Andreas Rauch

Musikeinsatz im Französischunterricht


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aufgebaut und entspricht der von Marcus Reinfried beschriebenen, vom traditionellen Lateinunterricht inspirierten deduktiven Richtung, die in der Form des trockenen, abstrakten Grammatikstils von Barthélémy und Simonnin stark kritisiert worden war: Bereits im AVIS wird deutlich: Galimard übernimmt die Kategorien der lateinischen Grammatik und wendet diese auf das Französische an:

      Le Cit. GALIMARD, auteur de cet ouvrage, le démontre en ville; ainsi que l’écriture et le calcul. Il tient aussi un cours chez lui tous les soirs, depuis sept heurs jusqu’à dix. On y enseigne le latin, la tenue des livres, les changes, les élémens de mathématiques et le dessin.119

      Ein Blick auf die einzelnen Kapitel zeigt, dass es sich um eine streng hierarchisierte Darstellung der Grammatik handelt, die dem klassischen deduktiven Lateinunterricht folgt. Ausgehend vom Begriff erfolgen die Erklärung und schließlich als Illustration einige Beispiele:

      Principes généraux.

      Pour parler ou pour écrire on se sert de mots qui sont composés de syllabes, et ces syllabes sont composées d’une ou de plusieurs lettres.

       Des lettres

      Il y a vingt-cinq lettres dans l’alphabet, savoir: six voyelles, dix-huit consonnes et une aspirée ou muette, c’est l’h.120

      Nach Pierre-Alexandre Lemaire handelt es sich beim Rudiment und bei weiteren Werken wie der Arithmétique des Dames oder dem Jeu Analytique Grammatical121 um ein und dasselbe Buch. Parallel zum Vélocifère grammatical erscheint 1806 Le nouveau rudiment des Dames. Dieses Buch ist aber identisch mit dem Vélocifère und keine Fortsetzung des Rudiment von 1803.122

      Es bleibt die Frage, warum Galimard im Rudiment die klassische konservativ-deduktive Richtung vertritt und dann unter dem Pseudonym der fünfzehnjährigen Stéphanie Warchouf eine diametral entgegengesetzte Position mit einer progressiven Methode avant la lettre kreiert.

      Wie oben dargestellt, nahm das Französische vom 17. bis 19. Jahrhundert für vornehme Damen des Adels und des gehobenen Bürgertums eine exklusive Vorrangstellung ein. Das gilt für fast alle Länder Europas, besonders jedoch für Italien. In den Salons wurde französisch gesprochen und das Französische war die Präferenzsprache der preziösen Korrespondenz. Bereits im 17. Jahrhundert erfreute sich die französische Sprache eines „statut d’art d’agrément indispensable“.123 Das Französische wurde von den meisten Schülerinnen und deren Eltern empfunden als „partie de l’éducation et du bagage culturel des dames pour sa ‚douceur, ses charmes et ses agréments’“.124 Jacqueline Lillo beschreibt dazu den Französischunterricht am Educatorio Carolino, einer der größten Mädchenschulen von Palermo, in der neben der Vermittlung des Italienischen (in Abgrenzung zum Sizilianischen) eine Ausbildung in den „beaux arts“ Kalligraphie, Schreiben sowie die Vermittlung eines sittsamen Verhaltens und vornehmer Umgangsformen erfolgte:

      Dans l’institution pour jeunes filles la plus représentative de la ville, l’Educatorio Carolino, le français est enseigné depuis sa fondation. On le pratique au même titre que les autres matières considérées comme fondamentales telles que l’italien (toujours par opposition au sicilien, la calligraphie, l’arithmétique, la religion, l’histoire de la Sicile, le savoir-vivre, la musique, etc.). L’objectif est de former de parfaites maîtresses de maison à la moralité irréprochable.125

      Ein Teil des Erfolgs ist die Kombination von Theorie und Praxis: „L’enseignement, non seulement théorique mais aussi pratique, dispensé dans cet établissement donne d’excellents résultats, récompensés par une mention spéciale lors de l’Exposition Universelle de Paris en 1900.“126

      Der Einsatz von musischen Elementen auf französisch war hierbei Teil des gesamten Schullebens: „Les ‚maîtresses internes‘ obligent les élèves à parler français en dehors des cours et organisent aussi pour les fêtes de carnaval et de fin d’année des représentations théâtrales en français, des saynètes, comédies en un acte etc.“127

      Neben dem Französischen wurde das Italienische als Fremdsprache besonders von Frauen gern gelernt. Bis zum 16. Jahrhundert war die italienische Kultur im Kontext der Renaissance führend, dabei nahmen die Musik und die Oper eine entscheidende Rolle ein. Die Affinität der Dames zur „Musikalität“ der italienischen Sprache verbindet nach Beck-Busse128 Sprachcharakteristik und geschlechtsspezifische adelige Verhaltensformen.

      Die besondere Affinität des „beau sexe“ zum Italienischen wird von Placido Catanusi im Anschluss an seine Widmung „Aux Dames“ folgendermaßen beschrieben:

      Beau Sexe, que j’honore & respecte infiniment, c’est pour vous que je mets au jour une facile instruction d’une langue, qui est admirablement belle, & qui a des graces particulieres dans vostre bouche, & qui vous peut fournir, des pensées tout à fait dignes de vous.129

      Dem „schönen Geschlecht“ ist das Werk gewidmet, wobei Schönheit und Anmut der Grazien auf die grâce der italienischen Sprache „überstrahlt und sich in der Verbindung beider geradezu zu potenzieren scheint.“130 Nach einer Ergebenheitsadresse „A son Altesse Royalle Madame la Duchesse de Guyse“131 erläutert Catanusi die Ziele seines Werks. Er wendet sich ausschließlich an die „Dames délicates, à qui la methode pedante […] fait horreur, & qui cherchent pour apprendre l’Italien des voyes les plus douces, & plus aisées.“132

      Catanusi richtet sich also an ein (weibliches) Publikum, das die imitative Richtung des Fremdsprachenunterrichts favorisiert und die traditionelle, vom klassischen Lateinunterricht inspirierte deduktive Methode einer „Grammaire fascheuse, & importune“133 ablehnt. Für diese weibliche Klientel formuliert Catanusi sein pädagogisches Programm:134

      C’est pour elles, que j’ay desrobé à mes occupations ordinaires de professer les loix, ce que je leur offre auiourd’huy pour leur enseigner la Prononciation, Traduction, & Cõposition de cet aymable langage; Et c’est pour elles enfin que j’ay accomodé des paroles Italiennes aux airs François pour les apprendre à chanter en Italien sans peine.135

      Um den Dames diese liebliche Sprache näherzubringen, teilt Catanusi seine Instruction in vier Bücher und zwei Anhänge ein, in denen Fragen zur Morphologie, Phonetik, Grammatik, Übersetzung und composition besprochen werden. Im vierten Buch Des moyens pour faciliter les Dames à parler 136 werden im Chapitre I Regeln zur Morphologie vorgestellt, im Chapitre II Des regles pour accomoder les paroles Françoises en Italien, sans Dictionnaire, Chapitre III behandelt Des Proverbes Italiens les plus choisis und Chapitre IV hat Des discours & manieres de parler Italien zum Inhalt. Das (letzte) Chapitre V präsentiert Des chansons Italiennes accomodées aux airs François pour faciliter aux Dames le chant italien, gefolgt von einem Traité de la Poésie italienne.

      Die Überschrift und die Beispiele des fünften Kapitels zeigen, dass durch die Kontrafakturtechnik bekannte französische Melodien in einen italienischen Kultur- und Sprachkontext transferiert werden. Im Gegensatz zu den französischen Grammaires de Dames von Barthélémy, Simonnin und Warchouf, bei denen die Sprach-Arbeit an Orthographie und Phonetik in der Muttersprache Französisch im Mittelpunkt stand, handelt es sich bei Catanusi um den Kontext von französischen Lernerinnen, die das Italienische als Fremdsprache erlernen sollen. Der Einsatz von bekannten Liedern und deren Anwendung auf den italienischen Kontext