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50 Jahre Frauenstimmrecht


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– Trotzdem hat es bekanntlich noch bis 1971 gedauert. So stimmten in der ersten Volksabstimmung 1959 die männlichen Stimmbürger mit klarer Mehrheit gegen die Einführung des Frauenstimmrechts.

      Angesichts dieser Argumentation fragt man sich jedoch, ob die erneute Verweigerung spätestens mit der Feststellung des Bundesrates 1957, wonach nach eigener Rechtsvorstellung der Regierung der Ausschluss der Frauen aus dem Stimmrecht nicht mehr (ganz) rechtens war, nicht eben doch schon Unrecht war.

      Schluss: Kollektives Gedächtnis und die Frage des historischen Unrechts – ihre Bedeutung für heute

      Teil des kollektiven Gedächtnisses der Schweiz zu sein, würde kollektive Formen bedeuten, in denen die Geschichte des Frauenstimmrechts erinnert und seine Errungenschaft öffentlich gefeiert würde. Damit aber könnte sich stets erneut die Frage stellen, ob die wiederholte Verweigerung des Stimmrechts nicht doch Unrecht gewesen ist. Eine Frage, die bislang öffentlich zu stellen vermieden wurde, die aber spätestens mit der Botschaft von 1957 klar mit Ja zu beantworten ist. Denn ab da war die Verweigerung des Frauenstimmrechts – sogar im eigenen Selbstverständnis – ein Verstoss gegen die Demokratie und die Gerechtigkeit und damit Unrecht.

      Es kann aber auch sein, dass die Verweigerung des Stimmrechts noch immer nicht wirklich als Unrecht begriffen wird. Man(n) sich nach wie vor im Recht dünkt. Schliesslich waren die patriarchalen Geschlechterverhältnisse doch schlicht selbstverständlich.

      Vielleicht aber wird es inzwischen sogar als Unrecht erkannt. Dies offiziell als solches anzuerkennen, wäre jedoch etwas anderes. So gab es bislang noch keinen öffentlichen Akt der Entschuldigung. Eher findet man Versuche, sich und anderen immer wieder zu bestätigen, dass es kein Unrecht war – obwohl es spätestens, wie gezeigt, mit der Botschaft von 1957 als solches gewusst war. Ein solches Eingeständnis würde einen Bruch bedeuten. Doch kollektive Identität lebt von Kontinuität und Selbstgewissheit. Auch gälte es dann, eine andere Geschichte der Schweiz zu erzählen, eine, die nicht nur von Stolz über die eigenen (männlichen) Taten geprägt ist, wie es im Narrativ des kollektiven Gedächtnisses der Schweiz bislang der Fall ist. Mit der Bewältigung von Unrecht tun sich viele Gesellschaften in ihrem Bedürfnis nach positiver Selbststilisierung schwer; die Schweiz ist da keine Ausnahme. Dies hat sich auch an der Verdrängung des Unrechts im Zweiten Weltkrieg gezeigt oder am langen Schweigen über das Unrecht an den «Verdingkindern» sowie im Zuge der eigenen Kolonialgeschichte.

      Aber möglicherweise geht es noch um etwas anderes: An die Geschichte des Kampfes um das Frauenstimmrecht zu erinnern hiesse, aufmerksam zu machen auf die zutiefst männerbündische Struktur der Schweiz. Hiesse, den Blick auf mögliche Reste des patriarchalen Verständnisses in Demokratie und Gesellschaft zu richten sowie auf die tiefsitzende Auffassung natürlicher Geschlechterdifferenzen und der damit verbundenen Legitimierung der Diskriminierung von Frauen*. Die derzeit heftigen Polemiken von konservativen bis rechtsextremen Personen und Gruppen gegen den Feminismus und inzwischen mehr noch gegen die Geschlechterforschung, die sowohl am wissenschaftlichen Erinnern arbeiten als auch am Aufzeigen der nach wie vor heteropatriarchalen Gesellschafts- und Geschlechterordnung, machen nur zu deutlich, wie stark der Wille zur Bewahrung, wenn nicht Reaktivierung traditioneller Geschlechterverhältnisse ist. Schweigen vermeidet solch offizielles Erinnern an ebendiese patriarchale Struktur.

      Die Feierlichkeiten 2021 zum 50-jährigen Jubiläum der Gewährung des Stimmrechts für Frauen wäre allerdings eine optimale Gelegenheit, dieses Schweigen zu durchbrechen. Eine Chance, einen (selbst)kritischen Blick auf die – bei allem Wandel – nach wie vor diskriminierenden Geschlechterverhältnisse und das patriarchale Verständnis von Demokratie zu richten. Eine Chance, diese Geschichte des Kampfes zu einem Teil des kollektiven Gedächtnisses der Schweiz werden zu lassen. Mehr noch: Es ist eine Chance, endlich offiziell anzuerkennen, dass die Verweigerung des Stimmrechts Unrecht war. Es ist an der Zeit.

      Anmerkungen