er echte Vergiftungserscheinungen aufwies, durch Empathie, als er mit der Beschreibung der Vergiftung seiner Madame Bovary beschäftigt wa, – und so kommt sich denn auch der Leser wie vergiftet vor, wenn er diese Stelle liest.
Bei Walter & Koerfer habe ich dieses Gefühl (Gewissheit!), dass die Fiktion eine neue Wirklichkeit ist, nie, weil ihre Fiktionen der Wirklichkeit nicht zuerst aufs Maul geschaut und sie erst dann überhöht haben, sondern willkürlich ins Blaue hinaus fiktioniert sind. Es sind mühsame Konstrukte, die jeder Wahrscheinlichkeit entbehren, zurückgeblieben hinter der Realität, sub-realistisch statt, wie vermutlich angestrebt, mit einem Hauch von Sur-Realismus belebt. Beide bringen, wenn es besonders dämonisch und/oder traumhaft werden soll, Tiere ins Spiel: Walter lässt eine wunderbare Prozession von Lurchen (bekannte urnerische Landplage) über die Gotthardstrasse kriechen, auf welchen Lurchen jenes Auto, das unser Liebespaar nach Italien bringen soll, ausschlipft, sodass dann im Maderanertal übernachtet werden muss statt in Italien; in welchem Maderanertal nachts im Licht von Jeepscheinwerfern ein Stier auf garantiert bestialische Art ÜBER DIE DÖRFER und lebend angebraten wird (vgl. die wiederholte Kampagne des Tierschutzes gegen das Uri-Stier-Kreuzigen), und Koerfer lässt einen Teddy-Bär plötzlich zur Lebensgrösse anschwellen, Achtung Kinderphantasie, und den Industriellen Korb erlegen, welcher ausserdem von einem Adler zu Tode gehackt wird, nachdem er sein italienisches Dienstmädchen gevögelt hat. Der Umgang mit plötzlich auftauchenden Tieren ist aber etwas vom Heikelsten. Buñuel kann das, Abel Gance auch, sein Napoleon-Adler ist einleuchtend; Koerfers und Walters Tiere sind ausgestopft.
Mit der Liebe ist es auch nicht einfach. Wie sehnt man sich nach Liebesszenen in unserer Literatur! Nach Leidenschaft! Walters Held Wander ist ein hölzernes Männchen, das alle feministischen Theoreme plakativ vor seinen Bauch hält oder als Sprechblase absondert. Von seiner Frau ist er geschieden, aber da ist keine Bitterkeit zurückgeblieben, obwohl es eine teuflische Ehe war, man trifft sich unschuldig wie Bruder und Schwester (bisschen Inzest wäre nicht schlecht), sie studiert jetzt halt Psychologie an der Uni, isst während des friedlichen, harmonischen Beisammenseins Seezunge mit Zitrone und parliert ganz nett. Mit Ruth will er ins Bett (in die Pfanne), getraut sich aber zuerst nicht recht, weil das doch allzusehr einer Situation ähneln könnte, die Winter, sein anderer Romanheld, im Roman schon vorausgenommen hat, schliesslich gelingt das aber doch noch leidlich und beschert uns eine der bedeutendsten Kitsch-Szenen der hiesigen Literatur: «Er fühlte das winzige Zittern in ihren Schultern, und selbst als ihr Mund sich ganz wenig öffnete und ‹Du› sagte …», und als sie dann «Du» gesagt hatte wie in einem Bastei-Roman Modell 1955, muss man sich hin und her überlegen, ob ein politisch bewusstes Liebespaar, wenn es brünstig wird, nach Italien fahren darf, weil dort ist auch nicht alles ideal, Streiks werden unterdrückt und viel Polizei, viel Korruption und die Genossen von Lotta Continua (Lotta, wollen wir nicht kontinuieren statt immer interruptieren?) werden auch verfolgt, jedoch andrerseits die Städte schön, vor allem die Altstädte, und viel gesundes Brauchtum noch im Schwang, Italien Italien, und wären sie nach allem Abwägen des Dafür und Dawider auch dorthin gefahren, wenn nicht die Lurche ihre Reise frühzeitig durchlurcht hätten (Kt. Uri). Immerhin entdecken sie dann ganz in der urnerischen Höhe ein Hotel, wo sie die einzigen Gäste sind, immer höher geht es hinauf, man merkt: Jetzt soll die Stimmung unheimlich werden in dieser Bergeinsamkeit, aber das Unheimliche (shining!) kommt und kommt nicht, weil die Sprache nicht unheimlich ist, hingegen kommt Adalbert Gamma, der Hotelier in seinem vergammelten Hotel, das kurz vor der Schliessung steht. Im Zimmer, wo sie dann endlich allein sind, enfin seuls, passiert auch wieder nichts von dem, was passieren könnte, wenn zwei Menschen Lust aufeinander haben, hingegen macht man sich Sorgen, ob die Genossen drunten in Zürich, welche die Abreise des Liebespaares mit scheelen Augen beobachtet haben, ist doch bei der SCHWEIZER-ZEITUNG eben ein kleiner Aufstand im Gang, ob die Genossen nicht unzufrieden seien über ihre Abwesenheit. Nachdem noch das Waldsterben (das auch noch, nach allen andern aktuellen Themen: Zeitungssterben, Freiheitssterben, Kurdensterben) in diese Szene hineingestopft und der mythische Stier gekreuzigt worden ist, fahren die beiden zurück und helfen den Genossen in Zürich, welche romantische Sitzungen in einem Hinterstübchen abhalten (viel Zigarettenrauch!) beim Basteln einer wackeren neuen Welt. Über die Beschreibung des TAGES-ANZEIGERS, alias SCHWEIZER-ZEITUNG, hat einer, der es wissen muss, nämlich Christoph Kuhn, geschrieben: «Ich stelle als einer, der seit siebzehn Jahren bei dieser Zeitung arbeitet, fest, dass wir die Irritationen, Entwicklungen und Veränderungen an unseren Sitzungen sehr viel unreiner, banaler, pragmatischer erlebt haben, weniger pathetisch und weniger dramatisch» (TAGES-ANZEIGER vom 20. September 1983). Und wer das nicht glaubt, der soll im letzten Buch von Laure Wyss – auch eine, die es wissen muss – das Kapitel «Der Korridor» nachlesen. Das ist sehr beängstigend: wie Laure Wyss das quälend langsame, als persönliches Drama erlebte Mutieren «ihrer» Zeitung beschreibt. Sie hat etwas zu diesem Thema zu sagen, darum sagt sie es genau. Sie ist an Genauigkeit interessiert. Die Heldenfiguren von Walter, die «Frauenfiguren von lyrischer Zartheit» (wie die NZZ richtig sagt), die politischen Gruppierungen in diesem Buch, welche ganze Schlagwortkataloge herunterraspeln, die bringen keine Wirklichkeit, und ihre «Phantasie» ist derart abgehoben, uninkarniert, dass sie nicht auf die Realität zurückwirken kann. Natürlich ist der Roman «raffiniert» konstruiert: mit seinen verschiedenen Ebenen. Es ist die Raffinesse eines Baumeisters, der mit den Lego-Bauklötzchen aus dem Lego-Baukasten hantiert, d.h. mit den netten, zurechtgefeilten Elementchen einer vorrealen Welt. Soviel Naivität ist dann nicht mehr unschuldig, sie kämpft auch nicht «Wider die Resignation», sondern für Entwirklichung.
Ganz ähnlich unwirklich Koerfers Liebe, nur andersherum. Während Walter alle Liebes-Szenen entsinnlicht, trägt Koerfer mit dem grossen Verruchtheits-Pinsel auf. So eine geile Madame, die auf dem Kaminsims mit einer kostbaren Metallplastik masturbiert: so eine Plastik und so eine Frau hätte jeder Zuschauer auch gern zu Hause. Das wäre ja ein richtiger Softporno geworden, wenn Koerfer in diesem Stil weitergemacht hätte. Viel interessanter als diese geile Nudel, so wage ich zu behaupten, sind die wirklichen Gattinnen der Industriellen in unserm puritanischen Zürich, oder auch ihre Schwestern: echte «précieuses ridicules», und eben gar nicht so sinnlich, sondern brav im Haushalt und bei der Repräsentation ihres Gatten mitwirkend und auf ihre bescheidene Art die Reputation des Hauses mehrend und das Kapital vermehrend. Wäre Korb (Bührle) mit einer solchen Frau, wie sie im Film agiert, gesegnet gewesen: er hätte in der harten Industriewelt nicht Karriere machen können. Das Erschütternde an unsern Industriellen ist ja eben, dass es keine viscontischen Götter, weder Krupps noch Schneiders (Schneider-Creusot, Frankreich) sind, sondern verklemmte, brave, auch brav Kunst sammelnde Spiesser, die sich nach unten ans Kleinbürgertum anpassen und nicht auffallen dürfen, was ihren Lebensstil betrifft. Aber das interessiert Koerfer, der eine gewaltige Freske der Verruchtheit entwerfen wollte, nicht. Zwar strotzt sein Film von historischen Figuren, genau benennbaren, wie z.B. General Guisan, den es wirklich nur in einer einzigen Ausführung gegeben hat, in der Wirklichkeit – und der bei Koerfer ein klappriges, vor dem Rüstungsindustriellen Korb scharwenzelndes Männchen wird. Auch einen englischen Botschafter hat es während des Krieges in der Schweiz wirklich gegeben: auf den damals wichtigen Posten (Spionage etc.) hat man nicht den naivsten aller Diplomaten gestellt. Genau so wirkt er aber bei Koerfer: ein zittriger Greis (Parkinson), der von dem kleinen Polen-Mädchen, das Familie Korb aufgenommen hat, erfährt, wie grausam die Nazis in Polen wüten – und der darauf voller Entrüstung die Party bei Herrn Korb verlässt und ihn mit englischen Sanktionen bedroht. Hier wird der Film besonders peinlich, denn Koerfer hat dokumentarische Fotos von wirklichen Konzentrationslagern eingeblendet; wobei jedermann heute weiss, dass die Alliierten über die Vernichtungslager in Polen genau orientiert waren und nur deshalb nicht eingegriffen hatten, weil ihnen ihre Flugzeuge zu schade und andere militärische Aufgaben vordringlich waren. Also wirkt es lächerlich, wenn im Film der englische Botschafter sich von einem Kind über die deutschen Grausamkeiten orientieren lässt und dann eine grosse Gemütswallung zeigt und eine Änderung der englischen Politik in Aussicht stellt …
Auch hier, bei Koerfer, das raffinierte Spiel mit zwei Ebenen. Nur stimmt keine von beiden, der historische Teil ist fahrlässig-unverbindlich-melodramatisch dargestellt, und der aktuelle Part (Wehrschau) gleitet in Lächerlichkeit ab, z.B., wenn die aufgedonnerte polnische Journalistin ihre aufgeregten Fragen stellt. Schweizerische Offiziere antworten übrigens, trotz allem, nicht so doof an einer Pressekonferenz. Eine politische Diskussion wird es um Koerfers Film