Daniel Jödemann

DSA 109: Hjaldinger-Saga 3 - Eis


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die Planken des Schiffes. Er blutete nicht, röchelte jedoch krampfhaft, spuckte brackiges, schwarzes Wasser aus. Egal, wie sehr er auch nach Luft rang, es quoll lediglich diese Brühe hervor.

      »Ich habe keine Angst vor dir!«, schrie Gautaz seinem Bruder entgegen. »Nenn ihn mir! Nenn mir deinen letzten Wunsch! Sag ihn mir und ich erfülle ihn! Dann findest du Frieden!«

      Eilif wandte sich ihm wieder zu, sein eingefallenes Gesicht eine Fratze des Hasses und der Enttäuschung. Er öffnete den Mund zu einem stummen Schrei, schlug nach Gautaz, der hastig einen Schritt zurückwich, dann noch einen.

      Eine feste Hand packte ihn und riss ihn von der Bordwand zurück – Hrok.

      Verärgert schlug er dessen Hand beiseite. »An die Ruder! Wir müssen hier raus!« Alarmiert sah er sich um. »Wo ist er hin?« In seinen letzten Momenten hatte Eilif ihm zugerufen, was er von ihm wollte. »Ich hab es nicht verstanden, hörst du? Sag es mir jetzt!«

      Um sie herum focht die Fahrtgemeinschaft gegen die unförmigen Schemen. Godrun wehrte sich mit Stockhieben. Eilif löste sich erneut aus den Nebelschwaden und kam auf Gautaz zu.

      Der Hersir der Aasa trat ihm entgegen, die Axt abwehrbereit erhoben. Dann zögerte er. Was tue ich hier denn nur? Der Fluch, der Eilif in seinen gierigen Klauen hielt und ihm den Einzug in Hraiwagard verwehrte, ließ sich natürlich nicht mit Klingen bezwingen. Er breitete die Arme aus. »Sprich mit mir!«

      Sein Bruder verharrte, starrte ihn an.

      Gautaz nickte langsam und mit grimmiger Befriedigung. »Sag es mir!«, forderte er ruhig. »Was wolltest du mir sagen? Nun ist der richtige Moment, um Frieden zu finden.«

      Eilif blinzelte, zögerte. Er öffnete den Mund.

      Das Segel über ihren Köpfen blähte sich wieder. Ein frischer Wind kam auf und vertrieb den brechreizerregenden Gestank nach Tang und Tod, die klamme Feuchtigkeit und die erdrückende Stille. Der Nebel geriet in Wallung.

      Der schemenhafte Eilif starrte Gautaz einen Moment lang stumm an, dann verwehte seine geisterhafte Gestalt. Sonnenlicht fiel auf das Deck.

      »Warte!« Er machte einen Schritt auf ihn zu, doch es war zu spät. »Sag es mir! Nenn mir deinen letzten Wunsch!«

      Rundum senkten die Frauen und Männer seiner Fahrtgemeinschaft schwer atmend ihre Waffen. Die Wegafreki nahm wieder Fahrt auf. Stainar griff hastig wieder nach dem Ruder.

      Ein langgezogenes Hornsignal wehte durch den langsam zurückweichenden Nebel heran.

      »Auf eure Plätze!«, fauchte Gautaz. »Es ist nicht vorbei!« Er starrte die Stelle an, wo er das Gesicht seines Bruders zuletzt gesehen hatte. Hätten wir doch nur noch einen Moment mehr gehabt!

      Er sah sie vor sich – die finsteren Augen, die Dunkelheit dahinter, die an die tiefsten, lichtlosesten Abgründe des Ozeans erinnerte. Erwartet mich ebenfalls dieser Abgrund, wenn ich hier draußen, auf dem Eiwara sterbe, fern der Heimat, weit entfernt von den Gräbern meiner Ahnen?

      Der Wind nahm rasch an Stärke und Empörung zu. Entschlossen packte er die Wegafreki und schob sie vor sich her. Heulend und fauchend wie ein hungriger Vargaz jagte er über das Wasser hinweg, trieb den kränklich-graugrünen Nebel vor sich her, zurück nach Osten, von wo er gekommen war. Er peitschte die Odalwik auf und zerrte an Gautaz’ Haar.

      Rundum schälten sich die Umrisse der übrigen Drachenschiffe aus den Schwaden hervor.

      Die Blajazehwa saß immer noch an der Spitze. Jurga stand am Bug und brüllte den furchtsam weichenden Nebelschwaden Worte hinterher, die ihr der aufkommende Wind von den Lippen riss. Es erschien so, als jagte sie nun den Nebel, nicht umgekehrt.

      Der Sturmwind peitschte die See rundum auf. Wellen schlugen gegen die Wegafreki und wiederholt schwappte kaltes Wasser über die Bordwand. Der Wind heulte in Gautaz’ Ohren.

      Die Umrisse der Galeeren schälten sich aus den Schwaden hervor, mehrmastige Schiffe mit mächtigen Rammspornen, die Kraken oder Seeschlangen nachempfunden waren. Angetrieben wurden sie von hunderten von Rudern. Sogar drei klobigere Ungetüme mit kolossalen Schaufelrädern waren darunter, neben denen selbst die größten Galeeren winzig erschienen.

      »Hier kommen sie!«, schrie Gautaz. »Schilde!« Er trat an den Vordersteven und sah den Schiffen grimmig entgegen.

      Die Imperja hatten bestimmt nicht damit gerechnet, dass ihre Gegner sie überhaupt erreichten – ganz sicher nicht geschlossen und kampfbereit. Hunderte von Riemen bewegten sich hastig auf und ab, um die Galeeren in eine bessere Angriffsposition zu bringen.

      »Aaaasaaa!«, brüllte Gautaz. Sie sollten wissen, mit wem sie es zu tun hatten. »Aaaasaaa!« Die letzten Nebelschwaden verwehten. »Dort!«, rief er Stainar zu und wies mit der Axt voraus. »Zwischen diesen beiden hindurch! Sie sind so träge wie Gletscher im Firnmond, das gibt uns reichlich Zeit!«

      Doch die Sklaven, die die Galeeren antrieben, waren zu gut eingespielt: Langsam, aber immer noch zügig genug drehten sich die schwerfälligen Schiffe und wandten den heraneilenden Drachenschiffen die Seiten zu. Auf den Decks rannten Soldaten umher und bereiteten hastig die Geschütze vor. Die ersten Speere und Brandgeschosse flogen heran und verfehlten sie nur knapp.

      Der Sturmwind, der sie vorantrieb, die Odalwik aufpeitschte und in Gautaz’ Ohren heulte und grollte, wurde noch wütender, so als ob er es den Imperja übelnahm, dass sie die Hjaldinger attackierten. Langsam neigten sich die Galeeren, die ihnen – und damit dem Wind – die Breitseiten zugewandt hatten, unter seinem Ansturm. Die nächste Salve ging weit über den Mast der Wegafreki hinweg.

      Der Sturm drückte und schob gegen die mächtige Galeere, die sie nun passierten, einen Koloss mit fünf Riemenreihen, die ziellos in der Luft ruderten. Überrascht klammerten sich die Soldaten an die Reling, manch einer rutschte hilflos das Deck hinab und ging über Bord.

      Gautaz lachte den Imperja seine Verachtung entgegen, auch wenn ihm der Wind die Laute von den Lippen riss. Stainar lehnte sich mit ganzer Kraft gegen das Ruder. Sie flogen an den Galeeren vorbei.

      Der Hersir wandte sich um. Er zählte vier brennende Segel – Ottas, die weniger Glück gehabt hatten. Sie blieben hinter ihnen zurück, eine versank bereits. Doch die Schiffe, die der Wegafreki folgten, darunter die Otta, die Katla und seine Kinder trug, waren noch da.

      »Siehst du das, Eilif?« Er reckte dem Himmel seine Axt entgegen. »Siehst du das? Ich schütze diejenigen, die mir anvertraut wurden, so wie ich es dir versprach. Sie können sich auf mich verlassen.«

      Ihr Schiffsverband ließ die Galeeren hinter sich zurück, ebenso wie die letzten Ausläufer des widernatürlichen Nebelfelds. Vor ihnen erstreckte sich die offene See, das Immermeer. Glaiwas Strahlen brachen sich auf den Wellen, dahinter wartete der Horizont auf sie.

      Das Heulen des Windes ebbte ebenso rasch wieder ab, wie der Sturm aufgezogen war. Es reichte aber aus, um sie anzutreiben, die Schiffe der Hjaldinger jagten zügig über das Meer.

      Grinsend sah Gautaz zurück, zu den Galeeren der Imperja. »Um Verfolger müssen wir uns keine Sorgen machen.« Manche waren gegeneinandergestoßen und blockierten sich gegenseitig. Einige hatten die Segel gehisst, konnten den Wind aber nicht einfangen. An Bord einer Schraubengaleere loderten Feuerbrände.

      Die Fahrtgemeinschaft der Wegafreki warf sich amüsierte Blicke zu.

      »Glaubt nicht, dass es schon geschafft ist.« Gautaz sah wieder nach vorne, zum Horizont. »Es ist ein langer Weg. Sicher erwarten uns auf der Reise weitere Prüfungen. Die Götter wollen, dass wir uns würdig erweisen. Gut, dass ihr unter mir segelt.«

      Nein, Triumph oder Befriedigung wollte sich bei ihm nicht einstellen. Nicht einmal ein Anflug von Zufriedenheit.

      Er sah immer noch Eilifs Gesicht vor sich. Seine Lippen, die stumme Worte formulierten.

      Er würde nie erfahren, was sein Bruder ihm sagen wollte. Umso wichtiger war es, dass er das Versprechen, das er ihm in diesem Moment gegeben hatte, ehrte. »Du bist nicht umsonst gestorben, Eilif«, raunte er. »Die Aasa werden überleben. Ich werde überleben –