Tingxiao Lei

Definitheit im Deutschen und im Chinesischen


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eingesetzt wird, liegt zu viel Betonung auf den Ort, so dass der Eindruck entsteht, dass der Ort momentan im Fokus wäre. Bei Verwendungen wie 83 handelt es sich um dialektale Variationen. Während 83 im amerikanischen English gut ist, muss der definite Artikel im britischen Englisch weggelassen werden. In Abbott 2006 wird die Behauptung vertreten, dass sich die Beispiele in 81–83 weder mit der Unikalitäts- noch mit der Familiaritätstheorie vereinigen lassen. Aber es ist ihr nicht klar, ob eine neue Theorie für Definitheit entwickelt werden muss oder diese Beispiele lediglich idiomatische Ausnahmen darstellen.

      Lewis (1979[2004]:348f.) weist auch auf Fälle hin, in denen die Einzigkeitsbedingung nicht erfüllt wird, selbst wenn das Diskursuniversum beschränkt wird:

      Nach Lewis muss das auf das Notwendigste reduzierte Redeuniversum mindestens zwei Individuen enthalten, die die gleiche Eigenschaft besitzen. Aus dieser Überlegung heraus entwickelt er die These, dass das unterscheidende Merkmal zwischen definiten und indefiniten NPn nicht die Einzigkeit ist, sondern die Salienz. Nach ihm kann die definite NP the dog in 84b mit der Paraphrase the most salient dog beschrieben werden, another dog dagegen mit der Paraphrase some less salient dog. Für ihn ist Salienz keine Eigenschaft des Ausdrucks selbst, sondern eine Eigenschaft des Kontexts. Weiterhin bemerkt er, dass die Salienzhierarchie von mehreren Faktoren abhängig ist und sich im Laufe eines Diskurses verändern kann. Dabei spielen die sprachliche Struktur des Diskurses sowie die aktuelle Äußerungssituation eine wichtige Rolle. Aber auf die Frage, wie die Faktoren interagieren, wird nicht eingegangen. Von Lewis wird keine ausformulierte Theorie vorgelegt, sondern eine thesenartige Manifestation dargestellt. Das Konzept der Salienz wird in nachfolgenden Arbeiten, insbesondere durch von Heusinger (1997), aufgegriffen und um neue ergänzt. Aber von Heusinger beschränkt sich explizit auf die Formalisierung des Konzepts und geht auch nicht auf die einzelnen Faktoren ein. Er hat lediglich mit drei Phänomentypen illustriert, dass eine Salienzhierarchie aus unterschiedlichen Parametern besteht und daher eine sehr komplexe Struktur besitzt (von Heusinger 1996:23).

      Lyons (1980) führt ähnliche Beispiele wie Lewis an. Der einzige Unterschied besteht darin, dass die konkurrierenden Referenten in Lyons‘ Beispielen nicht explizit genannt werden:

      Nach Lyons ist es aus dem Kontext oder durch die Situation klar geworden, welches von mehreren Objekten, auf die der deskriptive Gehalt der definiten NP zutrifft, vom Sprecher gemeint wird. Bei 85a kann man aus dem Verb close erschließen, dass hier die geöffnete Tür gemeint ist; bei 85b sind zwar alle Türe geschlossen, aber die Kleidung sowie die Koffer implizieren, dass der Sprecher ausgehen möchte. Anders als Lewis plädiert Lyons (1980) für den Begriff der Identifizierbarkeit, und zwar ist der intendierte Referent nicht unikal (in einem reduzierten Redeuniversum), sondern nach der Annahme des Sprechers für den Hörer unikal identifizierbar.

      2.4.2.2 Definitheit als Familiarität/Identifizierbarkeit

      Die Familiaritätstheorie der Definitheit geht auf Christopherson (1939) zurück. Nach ihm signalisiert der definite Artikel, dass dem Hörer der intendierte Referent der NP bekannt ist (1939:28), dagegen ist der indefinite Artikel neutral in Bezug auf Familiarität. Unter Familiarität versteht er:

      The article the brings it about that to the potential meaning (the idea) of the word is attached a certain association with previously acquired knowledge, by which it can be inferred that only one definite individual is meant. (1939:72).

      Mit „previously acquired knowledge“ ist gemeint, dass der Referent im Vortext schon erwähnt oder situationell direkt gegeben ist. Der Hörer kann auch indirekt mit dem Referenten der definiten NP vertraut sein: „It may be something else that one is familiar with, but between this ‘something’ and the thing denoted there must then be an unambiguous relation.“ (1939:73). Das betrifft nämlich den assoziativ-anaphorischen Gebrauch: Wenn man über ein bestimmtes Buch redet, kann man sagen: The author is unknown. Hier wird der definite Artikel verwendet, obwohl der Hörer nur mit dem Buch, nicht aber mit dessen Autor vertraut ist. Aber es ist allgemein bekannt, dass jedes Buch einen Autor hat. Die Beziehung zwischen Buch und Autor ist so eindeutig, dass die Referentenbestimmung gesichert wird. Christophersen (1939:73) weist darauf hin, dass die Vertrautheit mit dem relevanten Objekt nicht sehr hoch sein muss. Es würde ausreichen, wenn der Hörer weiß, dass ein bestimmtes Objekt gemeint ist.

      Das Problem der Familiaritätstheorie besteht darin, dass sie nur für einen Teilbereich definiter NPn adäquat ist, und zwar gilt sie nur für den anaphorischen und den situationellen Gebrauch des definiten Artikels. Sie eignet sich jedoch nicht für die NPn, die bereits bei ihrer Ersterwähnung definit sind. Aus diesem Grund behaupten einige Sprachwissenschaftler (Searle 1969, Halliday & Hasan 1976:71, Du Bois 1980:208, Bisle-Müller 1991:26–34, Gundel et al. 1993, Lambrecht 1994:77–92, Lyons 1999:5–7), dass Definitheit nicht auf Familiarität zurückführt, sondern auf den allgemeineren Begriff der Identifizierbarkeit:

      The idea is that the use of the definite article directs the hearer to the referent of the noun phrase by signalling that he is in a position to identify it. This view of definiteness does not altogether reject familiarity. Rather, familiarity, where it is present, is what enables the hearer to identify the referent. (Lyons 1999:6)

      Der Hörer muss mit den Referenten nicht vertraut sein, sondern kann aufgrund von Angaben aus dem sprachlichen oder dem außersprachlichen Kontext die Identität des Referenten herausfinden. Der Ansatz der Identifizierbarkeit scheint eine stärkere Erklärungsfähigkeit zu besitzen.

      Lyons (1999) fasst die wichtigsten Definitheitstheorien zusammen und gibt einen Rückblick auf ihre Entstehung und Entwicklung. Dabei stellt er fest, dass Identifizierbarkeit und Inklusivität die zwei wichtigsten Konzepte der Definitheitsforschung darstellen: Fast alle Ansätze gehen von einem der beiden Konzepte aus und entwickeln daraus neue Perspektiven. Aber nach ihm kann keine der beiden theoretischen Positionen allein eine adäquate Erklärung für die Verwendungen des definiten Artikels liefern. Es gibt Fälle, die nur mit einer der beiden zu erklären sind. Gleichzeitig weist er darauf hin, dass es keinen Beleg dafür gibt, dass Identifizierbarkeit und Inklusivität zwei unterschiedliche Eigenschaften sind. Es gibt nämlich keine Sprache, in der Identifizierbarkeit und Inklusivität durch unterschiedliche lexikalische Mittel kodiert sind. Deswegen ist er dafür, dass Definitheit eine einheitliche Kategorie darstellt. Aber bevor ich auf seine endgültige Lösung komme, möchte ich zuerst die Fälle besprechen, die nach Lyons nicht mit Identifizierbarkeit erklärt werden können.

      Lyons (1999:9f) verweist auf drei Verwendungsweisen des definiten Artikels, die nicht auf Identifizierbarkeit zurückführen, nämlich nicht-spezifische definite NPn (86a und b), definite NPn, die Adjektive im Superlativ enthalten, Ordinalzahlen oder semantisch vereindeutigende Adjektiven (87a-c) sowie assoziativ-anaphorisch gebrauchte NPn (88) (Fettdruck im Original):

      Die Referenten der definiten NPn in 86a und b können zu einem in der Zukunft liegenden Zeitpunkt erst festgelegt werden, sie sind deswegen zur Äußerungszeit weder für den Hörer noch für den Sprecher identifizierbar. Aber sie sind unikal, und zwar wird ein einzelner Gewinner oder ein einzelner männlicher Begleiter impliziert. Deswegen ist hier die Inklusivität zutreffend. Das deskriptive Material der NPn in 87 impliziert, dass der Referent unikal ist, deswegen kann hier nur der Artikel verwendet werden, der Unikalität kodiert. Auch die Verwendung des definiten Artikels in 88 lässt sich nicht mit Identifizierbarkeit erklären – „But is it accurate to say that the hearer identifies the referent in any real sense? He still does not know who she is or anything about her.“ (1999:7)

      Die Lösung für das Dilemma zwischen Identifizierbarkeit und Inklusivität sieht Lyons darin, Definitheit als eine grammatische Kategorie wie Genus, Tempus, Modus usw. zu betrachten (1999:275). Dabei macht er auf die Unterscheidung zwischen grammatischen Kategorien und ihren semantischen Interpretationen aufmerksam, und zwar sind die ersteren die grammatische