Bent Gebert

Wettkampfkulturen


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Dialog zur »Ethisierung«: Wo der Streit zu enden scheint, verweist er, in ehrwürdigem Vokabular, doch angesichts seines anfänglichen Problembewusstseins fast naiv, auf tugendgeleitete Praxis. Will man darin keine Ironie hören, sondern diese Schlusswendung ernst nehmen, kann man darin eine potenzierte, nun positivierte Stufe des Schweigens erkennen, die den gesamten Streitdialog auf das Anfangsproblem zurückführt: Was kann man nach einer solchen Tugendempfehlung noch sagen? Negativ zeichnet sich mit dem Kräuterzauber jedoch auch ab: Die Form der Latenz gräbt sich so tief in ihre Problemverhandlung ein, bis sie an die Grenzen auch der latenten Kommunikationsform stößt. Wie mit Blick auf die strophischen Schlusspassagen zu zeigen sein wird, bereitet die Klage gerade damit ihren Ausstieg aus der Form der Latenz vor.

      Der Dialog von Herz und Körper hält sich vorerst in der Form des Wettkampfs. Ausführlich bekräftigt das Herz seine Empfehlung, den muot durch Zurückhaltung und beständigen Abstand gegenüber der Dame zu beherten (V. 1543). Jede Übereilung schade: Wer allzu rasch Neues begehre, den strecke der Beständige im ritterlichen Zweikampf mit bluotigen sporn nieder (V. 1564). Vertieft sich das Lob der stæte in einem Wettkampfvergleich, so verfängt sich das Herz erneut in der Klage über das, was von Anfang an durch Argumente nicht zu überwältigen war – die Zurückhaltung der Damen gegenüber Latenz:48 Ohne ersichtlichen Grund zögerten Frauen oft gegenüber denjenigen, die sie zu Liebhabern wählten, so lange, bis nicht mehr zweifelsfrei zu erkennen sei, was tatsächlich geschehen oder nicht geschehen sei.49 Während das Herz also im Anschluss an das Tugendrezept wortreich über der wîbe muot (V. 1572) aufzuklären versucht, demonstriert es doch nur, wie vergeblich alle Ratschläge bleiben. Verfolgt man allein die propositionale Struktur des Dialogs, so steht das Ausgangsproblem doppelter Kontingenz, dass der muot des Anderen nicht einsehbar sei, so offen wie zu Beginn – allen anthropologischen Grenzziehungen und Aufgabenverteilungen zum Trotz. Entsprechend kontert auch der Körper wie eingangs mit antagonistischen Signalen: Herze, ich hœre dich klagen / daz dû wol möhtest verdagen (V. 1593f.) – si [= die Frauen, B.G.] ennement dich niht ze râtgeben, / jâ bist dû ze rihtære / in vil unmære (V. 1606–1608). Ein letztes Mal vertieft sich der Streitdialog, der mit guoter lêre (V. 1612) allein nicht auszuräumen ist: wis stæte, daz der beste list (V. 1615). Den letzten Anlauf, den die Klage zur Verfestigung von stæte unternimmt, fällt daher nicht argumentativ, sondern performativ aus.

      Für den Streitdialog bedeutet dies, dass Wettkampf zwar als Lösungsverfahren für ein Problem latenter Differenz anläuft, ja sogar auf ethische Lösungsempfehlungen zuläuft, sich jedoch sogleich wieder perpetuiert, sobald diese argumentativ ausgeräumt scheint. Wettkampf bildet dadurch Konsistenz, dass Propositionen und phatische Akte sich chiastisch überkreuzen. Insgesamt vertieft die Klage damit eine Paradoxierungsstruktur. Auf konzeptueller Ebene entwirft sie Herz und Körper als »problematisch differenzierte Einheit«, die das Leitmodell des anthropologischen Dualismus weit hinter sich lässt;50 das Selbst als Streitordnung wird ungleich komplexer entfaltet als die Allegorie der Psychomachia. Zu dieser Überkreuzung trägt bei, dass Herz und Körper in ihrem Redeverhalten insbesondere jene Eigenschaften in Anspruch nehmen, die sie ihrem Gegenüber als distinktiv zuschreiben – das Herz argumentiert hoch affektiv, der Körper denkt und geht mit sich selbst zu Rate (z.B. V. 140–142, 1490),51 beide reklamieren für sich die Besinnungsinstanz des muotes.52

      All dies macht Hartmanns Dialog, um es nochmals zu betonen, zu einem schwierigen, wenn nicht gar widersprüchlichen Text, wenn man seine Aussage- und Kommunikationsstruktur gegeneinander ausspielt. Trotz ihres argumentativ-disputativen Redecharakters verweigert die Klage jegliche systematisch durchgehaltene Lösung.53 Ihr dialogisches Selbstverhöltnis entwirft keinen normativen Entwurf anthropologischer Ordnung,54 der die Unsicherheitserfahrungen kommunikativer Kontingenz ausräumen könnte. Stattdessen unterläuft und wiederholt das Streitgespräch fortgesetzt Differenz:

      Jeder Argumentationsversuch der Gesprächspartner, jede Entwicklungsstufe des Dialogs ist geprägt von der Ambivalenz des herze-lîp-Verhältnisses, das problematischer Zwiespalt und einstudiertes Zusammenspiel zugleich ist. […] Der Dialog von herze und lîp bringt aus diesem Grund zu keinem Moment der Rede zwei klar trennbare, miteinander konkurrierende Standpunkte hervor, sondern immer eine Verschränkung der Positionen.55

      Statt Ordnung oder Balance bewirkt solcher Streit fortgesetzte Verwerfungen der Selbstbeziehung: »In Hartmanns Klage erweisen sich Innen-Ich und Außen-Ich allen eleganten allegorischen und sentenziösen, geistlichen Lösungsangeboten zum Trotz als nicht aufeinander abbildbar.«56 Gerade dadurch, dass Hartmann Semantiken des Seelenkampfes und religiöser Anthropologie allusorisch ausbeutet, lockt die Klage mit Lösungen, die sich kaum isolieren, nur im Widerstreit propositionaler, formaler und kommunikativer Ebenen greifen lassen. Ergebnis dieses Arrangements ist eine Gesprächsform, welche die Streitpartner mit jeder Schleife komplexer, d.h. auf immer tieferen Ebenen verbindet.57 Sie ist nicht zuletzt deshalb als innovativ in der Diskurstradition von Seelenkämpfen zu betrachten, weil sie diese Paradoxien keineswegs verschleiert, sondern gezielt anspricht und ausspielt. Körper und Herz verwickeln sich mittels Reden immer tiefer in die Problemstellung offener Rede, der mit Argumenten nicht mehr beizukommen ist.

      Besonders sensibel haben Susanne Köbele und Ellen Strittmatter den Spannungen nachgespürt, die ein solches »gesteuertes und zugleich unkalkulierbares Wechselspiel« aufwirft.58 Sie machen gleichermaßen fraglich, die Strukturbildung der Klage auf ein normatives Erkenntnismodell zu reduzieren oder Diskursen anzuhängen, die Hartmann vage und wie aus weitem Abstand zitiert. Weder dürfte es den Unordnungen gerecht werden, den Streitdialog als Plädoyer für geordnete Wahrnehmungsvorgänge zu lesen.59 Noch dürfte es das paradoxe Wechselspiel von Kongruenz und Differenz erklären, wenn man die Reden von Herz und Körper als »Konfliktsituation« betrachtet, »die das Denken an seine Grenzen führt«,60 aber in scheinbar »vollständige[r] Restituierung der personalen Einheit« im Schlussgedicht mündet.61 Ist die Frage nach Makroproposition oder Intention des Textes dann überhaupt geeignet, den windungsreichen Redewettkampf der Klage zu erfassen? Entfaltet werden Redeformen, die nie letztgültig fixiert, sondern nur abgelöst scheinen, befördert vom »ständige[n] Umstülpen« jeglicher Position.62 Selbst affirmative Partien, die wie Ordnungsappelle, Ratschläge oder Tugendspiegel ausgeprägt intentionalistisch und auktoriell anmuten, werden von affektiven Entgleisungen und Umschwüngen gebrochen, die den Streitdialog eher emergent als kontrolliert vorantreiben.63

      Näher kommt es diesem Textbefund, wenn man die Dynamisierung der Form des Wettkampfs selbst als produktives Ergebnis betrachtet. Natürlich wird damit weder die Ordnung des Ich gesichert noch ein Minneproblem gelöst.64 Doch die Klage lenkt wiederholt den Blick auf diese Produktivität, wenn etwa das Herz empfiehlt, die innere Einstellung einerseits zu verfestigen (V. 1543: beherten), andererseits aber zu bewegen (V. 1154: wandelunge, V. 1248: wandel).65 Konsistenz gewinnt diese Wettkampfform, indem sie nicht nur Reden fortgesetzt alternieren lässt, sondern damit zugleich Wechsel zwischen propositionaler, kommunikativer oder sprecherbezogener Fokussierung verbindet. Nachdrücklich hat die jüngere Forschung auf die Differenzierungsdynamik hingewiesen, die dadurch wächst: Herz und Körper treten sowohl körperlich als auch unkörperlich hervor, bezeichnen sich als zusammengehörig und unterschieden, artikulieren die Möglichkeit wie auch die Unmöglichkeit ihrer Trennung.66 Bezieht man dies auf das Rahmenproblem der Klage zurück, kann man somit festhalten: Intern kann sich der kommunikative Formenaufbau fortsetzen, den die nach außen gerichtete Unsicherheitsvermutung abzuschnüren drohte; fortsetzen kann sich damit aber auch die Differenz des strît, die im muot des Rahmen-Ich ihren äußeren Halt findet.

      Vielfältige Formen der Koordination und Subordination spielen die Streitpartner metaphorisch durch:67 Herz und Körper beschreiben sich interdependent, indem sie einander als Partner und friunt (z.B. V. 121, 421, 978), als Ratgeber (z.B. V. 1253) und ausführendes Organ (z.B. V. 1010f.), als Nuss mit Schale und Kern (V. 449–464)68 oder als Haus und Bewohner (V. 57f.) beschreiben. Andererseits suchen sie ihre Differenz zu hierarchisieren, indem sie sich als Richter (V. 417, 1607) und Rächer (V. 69–71), als Herr und Diener (z.B. V. 82, 425, 1061–1074), als Wasser im Feuerkessel (V. 465–484), als Lehrer und Schüler (V. 1252) und generell als gewaltsam (V. 527f.) oder