Evelyna Kottmann

Kreuz Teufels Luder


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Jakob, Lilith aus dem Zimmer zu weisen, was er ohne Widerrede tat. Doch Lilith überging Jakobs Bitte, denn sie sah keinen Anlass dazu. Nochmals bat Jakob sie, das Zimmer zu verlassen. Da kam Lilith ihr Trotz in die Quere. Sie setzte sich auf Jakobs Krankenbett und lächelte seinen Eltern entgegen. Als Antwort darauf versuchte Jakob, sie von seinem Bett hinunterzuschieben. Doch Lilith hatte ein gutes Gleichgewicht in der Hüfte, und ihm fehlte die Kraft.

      Jakobs Eltern redeten auf ihn ein, ihnen diese Frau aus den Augen zu schaffen, sonst würden sie das Personal verständigen. Diese Drohung liess Lilith nun doch begreifen, dass sie gehen musste. Sie verliess das Krankenzimmer mit einem bösen Lächeln auf dem Gesicht, das Jakobs Eltern galt. Vorher küsste sie Jakob aber noch auf den Mund. Sie wollte seinen Eltern zeigen, dass dieser Mann nun ihr gehörte. Als sie den Eltern auch noch die Hand zur Verabschiedung reichte, schlüpften deren Hände rasch in die Taschen, und ihre Blicke waren voller Abscheu.

      Als sein Engel aus dem Zimmer war, lag Jakob blass und leblos im Krankenbett. Er nahm das schwere Atmen seiner Eltern wahr. Er lauschte der eindringlichen, harten Stimme seines Vaters, ohne seinen Worten jedoch zu folgen. Er konnte und wollte sie nicht hören, er war für den Vater nicht erreichbar. Seine Eltern wollten ihn in ihre Welt zurückholen, eine Welt voller Regeln, ohne Lust und Genuss, nur beseelt von lauter Ritualen. Aus dieser Welt wollte Jakob ausbrechen, um sich selbst zu erfahren und zu erleben. In der Welt seiner Eltern war für ihn kein Platz.

      Nun versuchte die Mutter, auf ihn Einfluss zu nehmen. Auf sie hatte er bisher immer gehört. Doch Jakob hörte einfach nicht hin. Er sah seine Mutter nicht einmal an, was sie von ihrem Jakob überhaupt nicht kannte. Die Eltern verliessen das Zimmer schliesslich mit einem durchdringenden «Schalom!». Sie vergassen dabei, dieses Schalom auch für sich selbst in Anspruch zu nehmen.

      Jakob war froh, wieder allein zu sein. Mit dem Biertrinken war es aussichtslos, da er das Bett nicht verlassen konnte. Auch sein trinkender Engel erschien nicht mehr. Er sehnte sich sehr nach Lilith, und je mehr er sich nach ihr sehnte, desto unruhiger wurde er. Sie musste kommen, denn er hatte sie in der Fasnachtsnacht doch zu seiner Frau gemacht. Dieses Weib sollte ihm dankbar sein, dachte er, und sich jetzt um ihn kümmern, wo er doch nur ihretwegen ans Bett gefesselt war. Jakob wusste, dass Lilith ihn verhext hatte und ihn nicht mehr loslassen würde. Er wusste, dass er ihr verfallen war. Seine Sehnsucht war zügellos, und ihn dürstete ebenso sehr nach seinem Engel Lilith wie nach Bier.

      Jakob wusste nichts über Lilith, weder wo sie lebte noch was sie machte. Er kannte nicht einmal ihren vollen Namen. Er kannte nur ihre Augen, ihr langes, gewelltes, blondes Haar und ihre verschiedenen Körperdüfte, die ihm noch immer in der Nase hingen. Auch an ihre Hände und Füsse erinnerte er sich genau, an ihre Zartheit und die knallrot lackierten Nägel. Ihr rosaroter Lippenstift wollte nicht recht zum roten Nagellack passen. Jakob stellte sich Lilith mit rotem Lippenstift vor, was ihn noch viel unruhiger machte.

      Jakob verbrachte eine ganze Weile im Spital, ohne dass Lilith sich wieder sehen liess. Seine Sehnsucht wurde immer grösser, und er hätte diesen Schmerz, den er im Herzen spürte, am liebsten mit Alkohol betäubt. Ihm war klar, dass ein Familienrat einberufen werden würde, sobald er wieder daheim bei den Eltern war. Es konnte und durfte nicht sein, dass ein Familienmitglied auf Abwege geriet.

      Der Familienrat versammelte sich beim Sabbatessen, gemein­sam mit einem Rabbiner. Mit den Vorbereitungen hatte Jakobs Mutter einen ganzen Tag lang zu tun. Jakobs kleine Schwester half ihr dabei, die grosse brachte am Abend selbst gebackenen Zopf mit. Jakobs grosse Schwester hatte vor nicht allzu langer Zeit einen Mann geheiratet, der dem Klosterleben untreu geworden war und sich den irdischen Freuden zugewandt hatte. Er verliebte sich noch als Mönch in Jakobs Schwester. Sie war ihrem Zukünftigen in Rom auf dem Petersplatz begegnet. Man kam ins Gespräch und genoss gemeinsam die heissen römischen Nächte. Von der Reise kehrte die junge Frau guter Hoffnung zurück, zum Entsetzen der Familie.

      Auch da war der Rabbi eine grosse Hilfe gewesen. Er brachte den Mönch so weit, dass er die junge Frau heiratete, seinem katholischen Glauben abschwor und sich dem Judentum anschloss. Auch seine Schwester kam in den Genuss eines Familienrats und fand so den rechten Weg, wie ihn die Eltern eben haben wollten.

      Jakob wusste, dass er dem Familienrat nicht entkommen konnte. Er wusste, dass dieser Sabbat für ihn grausam werden würde, da es am Sabbat kaum Alkohol gab. Die eine Flasche Wein, die erlaubt war, musste er mit dem Rabbi, dem Vater, der Mutter, dem grossen Bruder, dem Schwager und mit seinem Zwillingsbruder teilen. Die Schwestern tranken nur Traubensaft. Dieser Abend würde sehr lang werden. Und so schlich er, wie so oft, am Nachmittag in eine Kneipe und trank so einiges zusammen, damit ihm die ganze Welt nicht mehr so ungerecht vorkam. Nur so konnte er zufrieden nach Hause gehen, ohne befürchten zu müssen, an dem Abend zu verdursten. Zur Freude seiner Familie kam er pünktlich zum Sabbatbeginn heim.

      Jakob war sehr betrunken und ertrug die Gesellschaft und das Familienritual geduldig, er konnte zuhören und sogar selbst ein paar Worte beitragen. Nach dem Nachtisch ergriff dann der Vater das Wort, und seine Frau stand ihm dabei zur Seite. Den Blick zum Boden gewandt, hörte Jakob still zu. Es kam ihm vor, als plätschere ein Wasserfall. Jakob liess sie gewähren, und bald redeten alle durcheinander. Bis der Rabbi zu sprechen begann.

      Er hatte sich auf die Suche gemacht nach dieser Lilith und sie auch gefunden. Diese Frau sei nicht ehrbar, und es dürfe nicht sein, dass Jakob sie noch einmal treffe. Man beschwor ihn, an die Familie zu denken und ihre Ehre zu bewahren. Man wolle nicht zum Gespräch anderer Leute werden. Der Rabbi schlug Jakob vor, eine ehrbare Frau für ihn zu suchen, eine, die das Judentum lebte und den Glauben pflegte. Vater und Mutter waren damit sehr einverstanden. Alle wussten, an welche Frau der Rabbi dachte, doch ihren Namen sprach niemand aus.

      Jakobs Mutter meinte, eine solche Frau könne ihm geben, was er brauche, und ihn vor Schlechtigkeit bewahren. So bleibe er im Familienverbund eingebettet und gewinne Stabilität, denn alleine könne er sich nicht zurechtfinden in dieser Welt. Jakob hörte zu und sah gleichzeitig Lilith vor sich, im weissen Kleid mit rotem Lippenstift und roten Nägeln, einen Blumenkranz im gelockten, blonden Haar. Beim Gedanken an sie lächelte Jakob, und alle meinten, sein Lächeln gelte den Worten des Rabbi.

      Für Jakob war Lilith eine ehrbare Frau und diejenige, die er für sein ganzes Leben haben wollte. Er verstand nicht, warum man ihn von ihr fernhalten wollte. Jakob wollte wissen, wo Lilith denn wohne. Da der Rabbi über sie nachgeforscht hatte, musste er doch mehr erfahren haben als nur, dass sie unehrbar sei. Der sonst so schweigsame Jakob begann, den Rabbi auszupressen wie eine süsse, überreife Grapefruit. Weil der Rabbi dachte, Jakobs Lächeln habe ihm gegolten, entschied er, ihm alles zu erzählen, was er über Lilith in Erfahrung gebracht hatte.

      Alle sassen noch immer um den grossen Tisch mit dem frisch bestückten Kerzenständer. Die Deckenlampe wurde gelöscht, damit das Kerzenlicht noch mehr zum Leuchten kam. Jakob gefiel es, in die kleinen Flammen zu schauen. Sie flackerten sanft und kaum merklich. Doch wenn er sich auf sie konzentrierte, erkannte er ihren Tanz. Ihm wurde ganz warm im Herzen, und er konnte Liliths Duft riechen.

      Der Rabbi erzählte von einer älteren Frau, die am Stadtrand mit ihrer Tochter in einem kleinen Häuschen wohnte, neben dem ein Wohnwagen stand. Das bescheidene Häuschen bot den beiden Frauen nicht allzu viel Raum. Es gab kein heisses Wasser und keine richtige Küche. Es gab auch keine richtige Toilette. Waschen musste man sich in der Küche in einem Becken, das man auch für das Geschirr und die Wäsche benutzte. Es gab so etwas wie eine Wohnstube mit einem kleinen Holzofen darin. Hinter einem rosaroten, mit Blumen bestickten Vorhang war ein winziger Raum, in dem ein grosses Bett stand. Es war ein Bett für Eheleute, doch es war so, dass Mutter und Tochter es sich zum Schlafen teilten. Ausser dem Bett war in dem Raum nur gerade noch Platz für ein grosses Bild der Muttergottes in blauem Schleier und weissem Kleid, ein rotes Herz auf der Brust und auf dem Kopf einen übergrossen, goldenen Kranz.

      Jakob gefiel, was der Rabbi zu erzählen wusste. Seine Fanta­sie erwachte, und er stellte sich vor, wie er mit Lilith in diesem Bett lag und wie die Muttergottes mit rotem Herz und lieblichem Blick auf sie beide herunterschaute.

      Der Rabbi berichtete, das Zimmer an diesem erbärmlichen Ort sei durchschnittlich sauber gewesen. Die Wäsche der Frauen habe verstreut auf dem Wohnzimmerboden gelegen, alles