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Kreativität und Hermeneutik in der Translation


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in Bezug auf die Erstübersetzung aber auch eine Weiterentwicklung darstellen kann, zeigt der Vergleich der deutschen Fassungen der Stilübung Maladroit. In dieser Exercice klagt ein schriftstellerisch ambitionierter Ich-Erzähler über die Mühe, die es ihm bereitet, seine Erlebnisse auf der Plattform des Autobusses niederzuschreiben. In seiner Not versucht er, sich mit Hilfe eines abgewandelten französischen Sprichworts Mut zu machen: „C’est en écrivant qu’on devient écriveron“ (Queneau 2012: 98), heißt es in Anlehnung an die Redewendung „C’est en forgeant qu’on devient forgeron” (dt.: „Nur durchs Schmieden wird man zum Schmied“). In ihrer Fassung von 1961 konzentrieren sich Ludwig Harig und Eugen Helmlé bei der Übertragung des Sprichworts auf das Stilmittel der Wiederholung: „Nur schreibend wird man Schreibender“ (Harig/Helmlé 1961/2007: 80). Ausgespart bleibt in dieser Lesart die Dimension der spielerischen Transformation: Während Queneau nach dem Vorbild „forgeron“ das Kunstwort „écriveron“ (in Anlehnung an „écrivain“) bildet, beschränken sich Harig und Helmlé auf eine relativ wörtliche Übertragung ohne Wortbildungsambitionen.

      In ihrer Neuübersetzung lösen Frank Heibert und Hinrich Schmidt-Henkel sich offenbar stärker vom Original als ihre Vorgänger es getan haben und erschließen sich damit einen Spielraum, der eine kreative Umsetzung des französischen Sprichworts begünstigt. Das Ergebnis ist ein Neologismus, der Queneaus eigener Wortneuschöpfung strukturell verwandt ist: „Übung macht den Schreibster“ (Heibert/Schmidt-Henkel 2016a: 62). „Meister“ und „Schreibster“ stehen in einem ähnlichen Verhältnis zueinander wie „forgeron“ und „écriveron“. Darüber hinaus weckt das Wort „Schreibster“ Assoziationen an aktuell im deutschen Sprachraum geläufige Wendungen wie „Hipster“ oder „Flinkster“ und markiert die Fassung offensiv als eine Re-Inszenierung in der Zielsprache Deutsch. Queneaus poetische Verfahren werden als solche im Deutschen fortgeführt – ein Vorgehen, das mit Hinrich Schmidt-Henkels Aussage korrespondiert, Übersetzen sei für ihn „Schreiben wie der Autor – mit den Mitteln der anderen Sprache“ (Heibert/Schmidt-Henkel 2016c: 18).

      Dass Übersetzen aber nicht nur ein „Schreiben wie der Autor“, also nicht nur ein Nachschreiben, sondern in bestimmten Fällen auch ein Fortschreiben des Ausgangstextes sein kann, das die Bedeutungsdimensionen der jeweiligen Stilübung in der Zielsprache noch einmal potenziert, lässt sich beispielhaft an den Übersetzungen der Stilübung Métaphoriquement aufzeigen. In dieser Variante der Autobus-Szenerie greift Queneau auf eine Reihe bildlicher Ausdrücke aus dem Tierreich zurück:

       Métaphoriquement

      Au centre du jour, jeté dans le tas des sardines voyageuses d’un coléoptère à l’abdomen blanchâtre,2 un poulet au grand cou déplumé harangua soudain l’une, paisible, d’entre elles et son langage se déploya dans les airs, humide d’une protestation. Puis attiré par un vide, l’oisillon s’y précipita.

      Dans un morne désert urbain, je le revis le jour même se faisant moucher l’arrogance pour un quelconque bouton.

      (Queneau 2012: 33)

      Die Passagiere als ein Haufen dicht zusammengedrängter Sardinen, der Autobus als weißer Käfer und der Protagonist selbst als Huhn mit kahlgerupftem Hals – diese Verkettung von Bildspendern aus der Tierwelt bildet nur eine Dimension der vorliegenden Exercice. Zusätzlich lässt sich eine konsonantische Klangkette aus p- und k-Lauten ausmachen, die den gesamten ersten Teil des Textes strukturiert: „coléoptère“ – „carapace“ – „poulet“ – „cou“ – „déplumé“ – „paisible“ – „déploya“ – „protestation“ – („puis“) – („par“) – „précipita“. Allein anhand der lautlich miteinander verbundenen Substantive und Verbformen ließe sich der Ablauf von Queneaus Kürzestgeschichte rekonstruieren.

      Mit welchen Strategien reagieren Queneaus deutsche Übersetzer auf diese Verknüpfung aus Motiv- und Klangverkettung? Die Fassungen von 1961 bzw. 2016 lauten:

       Metaphorisch

      Im Zentrum des Tages, auf den Haufen reisender Sardinen eines Käfers mit dickem, weißem Rückenschild geworfen, kanzelte mit einem Male ein Hähnchen, mit großem, gerupftem Halse eine von ihnen, die friedliebende, ab, und seine Rede breitete sich, feucht von Einspruch, in den Lüften aus. Dann, von einer Leere angezogen, stürzte sich das Vögelchen hinein.

      In einer düsteren Häuserwüste sah ich es am selben Tage wieder, als es sich den Dünkel wegen irgendeines Knopfes aus der Nase ziehen ließ.

      (Harig/Helmlé 1961/2007: 11)

       Metaphorisch

      Im Zenit des Tages predigte in einem Käfer mit weißlichem Unterleib, der als Dose für reisende Sardinen diente, ein Hähnchen mit gerupftem Langhals überfallartig einer friedlichen unter ihnen, und seine Worte entfalteten sich klagefeucht in den Lüften. Dann stürzte sich der Jungvogel in eine lockende Leere. Am selben Tage erblickte ich ihn in einer trüben städtischen Wüstenei, als er sich gerade wegen irgendeines Knopfes auf die Hühneraugen steigen ließ.

      (Heibert/Schmidt-Henkel 2016a: 10)

      Während sich die Erstübersetzung von Ludwig Harig und Eugen Helmlé auf die Bildung einer ü-Klangkette fokussiert („Lüften“ – „stürzte“ – „düsteren“ – Häuserwüste“ – „Dünkel“), greifen Frank Heibert und Hinrich Schmidt-Henkel Queneaus klangakrobatische Verfahren auf und erfinden sie im Deutschen neu. Entsprechend wird die gesamte Stilübung klanglich durchformt: Neben einer ü-Assonanz, die sich teilweise mit derjenigen aus Harigs/Helmlés Fassung deckt („überfallartig“ – „Lüften“ – „stürzte“ – „trüben“ – „Wüstenei“ – „Hühneraugen“), stehen Echoeffekte („Sardinen“ – „diente“) und Alliterationen („lockende Leere“). Diese Lautspiele bereiten jedoch nur den Rahmen für ein ungleich komplexeres Klanggebilde, mit dem sich die Übersetzer vom Original emanzipieren und es mit den Mitteln der deutschen Sprache fortschreiben. Dazu lassen Heibert und Schmidt-Henkel metaphorische, lautliche und idiomatische Elemente interagieren. Den Ausgangspunkt bildet das bei Queneau angelegte Vogelmotiv („poulet“/„l’oisillon“), das in der Übersetzung auf zweierlei Weise weitergesponnen wird:

      1. Aus dem Doppelvokal „ei“ legen die Übersetzer eine Klangkette durch den gesamten Text und spielen damit immer wieder auf das dem Vogelmotiv zuzuordnende „Ei“ an („weißlichem Unterleib“/„reisende“, Anm. A.S.). Auf der Klangebene geht das „Ei“ damit dem Huhn bzw. Hähnchen voraus und findet sich im letzten Satz – entgegen aller Regeln der Etymologie – noch einmal in der „Wüstenei“ wieder.

      2. Das bei Queneau angelegte Vogelmotiv („Huhn“/„Jungvogel“) wird in der deutschen Fassung darüber hinaus auch insofern intensiviert, als die Übersetzer für die französische Redewendung „se faire moucher l’arrogance“ (bei Harig/Helmlé: „sich den Dünkel aus der Nase ziehen lassen“) ein das Vogelmotiv fortführendes deutsches Sprichwort einsetzen – wenn es vom Protagonisten dieser Exercice heißt, er ließe sich „wegen irgendeines Knopfes auf die Hühneraugen steigen“. Offenbar haben sich die (Klang-)Motive von „Ei“ und „Huhn“ in der Übersetzung von Heibert und Schmidt-Henkel soweit verselbständigt, dass sie das konventionelle Verständnis von Metaphorik unterlaufen: Denn wenn das Huhn noch insofern mit dem „Hühnerauge“ verknüpft ist, als eine gewisse visuelle Ähnlichkeit zwischen einer Hornhautschwiele und einem Vogelauge besteht, so hat das „Vogelei“ selbstverständlich keinerlei Bezug zur „Wüstenei“. Die poetische Assoziationskraft lässt die Wörter „Ei“ und „Wüstenei“ jedoch auf phonetisch-graphischer Ebene wie selbstverständlich zusammenrücken. Das Hühneraugen-Sprichwort generiert also eine Querverbindung zum Vogelmotiv, die in dieser Form nur im Rahmen des deutschen Wortschatzes möglich ist, während die französische Wendung „se faire moucher l’arrogance“ keinen auch noch so entfernten Bezug zur Welt der Vögel hat. Auch hier erweist sich das Übersetzen als ein ‚Über das Original hinaus-Schreiben‘ mit den im Original angelegten Techniken, ganz im Sinne von Queneaus Idee der „prolifération