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50 Jahre Frauenstimmrecht


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ich, jetzt kenne ich diesen Mann schon so lange und immer noch gelingt es ihm, mich zu verblüffen. Ich war wahnsinnig froh. Unter den männlichen Politikern löste es aber oft Unverständnis aus, dass ich eine eigene Wohnung hatte. Lustigerweise wurde ich oft gefragt, was denn mein Mann dazu sagen würde.

      Als Sie im Nationalrat waren, gab es ja auch noch andere Frauen. Wie war Ihr Verhältnis? Hatten Sie ein gutes Netzwerk miteinander?

      Netzwerk klingt zu formell. Aber im Rahmen des Möglichen haben wir uns unterstützt. Weil eben Frauen oft in der Politik andere Prioritäten setzen. Und weil wir eine Minderheit waren, die zusammenhalten musste.

      Sie sind als erste Bundesrätin in einen männlichen Bundesrat gewählt worden. Sie waren die erste Frau im Gemeinderat. Wie waren denn allgemein die Reaktionen der Herren in diesen Gremien auf Sie? Haben Sie sich persönlich gut verstanden?

      Ach, oberflächlich war es «Küsschen, Küsschen». Aber eigentlich haben sie mich als Störfaktor empfunden. Die Kollegen im Bundesrat waren masslos eifersüchtig auf mich, weil ich mehr Medienpräsenz hatte. Das hatte nichts mit meiner Qualität zu tun. Ich war einfach ein Novum. Für die Journalisten war es interessanter zu beschreiben, wenn Frau Kopp mit einem neuen Kleid ankam oder ihre Haare geschnitten hatte, als wenn die ihre Glatzköpfe poliert hatten. (lacht)

      In einem Interview haben Sie einmal erzählt, dass Sie immer froh waren, wenn bei Bundesratssitzungen die Pausen vorbei waren, weil Sie dann wieder inhaltlich arbeiten konnten.

      Die Männer haben in den Pausen über nichts anders als über Fussball geredet, davon habe ich nichts verstanden. Hätten sie wenigstens über Eiskunstlauf gesprochen! (lacht) Man kann sich ja für Sport begeistern, aber ich fand es primitiv, dass man bei einer Bundesratssitzung nicht noch über andere Themen reden konnte als über Fussball. Da bin ich manchmal in den Pausen sogar in mein Arbeitszimmer gegangen und habe in der Zeit weitergearbeitet. Viele Jahre nach meiner Zeit als Bundesrätin habe ich einen Dokumentarfilm über diese Zeit gesehen. Darin haben meine Kollegen nach meiner Wahl gesagt: «Wir werden Frau Kopp rückhaltlos unterstützen». Rückhaltlos! Also ohne Rückhalt. Unmissverständlicher wäre gewesen: Vorbehaltlos.

      Das kann man so verstehen. Die Sprache verrät viel.

      Dazu fällt mir noch etwas ein: Bei der ersten Bundesratssitzung nach meiner Wahl kam die schwierige Frage auf, wie man mich jetzt anreden solle. Damals nannte man die Ehefrauen der Bundesräte «Frau Bundesrat». Da war für mich klar, dass ich nicht so genannt werden wollte. Ich habe nichts gegen diese Frauen, die haben eine wichtige Aufgabe, aber ich hatte eine andere Funktion und ein Amt. Ich sagte also: «Ich will mit Frau Bundesrätin angesprochen werden.» Als ich das meinem Mann erzählt habe, sagte er: «Du weisst, dass ich für Gleichberechtigung bin. Darum nenne ich mich von jetzt an Herr Bundesrätin.» Leider hat sich das in der Öffentlichkeit nicht durchgesetzt. (lacht)

      Und wie war die Zusammenarbeit bei den Themen, die Ihnen immer wichtig waren: Die Gleichberechtigung von Männern und Frauen?

      Auch hier gab es dicke Bretter. Ein Beispiel, bei dem ich mit meinen Forderungen gescheitert bin, ist die Revision der AHV Mitte der 1980er. Ich hatte die Vorlage gründlich durchgeschaut, aber das wichtigste Frauenanliegen war wieder nicht drin, nämlich, dass Betreuungszeiten gutgeschrieben wurden. Ich habe gekämpft wie eine Löwin, aber im Bundesrat wurde es mit allen gegen meine Stimme abgelehnt. Das war das erste Mal, dass ich aufgestanden und mit Tränen in den Augen gegangen bin. Ich konnte es nicht verstehen: Das war so eine Geringschätzung der Leistungen, die Frauen erbringen.

      Aber Sie hatten auch grosse Erfolge.

      Mein allergrösster Kampf war für das neue Eherecht, das 1988 in Kraft trat. Das war die wichtigste Vorlage, die ich durchgebracht habe. Damals war ich jeden Tag unterwegs: Vom Genfersee bis zum Bodensee, vom Tessin bis in den Jura, um für dieses neue Eherecht zu werben. Wissen Sie, wenn man irgendeine Vorlage hat zum Beispiel zum Landwirtschaftsrecht und die wird abgelehnt, dann bringt man sie halt später wieder, vielleicht ein bisschen geändert. Das können Sie bei der Gleichberechtigung nicht! Frauen können nicht ein bisschen gleichberechtigt sein. Es geht nur ganz oder gar nicht.

      Was unterschied das neue vom alten Eherecht?

      Bis dahin war der Mann das alleinige Oberhaupt der Familie und Vormund der Ehefrau in finanziellen Angelegenheiten. Er konnte den Wohnort der Familie festlegen, er konnte entscheiden, ob seine Frau berufstätig sein durfte oder nicht. Das Gesetz schrieb auch die Rollenverteilung der Ehegatten vor. Das alles wollten wir im Sinn der in der Verfassung seit 1981 verankerten Gleichberechtigung von Männern und Frauen ändern.

      Insbesondere die SVP war gegen das neue Eherecht. Im Internet kann man sich dazu heute noch erschreckende Interviews mit Christoph Blocher anschauen.

      Damals hatte die SVP ein Plakat an jeder Säule: Ein Ehepaar im Bett und in der Mitte der Richter. Das brauchte gar keinen Text. Es war klar, was gemeint ist. Am Wahltag gab es dann aber eine klare Mehrheit für das neue Eherecht. Bei der Pressekonferenz habe ich meiner Freude und Genugtuung darüber Ausdruck verliehen. Dann fiel mir ein, dass ein Bundesrat am Ende auch immer noch etwas Nettes zu den Gegnern sagen muss. Aber was sollte ich denen denn Nettes sagen? Da habe ich gesagt, dass die, die dagegen waren, schon merken werden, dass es in der Praxis gar nicht so viel ändern wird. Wenn der Herr Blocher im Ehebett neben sich schauen würde, würde immer noch seine Silvia neben ihm liegen und nicht der Richter. (lacht)

      Schlagfertig!

      Ja. Das war ein Blitzeinfall, live übertragen in alle Haushalte.

      Wie aber sind Sie mit der Bürde umgegangen, keine Fehler machen zu dürfen, da alle Augen – die der Kollegen, aber auch die der Öffentlichkeit – auf Sie gerichtet waren?

      Mit einem eisernen Willen. Auch auf Äusserlichkeiten musste ich stark achten, viel stärker als die Männer. Ich musste darauf achten, dass ich anständig angezogen war. Ich bin auch ab und zu zum Friseur. Da stand dann gern mal auf der Titelseite einer Zeitschrift: «Frau Kopp mit neuer Frisur!» Da habe ich über die Prioritätensetzung der Medien schon oft den Kopf geschüttelt. Und natürlich war es furchtbar anstrengend, immer unter Beobachtung zu stehen.

      Sie durften keine Schwäche zeigen?

      Niemals. Ich erzähle Ihnen ein Beispiel dazu: Seit meiner Kindheit leide ich an Migräne. Das sind Schmerzen, dagegen ist eine Geburt gar nichts. Für mich kam gar nicht in Frage, deswegen mal eine Sitzung abzusagen. Es hätte sofort geheissen: «Wir haben doch immer gesagt, die Frauen können das nicht, die sind ja immer krank!» Wenn einer meiner Kollegen eine Grippe hatte, dann ist er halt auch bei einer Bundesratssitzung einfach zu Hause geblieben. Ich habe mich sogar einmal mit einer schweren Migräne in den Ständerat gequält. Das war einer meiner schlimmsten Tage überhaupt. Im Rückblick muss man vielleicht sagen, dass ich mich auch fälschlicherweise so unter Druck gesetzt habe. Denn natürlich darf auch eine Frau einmal krank sein. Aber alles, was ich getan habe, wurde stärker beäugt und härter bewertet. Das ging bis zur Geschichte um meinen Rücktritt. Heute weiss man, dass die Vorwürfe damals falsch waren. Die Öffentlichkeit hat sich aber darauf gestürzt, wie es bei einem Mann nie passiert wäre.

      Haben Sie das Gefühl, dass die Bürde, die auf Spitzenpolitikerinnen liegt, inzwischen geringer geworden ist?

      Politikerinnen heute sind schon weniger exponiert. Es ist nicht mehr so etwas Aussergewöhnliches. Das war bei mir schon noch etwas anders. Ich war alleine, die Erste und Einzige – und zwar überall. Und entsprechend exponiert.

      Woher haben Sie die Kraft genommen?

      Ich hatte viel Erfolg. Das Eherecht wäre ohne mich kaum durchgekommen, das haben mir viele gesagt. Und das war ein ganz wichtiges Gesetz. Es war für mich auch sehr schön zu sehen, wie viel Freude die Leute hatten, wenn ich an Anlässen teilgenommen habe. Das war wärmer als eine Bettflasche, dieses Gefühl. Es gab auch Solidarität mit mir, aber weniger auf dem politischen Gebiet. Dort waren wir auch unterschiedliche Parteien. Aber ausserhalb schon.

      Hat sich der Bundesrat durch Sie verändert?

      Heute könnte es sich kein Bundesrat mehr leisten, keine Frau dabei zu haben. Das ist inzwischen selbstverständlich, es ist