Andreas Rauch

Musikeinsatz im Französischunterricht


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Assimilation des Fremden an das Eigene138 wird im Rahmen der Kulturkunde noch eine wichtige Rolle spielen.

      Im speziell auf den Liedeinsatz konzipierten Chapitre V kontextualisiert Catanusi die Verwendung der chansons italiennes. Die Erklärungen weisen Parallelen zur Herausgeberfiktion bei mehreren Grammaires des Dames auf. Die Liedersammlung entstand auf Wunsch einer seiner (adeligen) Schülerinnen, einer Prinzessin, für die er dank ihres schönen Gesangs weitere Lieder komponierte und darauf die Übersetzungen anfertigte. Mit dem Zitat soll auch die Praxisrelevanz seiner Liedersammlung unterstrichen werden: Es ist ein Werk, das nützlich ist, das aus der Praxis stammt und für die Praxis bestimmt ist.

      Ayant eu l’honneur d’enseigner l’Italien à quelque Princesse auec assés de succez, sa curiosité la porta à me demander des airs Italiens; Parce qu’elle chantoit fort bien, ie luy fis les chansons, & les Traductions, qui suiuent de quelques airs François en Italien, dont elle fut si satisfaite, qu’elle m’ordonna de luy en faire d’autres sur d’autres airs. I’ay bien uoulu, Mesdames, uous en faire part, croyant, que cela uous poura estre agreable, & de quelque diuertissement, pour estre nouueau, & galant.139

      Das Chapitre ist in Reimform verfasst und resümiert den Aufbau der folgenden Liedersammlung: Auf eine allseits bekannte Melodie (Sur le chant) wird ein neuer (italienischer) Text in Kontrafakturtechnik gesungen. Dabei schließt diese italienische (fremdsprachliche, von Catanusi übersetzte und in Reimform gebrachte, also didaktisierte) Version direkt an den französischen Vers an.140

      Sur le chant, Dans le siecle où nous sommes,

       Toutes les choses ont leurs temps, 141

      Tanto se’, bella, Clori,

      Quanto freschezz’ e’ntè:

      Vecchia che se’, dimori

      Ogetto uil, affé,

      Se se’ fanciull’ accorta

      Godi, mentr’ il comporta

      Bellez’, etat’, e fé,

      Deh, che pazzi’ é questo

      Honor, che ti ritien;

      Giache beltà si presto,

      Si perde, e piu non uien,

      Sciocc’ hor che puo’, uon525 vuoi

      Vn tempo uorrà’ poi,

      Che nessun’ hará ben.526

      Du bist so schön, Clori,

      So viel Frische ist in Dir.

      Wenn Du alt bist, bleibst Du

      In der Tat ein wertloses Objekt.

      Wenn Du ein schlaues, aufgewecktes Mädchen bist,

      Dann genieße, solange das noch geht,

      Deine Schönheit, Jugend und das in Dich gesetzte Vertrauen.

      Oh weh, wie dumm ist doch falsch verstandene Ehre,

      die Dich zurückhält / aufhält,

      Denn die Schönheit vergeht so schnell und kehrt nie wieder zurück. Was Du jetzt tun könntest, willst Du nicht zulassen.

      Dumm ist es, wenn Du nicht willst, wenn Du kannst.

      Und eines Tages wirst Du es zwar wollen,

      Wenn niemand davon Gutes haben wird.

      142143Der Liedteil kann auch als Praxisteil verstanden werden, bei dem die in den vorherigen Kapiteln erworbenen Kenntnisse angewendet werden. Im zweiten Buch Des regles pour accomoder les paroles Françoises en Italien, sans Dictionnaire geht es um die methodische Frage des effizienten Einsatzes der Übersetzung für den Fremdsprachenunterricht. Catanusi beschreibt eine „traduction circulaire […], d. h. eine Übersetzung, die, vom italienischen ‚Ur‘-Text ausgehend, diesen zunächst ins Französische überträgt, um diese Übersetzung dann, möglichst ohne Zuhilfenahme des Ausgangstextes, wieder ins Italienische zu übersetzen.“144

      Im vorliegenden Beispiel würde der italienische Text ins Französische übersetzt werden, wobei es durch den französischen Titel Toutes les choses ont leurs temps schon einen ersten Hinweis gibt auf das Rückübersetzen von Vn tempo uorrà’ poi. Die von Catanusi beschriebene Art des Übersetzens ist der traditionellen, deduktiven Methode und der „pedanterie“ diametral entgegengesetzt und entspricht eher der imitativen-intuitiven Richtung, da sie ein inzidentelles Lernen ermöglicht, ganz beiläufig „sans qu’il y paroisse“:

      Cette manière de traduire est fort propre à ceux, qui n’ayment point la pedanterie, & c’est le veritable moyen d’apprendre vne langue suiuant les reigles de la Grammaire sans qu’il y paroisse, Vous instruisant tout de mesme, que si uous estiez dans le pays.145

      Im Folgejahr 1668 veröffentlichte Catanusi seine Instruction à la langue italienne contenant deux parties.146 Es handelt sich um einen Folgeband, dessen Aufbau der Ausgabe von 1667 ähnelt, doch ohne den Traité de la Poésie italienne.147 Als Begründung dafür, dass ein neuer Band schon ein Jahr später folgt, schreibt Catanusi: „L’estime que l’on fait de la Langue italienne, & la passion que les plus honnestes gens ont de l’apprendre, m’oblige de mettre au iour ce petit Traité.“148 Eine Neuerung ist die numerische und graphische Aufwertung des Liederteils, der sich auch durch ein besonderes Deckblatt von dem Rest des Werks abhebt. Graphisch hervorgehoben ist das Adjektiv italienne, wobei françoise und Recueil de chanson immer kleiner dargestellt werden: „La Mvse ITALIENNE habillée à la françoise ov Recveil de chansons Italiennes, accommodées aux Airs François du temps.“149 Auf der nächsten Zeite folgt die Zueignung AVX LECTEVRS, in der Catanusi an den Erfolg der ersten Auflage anknüpfen will: „Ce n’est ny le desir de la gloire, ny la confiance que i’ay en moy-mesme, qui m’ont porté à entreprendre d’appliquer des paroles Italiennes aux Airs François que l’on chante icy à Paris; mais l’ennui seul de plaire au public.”150

      Catanusi ist sich sicher, dass die neue, ausführlichere Ausgabe eine noch bessere Annahme finden wird, da er noch bekanntere und stärker verbreitete Weisen ausgewählt hat:

      […] j’ay choisi des Airs qui ont le plus cours, & que tout le monde sçait. Si vne premiere impression moins correcte & beaucoup moins ample que celle-cy a esté agreable à tant de gens, n’ay-je pas droit d’attendre que celle-cy sera encore mieux receuë? Quoy qu’il en arriue, i’ay eu intention de plaire en instruisant, & cette intention merite d’estre considérée.151

      Catanusis Aphorismus des „plaire en instruisant“ am Schluss der Zueignung wird ein Jahrhundert später wieder aufgenommen und variiert zum Motto von Barthélémys Cantatrice grammairienne „En instruisant, cherchons à plaire.“

      In der Spätphase der Damengrammatiken für (deutsche) Lernerinnen des Italienischen, also fast zwei Jahrhunderte nach Antonini und Catanusi, taucht der Topos der Affinität des „beau sexe“ zum Gesang152 bei Karl Ludwig Kannegießer wieder auf: „Da ich bei der Auswahl der Lesestuecke sorgsam zu Werke gegangen bin, so darf ich meine Arbeit auch dem weiblichen Geschlecht empfehlen, dem zum Behuf des Gesanges einige Kenntniß der italienischen Sprache fast unentbehrlich ist.“153

      Kannegießer folgt dem von Marcus Reinfried beschriebenen didaktischen Grundsatz Vom Eigenen zum Fremden:154

      Dem Lesebuche geht eine kurze Geschichte der italienischen Literatur voran, auf welche ich bei den Lesestücken mich bisweilen bezogen habe. In den letzteren ist neben dem Fortgang vom Leichteren zum Schwereren155 die moeglichste Mannigfaltigkeit bezweckt worden. Daher finden sich zuerst kleine Saetze, Anekdoten, Briefchen, kleinere