nicht nur in aus eurozentrischer Perspektive exotischen Gefilden: So registriert eine okzidentale Leserschaft eventuell mit einer Spur postkolonialer Arroganz, dass Sakpata, Pockengott der westafrikanischen Ewe, ein Corona-Revival widerfährt (B. Meyer 2020: 148f.) oder dass Tansanias Staatschef John Magufuli auf einen „Gebetsmarathon“ setzt (Dieterich 2021), bevor er selbst mutmaßlich an Covid stirbt; allein: Nicht nur Jair Bolsonaro ruft zum nationalen Fasttag auf, auch (inzwischen Ex-)US-Vizepräsident Mike Pence „Wants You to Pray the Coronavirus Away“ (Walters 2020). Wenig überraschend ist für die IS-Terrormiliz „Gottes Hand“ am Werk (zit. Kurier 2020); absehbar auch die christliche Hardcore-Interpretation: In zweifelhafter Orthographie übermittelt Kate Blitz ihre Corona-Prophecies From God (2020); im praktischen E-Format erfährt die Leserin, warum dieser exakt 2045 ein „Second Deadly Black Virus“ zu schicken gedenkt. An der Anti-LGBT+-Front finden Repräsentanten unterschiedlicher Religionen zueinander; ein US-Pastor warnt vor dem „homovirus“, während ein sephardischer Rabbi Pride-Parades als Trigger göttlicher Rache identifiziert (Greenhalgh 2020). Eine gewisse Ambiguität zeigt sich bis hinein in den Mainstream der großen Monotheismen: Der Churer Weihbischof ortet seinerseits eine „Strafe Gottes“ (Kajan 2020); im deutschen Kontext ist die Kontroverse zwischen Henryk M. Broder und Heinrich Bedford-Strohm als EKD-Ratsvorsitzendem aufschlussreich. In Polen werden Anti-Corona-Rosenkränze via Facebook gebetet, doch auch im laizistisch geprägten Frankreich erläutert der Bischof von Bayonne die aus der Pandemie zu ziehenden „leçons de conversion et de purification“; auf ihren „causes spirituelles“ insistiert der Imam von Brest (Daussy 2020). Nicht nur in der Krise neu entstandene, sondern auch etablierte Sekten wie die Zeugen Jehovas setzen auf sozmediale Mission (Brändle 2021).
Diese Renaissance archaischer Religiosität wird literarisch parodiert: „[…] it is God who decides the fate of man. […] Nothing’s going to stop the Armageddon“, resümiert Großtante Rita in Rivers Solomons „Prudent Girls“ die jehovistische Version. Schon vor Corona in einer texanischen Kleinstadt und ihrer religiös indoktrinierten Familie gefangen, beschließt die Protagonistin, das System mit seinen eigenen Waffen zu schlagen; tatsächlich gelingt es Jerusha, ihre in einer antisanitären „crowded facility“ inhaftierte Mutter, verstoßene „apostate“, zu befreien: „Jerry had wrought her own Armageddon, and liked it“ (DP 242, 250). Mit „Rieux et Oreste“ argumentiert Lévy gegen die Paneloux-Wiedergänger unserer Zeit und die Falle der „religiosités laïques“ (2020: 38, 45–49). Beim Blick auf die esoterischen Blüten, die die Pandemie selbst in Ärztekreisen treibt, scheinen Manzoni und Defoe (1995) nicht weit: Vom 1665 in London feilgebotenen „only true plague water“ führt ein erstaunlich direkter Weg zum Anti-Corona-Wasser, das eine österreichische Medizinerin präsentiert (Kreil 2021). Gegen oberflächlich säkularisierte Deutungen im Rahmen einer „écologie punitive“ (Le Goff 2021: 29) ist die frühe Corona-Literatur nicht immer gefeit: „Is this nature’s answer to its plundering by civilization? […] Or is this all a divine message […]?“, fragt sich Gábor T. Szántó (Stars 349).
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