den ganzen Erdball verzweigten Clans –
Es ist mir ein Bedürfnis, Ihnen allen heute die Grüsse und den ehrerbietigsten Dank des prämierten Meienberg zu überbringen. Er selbst, Niklaus Meienberg I., hat es vorgezogen, in dieser zeremoniösen Stunde in den Untergrund abzutauchen, weil seine sensible Natur die Feierlichkeiten nur ächzend bzw. grochsend überstehen könnte und natürlich auch deshalb, weil die Wogen der bü-bü-bürgerlichen Empörung, welche nach dieser Preisverleihung aufgebrandet sind, oder aufgequirlt oder aufgeschäumt oder abgeschäumt sind, sein Wohlbefinden doch recht sehr beeinträchtigen könnten. Einem Herrn im mittleren Alter kann es ja gesundheitliche Störungen verursachen, wenn er, wie das in der hiesigen Presse geschehen ist, in einer Zeichnung als Männeken Piss dargestellt wird, der auf seine Mitbürger herunterbrunzt, oder wenn er als abverstrupfter Klosterschüler und Nestbeschmutzer tituliert wird – nachdem er sich so lange als Nest-Entschmutzer betätigt hat. Er hat mich deshalb gebeten, an seiner Stelle ein paar Dankesworte, die er allerdings teilweise selbst redigiert hat, an die Festgemeinde zu richten. Es spricht also jetzt nicht das Original zu Ihnen, sondern ein Duplikat oder double des prämierten Meienberg, auch stuntman genannt. Lassen Sie sich von physischen Ähnlichkeiten nicht irreführen. Diese Einrichtung hat sich bewährt, seit Papst Johannes Paul II. seinen stuntman auf Schweizerreise schickte und sich zu Hause in Castel Gandolfo einen Schranz lachte, als er am Fernsehen verfolgen konnte, wie die ganze Schweiz vor seinem Duplikat katzbuckelte.
Ich darf sogleich beifügen, dass ich diesen Part des Meienbergstuntman nicht zum ersten Mal spiele, sondern ihn schon öfters am Fernsehen, Radio und bei Streitgesprächen übernommen habe; immer dann, wenn es gilt, den angeblich wilden, bösen, sarkastischen, aggressiven M. zu spielen, nennen wir ihn Meienberg II. Um meine Vertreterrolle, die hiermit enthüllt ist, zu erklären, muss ich in der Geschichte etwas zurückgreifen und Ihnen erläutern, wie das real existierende Medienwesen diese Abspaltung erzwungen hat. Meienberg I., so darf ich in Erinnerung rufen, hatte während seiner Pariser Korrespondentenzeit recht viel in seine Arbeiten investiert und auch immer versucht, den philosophischen Strömungen der damaligen Zeit auf den Grund zu gehen, etwa in grossen Interviews mit einem Michel Foucault, einem Pablo Neruda; und auch die politischen Strömungen wollte er erkunden, im Gespräch z.B. mit Charles Tillon und François Mitterrand, sowie in grossen Pariser Reportagen. Bald musste er feststellen, dass diese aufwendigen Stücke ziemlich echolos über die Bühne gingen und kaum je eine Debatte provozierten. Als er dann, nach seinen Pariser Lehrjahren, in die Schweiz zurückkehrte und die Instrumente, welche er in Frankreich gewetzt hatte, an heimatlichen Themen erprobte, waren die Folgen plötzlich überwältigend, vor allem für ihn. Seine Sujets und sein Stil waren anscheinend im Begriff, eine Marktlücke zu füllen, die Reaktionen (d.h. sehr oft: die Antwort der politischen Reaktion) kamen hageldicht, es war etwas los, manchmal sogar der Teufel. Wenn ich an die Wirkungsgeschichte des Films über den Landesverräter S. denke und daran erinnere, wie grotesk, aber auch wie lustig, jedenfalls wie deutlich damals die Positionen eines verkalkten Bürgertums bezogen wurden – da gab es doch jene dreissig Professoren der Universität Bern, welche beim Oberbürgermeister von Mannheim feierlich dagegen protestierten, dass dieser Film den ersten Preis des Dokumentarfilmfestivals gekriegt hatte; und anschliessend kam heraus, dass keiner von den Herren den Film gesehen hatte –, und wenn ich an die heftigen Wallungen denke, welche beinahe jeder zweite Artikel von ihm provozierte, so wird wohl verständlich, dass er lustvoll diesen Acker weiter pflügte. Der Ekel, den er über die Zustände empfand und formulierte, war zwar echt und empirisch fundiert, kam aus der Anschauung und Anhörung; aber der Markt war auch echt, hat ihn fast zu einem Markenartikel gemacht und manchmal verführt, nur die eine Komponente seines Temperaments auszubeuten. Das Publikum schrie nach mehr, mochte nur das Heftige kaufen. Als er dieses merkte, sah er sich nach einem double um, denn er wollte weiterhin auf dem Markt bleiben und dort den Hecht spielen, Karpfen gibt es ja wohl genug, und so hat er eben mich, den stuntman Meienberg II., in die Öffentlichkeit delegiert und mich mit sogenannt streitbaren Artikeln und Auftritten betraut. Er könne nämlich, so sagte er mir damals, als Streithammel und Rammbock und offiziell akkreditierter Robin Hood und wackerer Rächer der Armen seine meditativen Talente nicht entwickeln, will sagen, das Philosophische zu wenig pflegen und der Lyrik nicht obliegen, und ausserdem sei das ewige Stämpfeln und Zörneln eine anstrengende Sache, und, so zitierte er einen Dichter:
Auch der Zorn über das Unrecht macht die Stimme heiser.
Ich aber, als alter ego, besorge gern sein Geschäft von ehedem, ziehe als Reisender in Sachen Umsturz über die Dörfer, etwa nach Zollikon, besuche etwa eine Veranstaltung, an der die entsetzliche Kopp ihr Comeback feiern möchte, und stelle ihr öffentlich ein paar Fragen, und geniesse das auch noch. Um einen wirklichen Umsturz handelt es sich aber beileibe nicht, eher um einen Rücksturz in demokratische Verhältnisse, ich beharre nur auf der Rede-, Presse- und Versammlungsfreiheit, welche uns schon in der Verfassung von 1848 garantiert worden ist bzw. welche wir uns damals selbst garantiert haben; und bin immer ganz erstaunt, wenn ich höre, was dieser Meienberg für ein mutiger Porscht oder frecher Siech sei. Die Wahrheit zu sagen, wenn nötig auch ein bisschen laut, fällt mir weniger schwer, als aufs Maul zu hocken und mein Gemüt zu strangulieren. Das ist kein Verdienst, nur ein Temperament, höchstwahrscheinlich geerbt von der magna mater Sangallensis, und macht sich auf die Dauer sogar bezahlt, sei es auch nur, dass man keinen Magenkrebs bekomme vom vielen heruntergeschluckten Ärger. Dass ich, Meienbergs stuntman, bei der Ausübung meiner verfassungsmässig verbrieften Rechte, und obwohl ich nie etwas mit dem kriminellen Nonsens der raf oder mit ähnlich doofen Brüderschaften am Hut hatte, von der Polizei eines demokratischen Staates seit 1963 bis und mit 1989 konstanter und fideliter, ich hab's doch tatsächlich auf 15 Fichen gebracht, bespitzelt worden bin, erregt dann wieder den Zorn, der in mein Weltbild passt, und ich muss mich nicht künstlich aufregen, wenn ich etwa meinen Ficheneintrag vom 30. 5. 75 lese:
v. Sikripo Bern. Bericht über den Aktionstag der Studentenschaft der Uni Bern vom 28. 5., organisiert von der sozialdemokr. Hochschulgruppe, der Poch sowie der Studentenschaft der Uni Bern. Es nahmen ca. 150 Interessenten u. Studenten teil. Keine Zwischenfälle. M. trat als Redner in Erscheinung und sprach über die Gewährung von Grundrechten.
Ich erinnere mich, damals mit einigem Stolz darauf hingewiesen zu haben, dass eben z.B. die Redefreiheit bei uns nicht von Spitzeln beeinträchtigt werde wie in der ddr; denke mit Schaudern daran, insofern das Lob unsrer Demokratie gesungen zu haben, die mich bespitzelte. Der andere St.Galler, welchem seinerzeit das Spitzelwesen unterstand, hat entweder seine Spitzel nicht im Griff gehabt und muss dementsprechend ein schlechter Bundesrat gewesen sein, oder er hat von den Spitzeleien gewusst und sie gedeckt und müsste dann als widerwärtiger Oberschnüffler bzw. Hundsfott bezeichnet werden. Diesenfalls würde ich erwarten, dass er sich bei mir, wie bei sämtlichen Beschnüffelten, in aller Form entschuldigt, evtl. auch eine Entschädigung herausrückt: für jene Leute zum mindesten, welche wegen ihrer Fiche etwa eine Stelle nicht gekriegt oder sonst materielle oder moralische Einbussen erlitten haben.
Ach ja. Ich kann nur immer wieder mein Köpfchen schütteln über das Verhältnis unsrer regierenden Herren zu den verfassungsmässig garantierten Freiheiten, etwa zur Versammlungsfreiheit. Die sogenannten Freisinnigen dieses Kantons St. Gallen etwa scheinen vergessen zu haben, wie der Kanton entstanden ist, nämlich durch die Freiheit, welche sich die grossen Volksversammlungen am Ende des ancien régime herausgenommen haben, unter Anführung des unvergesslichen Postboten Kuenzle, als dem Fürstabt von St. Gallen eine Art von Verfassung abgetrotzt worden ist und die Abgaben verweigert wurden mit dem glorreichen Schlachtruf «Zahl nünt, Du bist nünt scholdig». Diese Volksversammlungen waren illegal, und mancher sagte damals: «Da taar me nöd.» Das geschah, bevor die Soldaten der französischen Republik die bürgerlichen Freiheiten importierten, und geschah zufällig auf dem Territorium der Gemeinde Gossau, wo kürzlich andere Volksversammlungen die Freiheit der Natur von einem Waffenplatz reklamierten. Diese vernünftig und demokratisch fühlenden Leute wurden bekanntlich vertrieben, der lächerliche überflüssige Waffenplatz wird uns beschert, und die Parlamentarier, welche gemeinsame Sache mit der Vernunft machten, sollen juristisch belangt werden. Da war Fürstabt Beda Angehrn, der sich immerhin auf sein Gottesgnadentum berufen konnte, denn doch aufgeklärter und fast schon demokratisch, er gab der Volksbewegung nach und reduzierte seine weltliche Herrschaft auf ein Minimum. Er hat durch seine kluge Politik den Bürgerkrieg verhindert, besass jenes