Niklaus Meienberg

Reportagen 1+2


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plumpsen frühmorgens pünktlich in die Briefkästen, die Redakteure streben unbehelligt in die Zeitungsgebäude, die Waffen schweigen. Wenn eine Rauchwolke in den Himmel steigt, dann beruhigt uns das hier am nördlichen Stadtrand: die Abfallverbrennungsanlage arbeitet. Wir arbeiten (fast immer). Die Armee ist ruhig, der Flughafen funktioniert, die Schulen beschulen, die Mägen verdauen, die Verwaltungen verwalten, es gibt nicht nur keine Warteschlangen vor den Läden, sondern auch keine Scharfschützen, welche uns am Einkaufen hindern.

      Hingegen: fünf Kilometer Stau auf der Autobahn N1.

      Die Hunde machen einen gepflegten Eindruck, auch unsere Katzen sind ausreichend gefüttert. Wir haben die Wahl zwischen mittelmässigem, gutem und exzellentem Katzenfutter. Manchmal hört man es schiessen, dann weiss man: Es ist Sonntag, und es wird mit Gewehren auf Zielscheiben geschossen in den Schiessständen. Die letzte richtige Schlacht liegt ca. zwei Jahrhunderte zurück. Franzosen gegen Russen, auch unsere Grossmütter können sich nicht daran erinnern. Ein Druck auf den Lichtschalter: Es wird hell, ein Drehen am Wasserhahn: es fliesst. Bald kommen die Ferien, vielen steht ein schmerzhafter Verzicht bevor, ins einstmals so preiswerte Jugoslawien wird man nicht reisen können, jedenfalls nicht nach Sarajevo.

      Unbeschädigt steht das putzige Gebäude des «Tages-Anzeigers» (eine lokale Zeitung), es wurde schon wieder kein Beschuss gemeldet. Keine Panzergranate hat eingeschlagen, kein Redakteur musste sich bücken oder auf den Boden werfen, weil die Front nur fünfzig Meter entfernt ist, es rauchen nur die Köpfe, nicht das Haus. Und gekämpft wird um Marktanteile, geschossen nur im übertragenen Sinn: auf die Konkurrenz. Der Tod erfolgt meist auf zivilisierte Art, im Bett zu Hause oder in freundlichen Spitälern, Krebs kommt vor und Herzinfarkt, und manchmal krepieren ein paar Junge an einem Schuss, den sie sich selbst gesetzt haben. Das Bestattungswesen ist intakt.

      Von einer Belagerung der Stadt Zürich ist nichts zu spüren. Belagert und umzingelt sind wir nur vom Wunsch, das Schlachten im ehemaligen Jugoslawien aus unseren Köpfen zu verdrängen.

      Dabei haben wir noch kürzlich in einem anderen Krieg mitgefiebert. Der militärische Spaziergang am Golf hat den meisten, als unblutiges Computergame, gefallen, so viel schweizerische Präzision bei der Vertreibung dieser irakischen Banditen aus Kuwait, so sauber und fast ohne Leichen.

      Und weil es in Bosnien kein Erdöl gibt, das man dringend befreien muss, begreifen wir natürlich, wie schwierig oder unmöglich eine militärische Aktion der Alliierten dort wäre. Jeder Schweizer ein Stratege! Oder ein Taktiker. Und übrigens sind wir neutral, und die ethnische Zusammensetzung Bosniens soll so kompliziert sein, dass man beim besten Willen nicht weiss, wie dort erfolgversprechend eingegriffen werden könnte.

      Doch, wir verfolgen das Gemetzel am Fernsehen, aber es verfolgt uns nicht. Reality show. Wird so real serviert, dass es uns phantastisch vorkommt, als Ausgeburt einer rasanten Phantasie. Wir empfinden natürlich Mitleid, vor allem für uns, weil wir nicht helfen können. Und wir würden doch so gern. Und dann gibt es ja auch noch Somalia, Angola etc., überall zugleich können wir nicht hinblicken. Auch waren uns die Kuwaiter (die wir nicht kennen) sympathischer als die Kroaten und Bosnier und Kosovo-Albaner (die wir kennen, weil viele in der Schweiz arbeiten). Es heisst von ihnen, sie seien rauhe Gesellen, die sich nicht so recht bei uns einordnen wollen.

      Lieber Zlatko Dizdarevic, Sie sehen doch auch, wie kompliziert unsere Lage ist, wie hoffnungslos. Als Journalist und Chefredakteur, als ehemaliger Korrespondent in Kairo und Verfasser eines Buches über die israelisch-arabischen Beziehungen haben Sie sicher Verständnis für unsere Komplexe und komplizierten Komplexitäten. Der Zufall der Geburt hat Sie nach Sarajevo verschlagen, wo Sie gegenwärtig die Zeitung «Oslobodjenje» leiten, und zwar im Keller, denn das Zeitungsgebäude wurde Stock für Stock von serbischen Granaten abgeräumt. Vor dem Krieg betrug die Auflage 80'000, jetzt ist sie auf 1000 (in Worten: tausend) gesunken, die Belegschaft schrumpfte von 100 Journalistinnen und Journalisten auf 40. Manchmal werden auch nur 300 Exemplare der Zeitung, die jetzt noch aus vier Seiten besteht, verteilt, unter Lebensgefahr.

      Es steht Ihnen eine Telefonverbindung zur Verfügung, nur vier Schreibmaschinen. Ein paar Schreib-Computer gibt es auch noch. Der Strom für das Radio, aus dem Sie Informationen beziehen, wird von einer Autobatterie geliefert, und die Kollegen durchstreifen die Stadt auf der Suche nach Dieselöl, mit welchem der elektrische Generator betrieben werden kann. Die Journalisten sind polyvalent, sammeln Informationen, redigieren, drucken, verteilen die Zeitung. Geschlafen wird am Arbeitsplatz.

      Technisch nicht auf dem neuesten Stand, wird man wohl sagen dürfen. Und doch erlauben Sie sich den Luxus der Unabhängigkeit. Von den Inserenten haben Sie keinen Druck zu befürchten, es gibt nichts mehr zu inserieren ausser Todesanzeigen. Aber die Politiker hofften, Euch zu gängeln, dem bosnischen Präsidenten Alija Izetbegovic gefiel die Unabhängigkeit der einzigen Zeitung Sarajevos nicht, er wollte «Oslobodjenje» subventionieren und somit kontrollieren. Die Redaktion hat das, obwohl die materielle Lage verzweifelt ist, abgelehnt und die Zeitung «vergesellschaftet», wenn man so sagen darf, also verkauft und einen Teil der Aktien den Lesern angeboten.

      Ein urdemokratisches Zeitungsmodell, mitten in der Katastrophe realisiert. Und ich bezweifle, ob unsere grossen Zeitungen in Zürich, falls wir auch einmal Krieg haben, sich derart radikal gegen die Zensur auflehnen würden. Wer weiss.

      Aber wir werden hier nie Krieg haben (glaubt man in Zürich). Der letzte Weltkrieg hat an unseren Grenzen haltgemacht. Trotzdem wurde damals die staatliche Zensur in den Redaktionen akzeptiert.

      Euren Politikern behagt es nicht, dass «Oslobodjenje» von Serben, Kroaten, Muslims gemacht wird und Informationen, nicht Propaganda liefert. Sie hätten wohl gern eine ethnisch gesäuberte Zeitung in Sarajevo, während Ihr mit Eurer gemischten Belegschaft beweist, dass die unterschiedlichsten Völkerschaften sehr wohl miteinander leben können; sogar in einer Redaktion, wo auch im Frieden bekanntlich die Meinungen hart aufeinanderprallen.

      Lieber Zlatko Dizdarevic, warum gelingt Euch der Frieden mitten im Gemetzel und warum den andern nicht? Wie haltet Ihr das aus, die Granaten aus den serbischen Kanonen und den Druck der «eigenen» Regierung? Euer Reporter Alco Hondo wurde getötet, als er die Warteschlange vor einem Brunnen fotografierte. Kjasi Smajlovic, Korrespondent in Zvornik, wurde von den Tschetniks hingerichtet, nachdem sie die Stadt erobert hatten, und es gibt keine Chauffeure mehr, welche Eure Zeitung zu den Lesern bringen. Wo treibt Ihr immer wieder Papier auf? Eine Ladung, von der französischen Regierung gespendet, liegt in Split fest: «Manchmal ist die Zeitung wichtiger als Brot», hat einer von Euch kürzlich gesagt. Aber ich nehme an: Ihr hängt am Leben, Todesmystik ist Euch fremd. Eure Berichte und Reportagen machen einen kontrollierten, nüchternen Eindruck, keine Spur von Abenteurertum, kein Hemingway-Gefühl. Ihr wollt nur den Krieg stören, deshalb wurde Eure Redaktion seit einem Jahr zerstört, systematisch, und das Gebäude eingeebnet.

      Wie lange könnt Ihr durchhalten? Was passiert mit Euch, wenn die Frontlinie, die jetzt schon fünfzig Meter hinter Eurem Maulwurfsbau verläuft, näher rückt, ganz Sarajevo den Kriegsgurgeln in die Hände fällt? Wer fliehen kann, der ist geflohen. Und Ihr macht jeden Tag, so pünktlich wie irgendeine Redaktion in Zürich, Eure Zeitung für die übriggebliebenen Bewohner der Ruinenstadt. Die serbischen Ruinenbaumeister werden sich rächen.

      In Ihrem «Kriegstagebuch» haben Sie geschrieben: «Das schlimmste ist, dass wir hassen lernen. Wir verdächtigen jeden und vertrauen niemandem. Hoffen können wir nicht mehr: wir verachten, sind zynisch geworden. Jemand hat kürzlich gesagt, in Bosnien sei ein Zustand jenseits des Hasses erreicht … Manchmal hat man die Nase voll, man würde gern aufgeben und abhauen, wenn man nur könnte – aber es bleibt uns die Hartnäckigkeit, der Trotz oder, um uns besser zu charakterisieren, die Dummheit. Die befiehlt uns, hier auszuharren, und wird uns vermutlich das Leben kosten. Aber was soll das Leben, wenn seine Grenzen von jenen Idioten gezogen werden, die von den Hügeln herab schiessen.»

      Lieber Zlatko Dizdarevic, auf Ratschläge aus Zürich werden Sie verzichten können. Zürich kann vielleicht mitreden, wenn seine Bevölkerung von 400'000 auf 50'000 geschmolzen ist, wie die von Sarajevo. Das Leben hier ist völlig unberührt vom Tod in Ihrer Stadt, obwohl sie näher bei Zürich liegt als Kuwait City. Schicken können wir Ihnen vorläufig nichts, ausser unserer Bewunderung. Dadurch wird Ihre Lage nicht anders, und etwas