(gender agreement hierarchygender agreement hierarchyGenuskongruenzhierarchie) von Corbett (1979, 1991) abbilden, die hier an das Deutsche angepasst wurde. Dass das Possessivpronomen zweimal vorkommt, ist Absicht, denn es kann sowohl im selben als auch im nächsten Satz auftreten, und von diesem (zunehmenden) Abstand hängt die (zunehmende) Wahrscheinlichkeit semantischer Kongruenz ab. Auch Oelkers (1996), die zudem die pronominale Wiederaufnahme männlicher Feminina (Geisel, PersonPerson) und weiblicher Maskulina (Star, Gast) testet, stellt diesen Effekt sog. biologischer (i.S.v. semantischer) Kongruenz fest, und zwar zu 71 %. Dieses „Umschalten“ von grammatischer auf biologische Kongruenz spreche für „systematische Beziehungen zwischen Genus und Sexus“ (13) (s. auch Thurmair 2006; Panther 2009; Köpcke et al. 2010).
Zurück zum Neutrum MädchenMädchen: Braun/Haig (2010) haben anhand einer Fragebogenuntersuchung ihre Hypothese bestätigt, dass auch das Alter eines sog. MädchenMädchens Einfluss auf seine Pronominalisierung hat: Demnach werden 18-jährige Mädchen zu 60 % feminin (und 40 % neutral) pronominalisiert, unter 18-jährige dagegen nur zu 40 % feminin und zu 60 % neutral. Dies verweist auf die hohe Relevanz von Heirats- oder Fortpflanzungsfähigkeit, auf männliche Verfügbarkeit oder was auch immer eine männlich geprägte Gesellschaft an die weibliche Geschlechtsreife knüpft (s. dazu auch Robinson 2010).1 Umgekehrt sind Kinder vor der Pubertät sprachlich (und vermutlich auch kulturell) kaum vergeschlechtlicht. Genau hierfür eignet sich das Neutrum (das Kind, Baby, Neugeborene; das MädchenMädchen, Diandl, Wicht – es) mit Ausnahme lexeminhärent männlicher Kinderbezeichnungen (der Junge, Bub, Knabe – er). Säuglinge beider Geschlechter und Mädchen bis weit ins Erwachsenenalter hinein sind also in der Neutrumklasse vereint, aus der sich der Junge ab einem bestimmten Alter verabschiedet (bei diminuierten Jungennamen kommt es dialektal sogar vor, dass sie statt im erwartbaren Neutrum ins sexuskongruente Maskulinum treten, dr Ursli; Kap. 9.3).2 Braun/Haig (2010, 82) erwähnen das (indische) Tamil, wo Wörter für erwachsene Frauen und Männer Feminina bzw. Maskulina sind, solche für Kinder jedoch der Genusklasse der Inanimata angehören.
In verschiedenen Sprachen stecken Mädchen und Töchter als noch ‚verfügbare‘ und damit prekäre Wesen in abweichenden Nominalklassen (seien es Genus-, seien es Classifier-Systeme). Oft sind sie (und/oder ihre Pronomen) Neutra, oder sie befinden sich statt in der femininen (mit Frauen gefüllten) in der animaten Klasse (zusammen mit Tieren und Inanimata), s. Corbett (1991, 25f., 99ff.). In manchen Sprachen sind diese devianten Mädchenklassen so ‚attraktiv‘, dass immer mehr Bezeichnungen für Frauen (auch von unabhängigen, sich selbst versorgenden) hineinwandern (mit durchaus positiver Bewertung), ja sogar so viele aus der Feminin-Klasse abwandern, bis dort nur noch ‚Hausmütterchen‘, d.h. ältere weibliche Familienmitglieder wie Mütter und Großmütter verbleiben (s. dazu auch das Nordfriesische in Nübling 2017c, 198–203, wo die Femininklasse sogar implodiert ist, nachdem sämtliche Feminina zu den Neutra übergegangen waren). Zwischen dem Konzept ‚Mädchen/ledige junge Frau‘ bis hin zur älteren ‚Ehefrau und Mutter‘ erstreckt sich ein dramatisches nominalklassifikatorisches Feld, das viel über StatusStatus (sozialer) und Bewertung von Frauen berichtet und noch immer seiner typologischen Bestellung harrt. Auch kennzeichnet Frauenreferenzen ihre Affinität zur DiminutionDiminution, gegen die Männerbezeichnungen weithin immun zu sein pflegen (Kap. 6).
Noch interessanter als diese GenuskonflikteGenuskonflikt ist die Frage, wie es überhaupt dazu kommt, dass es im Kernbereich humaner Lexik trotz der sonst so konsequenten Genus-Sexus-Verschränkungen zur Zuweisung ‚falscher‘ Genera kommen kann. In Abb. 4-2 haben wir unter „Personen“ das Neutrum WeibWeib eingeklammert, um den Ausnahmecharakter zum sonst so engen Genus-Sexus-NexusGenus-Sexus-Nexus deutlich zu machen. Es gibt noch weitere Genus-Sexus-DevianzenGenus-Sexus-DevianzGenus-Sexus-DiskordanzGenus-Sexus-Diskordanz, die nicht in Abb. 4-2 enthalten sind, und zwar Männerbezeichnungen im Femininum: die Schwuchtel, die Tunte, die Memme. Wir beginnen mit diesen dreien, weil sich die Ratio dahinter schneller erschließt: Die deviante GenuszuweisungGenuszuweisung (feminine Männerbezeichnungen) steht für eine soziale Normverletzung. Männer, die andere Männer begehren (Schwuchtel, Tunte) oder weiteren Gendererwartungen nicht nachkommen (Memme als ‚Feigling‘), werden grammatisch geächtet; sie werden, indem man ihnen ‚weibliches‘ Verhalten unterstellt, ‚entmännlicht‘, aus der Maskulinklasse ‚exkommuniziert‘ und zu den Feminina abgeschoben. Diese hochmarkierte und stigmatisierende grammatische Devianz kann nur vor dem Hintergrund rigidester und verlässlichster Genus-Sexus-Kopplungen funktionieren. Damit bestätigen solche Genus-Sexus-Brüche (die in Verkennung dieser Fakten manchmal gar als Argument für die Genusarbitrarität herangezogen werden)3 umso nachdrücklicher die Regel: Verstöße gegen die Geschlechterordnung (Gender) werden durch Verstöße gegen die Genus-Sexus-OrdnungGenus-Sexus-Prinzip sanktioniert (ausführlicher dazu Nübling 2017a, im Druck). Auch Eisenberg (2013b, 137) betont, dass wenn „grammatisches und natürliches Geschlecht […] auseinanderfallen“, dies „stets abwertend oder neutral, niemals aber mit einer positiven Konnotation verbunden“ sei.
Während Männer ins Femininum, aber nicht ins Neutrum verschoben werden, ist es bei Frauen anders: Genus-Sexus-DiskordanzenGenus-Sexus-Diskordanz führen nur selten zu Maskulina, was wohl mit dem höheren StatusStatus (sozialer) von deren Mitgliedern zu erklären ist (Nübling 2017a, im Druck). Vielmehr führen sie zum ‚unbelebten‘ Neutrum: das MädchenMädchen, FräuleinFräulein, WeibWeib, FrauenzimmerFrauenzimmer (Abb. 4-6). Wie erwähnt, enthält das Neutrum primär Inanimata wie Gegenstände, Stoffe und Flüssigkeiten (Eisen, Blech, Kristall, Wasser, Öl, Blut), an Animata nur geschlechtsunreife Jungmenschen und -tiere (Kap. 4.2.2). Schon Krifka (2009) hat gezeigt, dass Neutra die wenigsten Animata enthalten. Er hat die 600 häufigsten Substantive nach Genus und Belebtheit sortiert und festgestellt, dass 26 % der Maskulina belebt sind, aber nur 8 % der Feminina und 7 % der Neutra: „Thus, by far most animate nouns are masculine“ (Krifka 2009, 156), denn aus der Perspektive der Animata sind 69 % maskulin, 16 % feminin und 9 % neutral (der Rest entfällt auf Plurale wie Leute, Arbeitslose).
Abb. 4-5: Gendereffekte bei Genus-Sexus-DiskordanzenGenus-Sexus-Diskordanz (soziale Fallhöhenunterschiede)Asexus
Werner (2012) spricht bei neutraler Referenz auf Animata von „AsexusAsexus […], und zwar mit intendierter, starker Pejoration“ (192). Diesen Terminus haben wir in Abb. 4-5 übernommen. Das Neutrum eignet sich zur Markierung bzw. Stigmatisierung nicht-geschlechtsreifer (MädchenMädchen) bzw. nicht-rollenkonformer Frauen (WeibWeib). Köpcke (1993, 140) spricht von „entkräftender Bedeutung“ und führt aus: „Wichtig ist, dass Bezeichnungen für Männer, Verwandtschaftsbeziehungen und für Frauen in sozial reifer und in sexueller Funktion niemals eine Entkräftung via neutraler GenuszuweisungGenuszuweisung erfahren“ (139). Dieser Aspekt wird in Nübling (2014a) anhand der Analyse neutraler das Merkel-Belege als „DeagentivierungDeagentivierung“ (Entzug von Handlungsmacht) gefasst (Kap. 9.3), was das agentive Maskulinum genau nicht leisten könnte. Deutlich erweist sich immer wieder ein Agentivitätsgefälle von Maskulinum über Femininum zu Neutrum, das (früher noch ausgeprägtere) gesellschaftliche Machtverhältnisse widerspiegelt und in der Abfolge (überkommener) behördlicher Anreden zur Formel HerrHerr, Frau, FräuleinFräulein sedimentiert ist (s. auch der, die, das; er, sie, es).
Köpcke/Zubin (1996, 2003) erkennen das Degradierungspotential der NeutralisierungNeutralisierung. Sie beschreiben zwei produktive lexikalische Cluster, bei denen das Femininum sozial unabhängigen, anerkannten Frauen gilt, die sexuell erfahren bzw. verheiratet sind, das Neutrum dagegen sexuell unerfahrenen, ledigen, sozial abhängigen Frauen, denen auch Naivität und leichte Zugänglichkeit nachgesagt werden kann (Prototyp: MädchenMädchen, FräuleinFräulein). Auch gilt es aufsässigen,