Daniel Jödemann

DSA 109: Hjaldinger-Saga 3 - Eis


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die uns schaden wollen.«

      Die Anwesenden nickten zaghaft.

      Er fühlte sich nun wesentlich mutiger, oder zumindest kümmerte es ihn nicht mehr, wie seine Sippe reagierte. »Wir können nicht ohne Hersir aufbrechen. Ihr alle wisst, warum ich immer gezögert habe, das Amt einzufordern. Wenn ihr nicht bereit seid, mir zu folgen, dann soll es mir recht sein. Wählt Yoldra Saunsduhter, sie wird eine gute Hersirin für die Sippe sein. Entscheidet euch meinetwegen für meinen Onkel Otur und ich werde nicht murren.«

      Einige der Umstehenden schmunzelten. Für einen Augenblick huschte ein Anflug von Hoffnung über Oturs Gesicht, dessen Hand auch jetzt ein Horn mit Met hielt. Dann senkte er den Blick wieder.

      Vardurs Herz hämmerte in seiner Brust. Thagalgrimm trieb ihn an, der Zorn darüber, dass sie morgen ihre Heimat verloren und dass die Imperja gewonnen hatten. Dass sie ihn bereits so viele Freunde und Angehörige gekostet hatten. Die Worte seiner Großmutter trieben ihn an, die gestorben war, ohne zu wissen, ob ihre Sippe weiterleben würde oder nicht.

      »Aber wenn ihr jemanden wollt, in dem Salbjerg mehr gesehen hat, als er selbst es tat, dann seht mich an. Wenn ihr jemanden wollt, der um die Schwere dieser Verantwortung weiß, dann gebt mir eure Axt. Jemanden, der immer nur das Beste für diese Sippe wollte, nicht für sich selbst. Jemanden, der kein Hersir werden will, weil ihm danach ist, anderen Befehle zu geben, sondern jemanden, der es als Bürde ansieht. Wählt jemanden, der weiß, dass unsere einzige Rettung jenseits des Immermeeres wartet, und dies bereits wusste, als ihr noch gezaudert habt. Und nun schwatzen wir nicht mehr länger, sondern fällen eine Entscheidung. Die Thurehs muss beladen werden und ich muss noch mit den Hersiren klären, wo genau im Verband die Kinder Havars segeln.« Er stockte, sein Gesicht gerötet. Seine Wangen fühlten sich heiß an.

      Die Umstehenden starrten ihn reglos an. Horm grinste. Arnthrud nickte ihm aufmunternd zu. Otur prostete ihm stumm mit dem Methorn zu. Yoldra senkte still lächelnd den Kopf.

      Solwa unterdrückte ein Schmunzeln und bemühte sich um einen Ausdruck, der dem Ernst des Anlasses angemessen war. »Unsere geehrte Hersirin Salbjerg, so war es immer ihr Wunsch, wollte Vardur Arnarssun als ihren Nachfolger und deshalb will ich ihn in ihrem Namen als Hersir vorschlagen. Macht noch jemand einen Vorschlag?«

      ***

      Er starrte den Sand und Kies zu seinen Füßen an. Wasser rollte den Strand hinauf, brachte Schaum mit sich und umspülte seine Schuhe.

      »Vardur?«

      Er sah auf. Horm musterte ihn fragend.

      Glaiwa kündigte sich gerade erst am östlichen Horizont an. Das rote Band ließ sich mehr erahnen, als wirklich erkennen.

      Vardur räusperte sich. »Ich bin so weit.« Rasch bückte er sich, nahm einen großen, nassen Kiesel vom Ufer auf und ballte die Faust darum. Dann hob er erst einen, dann den zweiten Fuß von dem Land seiner Vorfahren und trat auf den Steg, an dessen Ende die Thurehs auf ihn wartete. Die Mitglieder der Fahrtgemeinschaft waren bereits auf ihren Plätzen. Erla stand am Ruder. Es war befremdlich, dass ihn dort nicht Hjaldvaig oder Thursdur erwarteten.

      Vierzig Gesichter musterten ihn gespannt, als Vardur ans Heck trat. Horm lächelte ihm aufmunternd zu. Jeder freie Platz war mit Proviantpaketen, Wasserfässern und Waffen belegt, mit Ersatzsegeln, Netzen und Harpunen.

      »Wohin also?«, erkundigte sich Erla.

      »Nach Osten. Setzt die Segel.«

      Rund einhundert Ottas, schwer beladen mit Menschen, Vorräten und Vieh, hissten ihre Segel. Ebenso viele Drachenköpfe wandten sich dem offenen Meer zu, wo Glaiwa, die Gleißende, in der Ferne den Horizont in Brand steckte – und wo als kleine schwarze Punkte die Schiffe der Imperja bereits zu erahnen waren.

      Vardur blickte zurück.

      Rauchsäulen stiegen von Havarskog in den allmählich heller werdenden Himmel, als der neue Tag die Nacht ablöste.

      Entlang des Strands aufgereiht standen oder saßen diejenigen, die sie nicht auf ihrer Reise begleiteten – die Alten, die Kranken. Am Morgen hatten sie Dolche und Messer verteilt, dann die letzten Höfe und Häuser in Brand gesteckt.

      Manche der Zurückgebliebenen hockten auf dem flachen Ufer, andere sahen ihnen aufrecht und erhobenen Hauptes nach. Solweig, die alte Hersirin der Isleif, hob grüßend die Hand. Odda, Katlas Mutter, stand neben ihr auf dem Anleger und starrte reglos geradeaus.

      Vardur drehte sich wieder um, wandte den Blick von seiner Heimat ab und sah nicht mehr zurück.

      Kapitel 3

      Odalwik, Brajan 2120 IZ

      Gautaz erlaubte sich ein zufriedenes Grinsen. »Ihr hattet nicht genug Zeit, was? Hat er euch zu lange beschäftigt?«

      Stainar, der neben ihm stand und das Ruder der Wegafreki hielt, warf ihm einen fragenden Blick zu.

      »Es sind nicht so viele, wie befürchtet.« Gautaz wies auf den Horizont. »Ullbjern wird sie ganz schön geärgert haben. Er hatte schon immer ein Talent dafür. Uns hilft es heute.«

      Die Flotte hielt nun zügig auf die Schiffe der Imperja zu, die als schwarze Umrisse vor der aufgehenden Sonne erschienen. Noch war es ruhig über der Odalwik, doch das würde sich bald ändern.

      Jurgas Otta führte sie an. Das hatte sich nicht vermeiden lassen, auch wenn die übrigen Hersire diese unkluge Entscheidung sicher bereuen würden.

      Gautaz’ Wegafreki segelte auf der einen Seite, die Thurehs der Havar, die doch tatsächlich den vorlauten Bengel Vardur zum Hersir gewählt hatten, auf der anderen. Die meisten der mit Kriegern besetzten Ottas fuhren der Flotte voraus, dann kamen die bauchigen Frachtschiffe. Auf einem davon segelte Katla mit ihren beiden gemeinsamen Kindern. Sie alle drei konnten sich dort, in seinem Rücken, sicher fühlen.

      Weitere Kriegsschiffe schützten die Flanken ihres Schiffsverbands. Einhundert Schiffe brachen in die neue Heimat auf, die Jurga ihnen versprochen hatte. Nun waren die Drachenköpfe unverhüllt, auch die Bugzier der Wegafreki hielt den Blick stur nach Osten gerichtet.

      »Sieht so aus, als hätte der Geist ihr einen guten Ratschlag gegeben, als er auf raschen Aufbruch drängte«, murmelte Stainar. Der Steuermann mit dem buschigen Schnurrbart nickte zum Horizont hinüber. »Vielleicht kommt es nicht mal zum Kampf, wenn wir durch sind, ehe sie die Lücken schließen.«

      Gautaz warf ihm einen missbilligenden Blick zu, doch er war zu gut gelaunt, um Stainar zurechtzuweisen. »Soll mir recht sein.« Er packte seine Axt fester und zuckte mit den Schultern. Odda am Steg von Havarskog zurückzulassen, verlieh ihm ein Hochgefühl, das ihn auch noch über das gesamte Eiwara tragen würde. Wie ein lästiges Insekt war sie stets um ihn herumgeflogen, summend und brummend, und hatte sich nie verscheuchen lassen. Diese Unternehmung erwies sich schon jetzt als Erfolg.

      Ihr Schiffsverband hielt, einem Keil gleich, auf die Südspitze der Halbinsel Hjaldingard zu, wo das Ufer rasch zu schroffen Klippen anstieg, die günstige Nistplätze für Gletschermöwen boten. Ganze Möwenschwärme kreisten darüber, so als wollten sie die Ottas verabschieden.

      Die Steuerleute der Hjaldinger kannten diese Gewässer bestens, jede plötzliche Untiefe, jeden trügerischen Felsen. Sie wussten, wie nahe sie dem Land kommen durften. Und ihre Ottas hatten einen sehr viel geringeren Tiefgang als die Schiffe ihre Gegner.

      Die Galeeren, die geduldig auf sie warteten, zogen sich entlang des ganzen Horizonts, aufgereiht wie auf einer Perlenschnur. Es gab jedoch eine angenehm große, geradezu verlockende Lücke in ihrem Zentrum.

      »Stümper!«, stieß Gautaz verächtlich hervor. »Wer soll denn darauf reinfallen?«

      Vergnügt wanderte er nach vorne, vorbei an den Frauen und Männern seiner Mannschaft, die sich bereits auf die Schlacht vorbereiteten. Er klopfte Hrok zufrieden auf die Schulter. »Gleich ist es so weit. Schauen wir mal, ob wir nicht ein paar von ihnen auf die Felsen locken.«

      Der junge Krieger nickte überrascht. »Das wäre ein willkommener Anblick, Hersir!«

      Etwas zu