A.H. Almaas

Essentielle Verwirklichung


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das Verstehen der Dinge. Ich baue keine Religion um Löcher. „Du sollst nicht deine Löcher füllen!“ Ihr könnt alles, was ihr tut, im Hinblick auf die innere Arbeit betrachten, im Hinblick auf Löcher oder das Füllen von Löchern. Ihr werdet sehen, daß ihr dauernd entweder ein Loch füllt oder ein Loch duldet, oder ihr erfahrt das Wirkliche, das verloren war. Das passiert dauernd, in jedem Augenblick. Bei dieser Arbeit werden die Löcher, mit denen ihr zu tun habt, immer größer.

      Zuerst die kleineren, dann die größeren Löcher, bis ihr zu dem größten gelangt, das der Verlust von allem ist. Es wird Tod genannt. Stimmts? Wenn man stirbt, verliert man alles. Man muß dieses Loch akzeptieren, um alles zurückzubekommen. Eines der letzten Löcher ist also der Verlust des Körpers selbst. Den physischen Tod zu erfahren ist ganz genauso. Man erfährt ein großes Loch, ein schwarzes, dunkles, leeres Loch mit nichts darin.

      Ihr versucht dieses Loch mit dem Körper zu füllen. Wenn ihr den Körper loslaßt, wenigstens in eurem Bewußtsein – ich meine nicht, daß ihr notwendigerweise physisch sterbt –, dann seht ihr plötzlich das vollständige Ich, euch selbst vollständig, wer ihr wirklich seid, den, den ihr gewöhnlich mit eurem Körper zu ersetzen versucht. Die meisten Menschen glauben, daß sie ihr Körper sind.

      Eine unserer tiefsten Identifikationen ist die mit dem Körper. Das ist ein Grund, warum wir Begierden und Sehnsüchte nach physischen Lüsten, nach Lüsten des Körpers haben. Ich glaube die Basis für die tiefste Sehnsucht, die Sehnsucht nach physischer Lust, ist ein Loch. Das Loch ist die Abwesenheit, das Abgeschnittensein von den wirklichen Freuden, den essentiellen Freuden.

      Natürlich will das keiner glauben. „Wenn ich das loslasse, was bleibt mir dann noch? Wenn ich nicht zweimal am Tag Kekse esse, alle zwei Tage Sex habe und dies und jenes tue, woran soll ich dann Freude haben?“ Aber das ist eines der letzten Löcher, das erforscht werden muß. Am Anfang müssen wir die Löcher erfahren, die mit Liebe, Mitgefühl, Wert, Stärke, Willen, Frieden und ähnlichem zu tun haben, diesen Dingen, die wir von außen zu bekommen versuchen.

      Ihr tut in eurem Leben, was immer ihr tut, und ihr untersucht einfach, was geschieht. Das ist alles, was ihr tun müßt: es untersuchen, damit ihr es versteht. Eine Art der inneren Arbeit war in der Vergangenheit, sich in ein Kloster zurückzuziehen, allem vollkommen zu entsagen. Es ging nicht wirklich darum, alles abzulehnen; es war ein Versuch, Löcher zu erfahren. Mit der Zeit nahmen solche Praktiken natürlich eine moralistische, religiöse Bedeutung an – die Vorstellung, daß es schlecht ist, bestimmte Arten von äußerem Kontakt zu haben. Der Zweck solcher Retreats ist aber, sich selbst zu erlauben, die Löcher zu fühlen und sie nicht zu füllen, und zu erkennen, worum es bei ihnen geht.

      Ich erinnere mich an ein Diagramm, das ich einmal sah und das Meher Baba gemacht hatte – der Mann, der sagt: „Don’t worry, be happy.“ Mit diesem Diagramm versucht er zu beweisen, daß Gott alles ist, und damit dieses Alles vollständig ist, muß es ein Nichts als Teil von sich haben. Und aus diesem Nichts kommt die Welt. Er sagt, alles, was wir wissen, ist das Ergebnis des Nichts, das in dem Alles ist. Und wir müssen dieses Nichts erkennen, um in der Lage zu sein, alles zu wissen. Man muß also ein Nichts haben, sonst ist man nicht vollständig. Vollständigkeit heißt, daß man alles hat. Alles schließt ein Nichts ein.

      Noch etwas über die Theorie der Löcher. Wie ich sagte, entstehen die Löcher, wenn wir ein Kind sind. Als Baby hat man keine Löcher; man wird vollkommen geboren. Wenn man heranwächst, wird man aufgrund der Interaktionen mit der Umwelt und bestimmter Schwierigkeiten, die einem widerfahren, von bestimmten Teilen von sich selbst abgeschnitten, und zwar je nach dem Entwicklungsstadium, in dem man gerade ist, von einem entsprechenden Teil. Jedesmal, wenn man von einem Teil von sich selbst abgeschnitten wird, manifestiert sich ein Loch. Die Löcher füllen sich dann mit der Erinnerung an den Verlust und denThemen des Verlusts. Nach einer gewissen Zeit füllt man einfach die Löcher auf. Womit man die Löcher füllt, das sind die falschen Gefühle, Vorstellungen, Überzeugungen von sich selbst, Strategien, wie man mit der Umwelt umgehen kann. Diese Filter nennt man in ihrer Gesamtheit die Persönlichkeit – die falsche Persönlichkeit, oder was wir die falsche Perle nennen.

      Wie ihr seht, ist die falsche Persönlichkeit also ein Ergebnis von Verlusten von Teilen des Selbst. Nach einer Weile aber glauben wir, daß wir diese sind. Alle glauben, sie seien das, was sie füllt. Die falsche Persönlichkeit versucht, den Platz des Echten, Wirklichen, Eigentlichen einzunehmen. Deshalb verwenden wir hier eine Menge Arbeit auf das Verstehen unserer Persönlichkeit. Unsere Arbeit führt dazu, daß wir die Geschichte der Entwicklung unserer falschen Persönlichkeit studieren, bis wir schließlich in der Lage sind, die Erinnerung an die Situation zu erfahren, in der sich das bestimmte Loch gebildet hat. Auf diese Weise könnt ihr eure Essenz zurückgewinnen, Stück für Stück, bis ihr vollständig seid.

      Wie ihr seht, sage ich diese Dinge auf eine sehr allgemeine Weise. Wir können viel genauer sein. Wir können jede einzelne Qualität betrachten, erkennen, wann sie verloren wurde und was das Ergebnis ist. Manchmal gehen Kombinationen von Qualitäten verloren. Zum Beispiel kann es sein, daß ihr eure Stärke, euren Willen und eure Liebe verliert, und diese bilden dann ein zusammengesetztes Loch. Eine ganze psychologische Perspektive kann also um dieses Verstehen gebaut werden – die Psychologie der Löcher –, die die Psychologie der Persönlichkeit, der falschen Perle ist.

      S.: Ich habe oft bemerkt, daß ich ein Loch fühle, wenn ein Mann mich entwertet, und ich gerate dann in Panik und möchte etwas haben, das da hineingleitet, bevor Kompensationen es wieder auffüllen. Wenn das geschieht, fühle ich mich nicht stark genug, um dabei zu bleiben, bevor es sich mit Panik und Sehnsucht und Selbstabwertung füllt und ich mich mit diesen Gefühlen wieder identifiziere. Wäre es einfach eine Sache der Übung, mich das Loch stark genug fühlen zu lassen?

      A.H.: Ja. Das ist das, was ich meine. Wir arbeiten daran, zu lernen, diese Gefühle zu ertragen, bei ihnen zu bleiben und nicht zu versuchen, sie mit etwas anderem zu füllen. Manchmal passiert das einfach, das Auffüllen passiert automatisch. Deshalb wird die Persönlichkeit automatisch genannt. Es läuft ganz mechanisch ab. Alles geschieht nach einer Weile automatisch. Man weiß nicht einmal, daß man etwas füllt.

      S.: Wie verlangsamt man den Prozeß – einfach indem man beobachtet, wie er geschieht?

      A.H.: Ja, indem ihr anschaut, wie er abläuft, wenn ihr auch eine gewisse Bewußtheit dafür habt, daß ihr versucht, ein Loch zu füllen. Aber ihr versucht nicht, das Loch zu füllen. Ihr könnt euch das Ziel setzen: „Die nächsten zwei Wochen werde ich nicht versuchen, Bestätigung von außen zu bekommen.“ Oder: „Jedesmal wenn ich merke, daß ich von außen Bestätigung bekommen möchte, werde ich das nur beobachten und nicht entsprechend handeln.“ Das ist eine Möglichkeit, wie man es machen kann. Wirklich, alles was wir bei dieser inneren Arbeit tun ist, mit diesen Themen umgehen. Heute betrachten wir es aus einer besonderen Perspektive, die euch ein bestimmtes Verständnis geben kann, um eure Arbeit zu erleichtern.

      Die falsche Persönlichkeit ist in dem Sinn mechanisch, als sie automatisch versucht, wenn ihr eine essentielle Qualität von euch selbst verloren habt und es da ein Loch gibt, es mit falschen Qualitäten von außen zu füllen. Dann wird dieser Teil eurer falschen Persönlichkeit gebildet. Die Aktivität der Persönlichkeit geht in zwei Richtungen. Auf der einen Seite versucht sie immer, das Loch zu vermeiden, Schmerz zu vermeiden und Lust zu erleben. Das geht automatisch. Andererseits versucht die Persönlichkeit immer, das Loch zu füllen, sobald etwas passiert, das den Mangel freilegen kann. Auch das geht automatisch. Deshalb ist es notwendig, daß wir uns selbst genau beobachten. Die meisten Menschen sind so sehr mit ihrem Versuch identifiziert, die Löcher zu füllen, daß sie nicht glauben, es sei möglich, es nicht zu tun. Ein Mensch, der nach jemandem sucht, der ihn liebt, weiß nicht, daß es eine Alternative gibt. Er glaubt, dies sei das Beste, was er tun kann und kann sich nichts anderes vorstellen. Die meisten Menschen stellen diese Dinge niemals in Frage. Es geht so mechanisch. Sie sagen, so seien sie eben. So sei die Welt. Wenn du dich klein fühlst, suche jemanden, der dich toll findet. Was kann man sonst tun? Das ist wirklich das, was die meisten Menschen denken. Wenn ihr das Gefühl habt, daß ihr nicht wert seid, geliebt zu werden, dann findet jemanden, der euch mag. Man identifiziert sich mit diesen Mustern gewöhnlich so vollkommen, daß es keine Chance von Veränderung gibt. Um anzufangen, an so einem Muster