren, der bei ihrem Häuschen lag, wo sie mit ihrer Mutter einsam wohnte; da sagte sie mir: ich sei ja gestern abends noch sehr spät bei ihr gewesen, und da sie mich küssen wollen, hätte ich sie ermahnt, lieber Gott, als die Männer zu lieben, darauf hätte ich noch eine Weile sehr streng und ernsthaft mit ihr gesprochen, wovon sie aber nur wenig verstanden, und wäre dann ohne Abschied fortgegangen.
Ich erschrak nicht wenig über diese Rede, denn ich war jenen Abend nicht von meinem Schlosse weggekommen. Während sie noch so erzählte, bemerkte ich, daß sie plötzlich blaß wurde und starr auf einen Fleck im Walde hinsah. Ich konnte nirgends etwas erblicken, aber sie fiel auf einmal für tot auf die Erde.
Als sie sich zu Hause, wohin ich sie gebracht, nach einiger Zeit wieder erholt hatte, schien sie sich ordentlich vor mir zu fürchten, und bat mich in einer sonderbaren Gemütsbewegung, niemals mehr wiederzukommen. Ich mußt' es ihr versprechen, um sie einigermaßen zu beruhigen. Dessenungeachtet trieb mich die Besorgnis um das Mädchen und die Neugierde den folgenden Abend wieder hinaus, um wenigstens von der Mutter etwas zu erfahren.
Es war schon ziemlich spät, der Mond schien wie heute. Als ich in dem Walde, durch den ich hindurch mußte, eben auf einem etwas freien, mondhellen Platz herumbiege, steigt auf einmal mein Pferd und mein eigenes Haar vom Kopfe in die Höh. Denn einige Schritte vor mir, lang und unbeweglich an einem Baume, stehe ich selber leibhaftig. Mir fiel dabei ein, was das Mädchen gestern sagte; mir grauste durch Mark und Bein bei dem gräßlichen Anblicke. Darauf faßte mich, ich weiß selbst nicht wie, ein seltsamer Zorn, das Phantom zu vernichten, das immer unbeweglich auf mich sah. Ich spornte mein Pferd, aber es stieg schnaubend in die Höh und wollte nicht daran. Die Angst steckte mich am Ende mit an, ich konnte es nicht aushalten, länger hinzusehn, mein Pferd kehrte unaufhaltsam um, eine unbeschreibliche Furcht bemächtigte sich meiner, und so ging es windschnell durch Sträucher und Hecken, daß die Äste mich hin und her blutig schlugen, bis wir beide atemlos wieder bei dem Schlosse anlangten. Das war jener Abend vor unserer Gebirgsreise, da ich so wild und ungebärdet tat, als du mit Faber ruhig am Tische auf der Wiese saßest. Später erfuhr ich, daß das Mädchen denselben Abend um dieselbe Stunde gestorben sei. Und so wolle Gott jeden Schnapphahn kurieren, denn ich habe mich seitdem gebessert, das kann ich redlich sagen!
Friedrich erinnerte sich bei dieser wunderlichen Geschichte an eine Nacht auf Leontins Schlosse, wie er Erwine einmal von der Mauer sich mit einem fremden Manne unterhalten gehört und dann einen langen, dunklen Schatten von ihm in den Wald hineingehn gesehen hatte. Allerdings, sagte Leontin, habe ich selber einmal dergleichen bemerkt, und es kam mir zu meinem Erstaunen vor, als wäre es dieselbe Gestalt, die mir im Walde erschienen. Aber du weißt, wie geheimnisvoll Erwine immer war und blieb; doch so viel wird mir nach verschiedenen flüchtigen Äußerungen von ihr immer wahrscheinlicher, daß dieses Bild in diesem Walde spuke oder lebe, es sei nun, was es wolle. Ich weiß nicht, ob du noch unsres Besuches auf dem Schlosse der Frau v. A. gedenkest. Dort sah ich ein altes Ritterbild, vor dem ich augenblicklich zurückfuhr. Denn es war offenbar sein Porträt. Es waren meine eigenen Züge, nur etwas älter und ein fremder Zug auf der Stirn über den Augen. -
Während Leontin noch so sprach, hörten sie auf einmal ein Geräusch auf dem Hofe unten, und ein Reiter sprengte durch das Tor herein; mehrere Windlichter füllten sogleich den Platz, in deren über die Mauern hinschweifenden Scheinen sich alle Figuren nur noch dunkler ausnahmen. Er ist's! rief Leontin. Der Reiter, welcher der Herr des Schlosses zu sein schien, stieg schnell ab und ging hinein, die Windlichter verschwanden mit ihm, und es war plötzlich wieder dunkel und still wie vorher.
Leontin war sehr bewegt, sie beide blieben noch lange voll Erwartung am Fenster, aber es rührte sich nichts im Schlosse. Ermüdet warfen sie sich endlich auf die großen, altmodischen Betten, um den Tag zu erwarten, aber sie konnten nicht einschlafen, denn der Wind knarrte und pfiff unaufhörlich an den Wetterhähnen und Pfeilern des alten, weitläufigen Schlosses, und ein seltsames Sausen, das nicht vom Walde herzukommen schien, sondern wie ferner Wellenschlag tönte, brauste die ganze Nacht hindurch.
Zweiundzwanzigstes Kapitel
Kaum fing der Morgen draußen an zu dämmern, so sprangen die beiden schon von ihrem Lager auf und eilten aus ihrem Zimmer auf den Gang hinaus. Aber kein Mensch war noch da zu sehen, die Gänge und Stiegen standen leer, der steinerne Brunnen im Hofe rauschte einförmig fort. Sie gingen unruhig auf und ab; nirgends bemerkten sie einen neuen Bau oder Verzierung an dem Schlosse, es schien nur das Alte gerade zur Notdurft zusammengehalten. Bunte Blumen und kleine grüne Bäumchen wuchsen hin und wieder auf dem hohen Dache, zwischen denen Vögel lustig sangen. Sie kamen endlich über mehrere Gänge in dem abgelegensten und verfallensten Teile des Schlosses in ein offenes, hochgelegenes Gemach, dessen Wände sie mit Kohle bemalt fanden. Es waren meist flüchtige Umrisse von mehr als lebensgroßen Figuren, Felsen und Bäumen, zum Teil halb verwischt und unkenntlich. Gleich an der Tür war eine seltsame Figur, die sie sogleich für den Eulenspiegel erkannten. Auf der andern Wand erkannte Friedrich höchst betroffen einen großen, ziemlich weitläufigen Umriß seiner Heimat, das große alte Schloß und den Garten auf dem Berge, den Strom unten, den Wald und die ganze Gegend. Aber es war unbeschreiblich einsam anzusehen, denn ein ungeheurer Sturm schien über die winterliche Gegend zu gehen, und beugte die entlaubten Bäume alle nach einer Seite, sowie auch eine wilde Flammenkrone, die aus dem Dache des Schlosses hervorbrach, welches zum Teil schon in der Feuerbrunst zusammenstürzte.
Friedrich konnte die Augen von diesen Zügen kaum wegwenden, als Leontin einen Haufen von Zeichnungen und Skizzen hervorzog, die ganz verstaubt und vermodert in einem Winkel