Tingxiao Lei

Definitheit im Deutschen und im Chinesischen


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wie NPn unterschiedlicher Formen im Chinesischen bezüglich des Merkmals identifizierbar/nicht-identifizierbar interpretiert werden. Dabei erfolgt eine kritische Betrachtung der bisherigen Forschungsergebnisse und sie werden um eigene Ideen ergänzt. Die hier vorgestellten Zwischenergebnisse sollen anhand eines Übersetzungskorpus überprüft und um neue Erkenntnisse ergänzt werden.

      Im 6. Kapitel wird eine sprachvergleichende Analyse mit Blick auf die obengenannten Fragen durchgeführt. Die Analyse stützt sich auf ein selbst erstelltes Korpus von 40 Artikeln der Online-Zeitschrift des Goetheinstituts, die ursprünglich auf Chinesisch verfasst und dann ins Deutsche übersetzt wurden.1 Die Untersuchung geht so vor, dass zuerst nach Pers+de+N, Dem+Kl+N, yi+Kl+N im chinesischen Ausgangstext und nach den entsprechenden Formen im deutschen Zieltext (nämlich Poss+N, Dem+N, ein+N sowie ihren verschiedenen Kasusformen) gesucht wird. Dann werden die Ergebnisse miteinander verglichen, um Gemeinsamkeiten und Unterschiede der beiden Sprachen bezüglich des Merkmals „Definitheitsinduktion“ zu bestimmen. Zum Schluss wird versucht, mögliche Ursachen für die Unterschiede zu bestimmen.

      In Kapitel 7 sind einige persönliche Bemerkungen und Anregungen für weitere Untersuchungen enthalten.

      1.3 Quellen der Beispiele sowie Angaben zum Transkriptionssystem

      Die vorliegende Arbeit basiert auf Materialien aus verschiedenen Quellen:

       Beispiele aus Korpora, zu denen

       das selbst erstellte Korpus

       das Deutsche Referenzkorpus (DeReKo) des Mannheimer Instituts für Deutsche Sprache sowie

       das Korpus des Centers for Chinese Linguistics, Peking University (im Folgenden als CCL-Korpus bezeichnet) gehören;

       Beispiele, die aus anderen Arbeiten übernommen werden;

       selbst konstruierte Beispiele.

      Chinesische Sätze werden in Pinyin-Umschrift angeboten, wobei die Bezeichnung der Töne einfachheitshalber weggelassen wird.1 Als nächstes kommt die Wort-für-Wort Übersetzung und anschließend die Übertragung ins Deutsche. Um dem Leser dieser Arbeit das Erkennen des Zusammenhangs des einzelnen Zeichens zu erleichtern, werden die jeweils fraglichen chinesischen NPn sowie ihre deutsche Entsprechung durch Unterstreichung gekennzeichnet.

      Beispiele aus englischer Literatur werden in ihrer Originalform zitiert (Lautschrift, englische Wort-für-Wort Übersetzung, Übertragung ins Englische). Beispiele aus meinem chinesisch-deutschen Übersetzungskorpus werden von mir in die Pinyin-Umschrift übertragen. Beispiele aus chinesischer Literatur oder aus dem CCL-Korpus werden von mir in die Pinyin-Umschrift transkribiert und ins Deutsche übersetzt.

      2 Definitheit und verwandte Konzepte

      Vorab ist zu bemerken, dass der Begriff Definitheit sowie die verwandten Konzepte Referenz, Spezifizität und Generizität in der Literatur nicht immer eindeutig geklärt und auch extrem uneinheitlich verwendet werden. Das führt dazu, dass die Ergebnisse einzelner Studien schwer vergleichbar sind. In diesem Kapitel werden die genannten Begriffe erläutert, um terminologische Verwirrungen zu vermeiden und eine theoretische Basis sicherzustellen. Außerdem wird versucht, präzise Kriterien für die Analyse und Interpretation von NPn im Deutschen und Chinesischen aufzustellen, damit die Analyse strukturiert und effektiv durchgeführt werden kann.

      2.1 Referenz

      Unter Referenz verstehe ich in Anlehnung an Lehmann (2015:2) die Operation, die eine Entität, Referent genannt, im Redeuniversum durch einen Ausdruck in einem Text evoziert. Ein sprachlicher Ausdruck referiert nicht auf einen Gegenstand in der physikalischen Welt (Denotat), sondern auf mentale Objekte im Redeuniversum (Referent). Das Redeuniversum ist ein mentaler Raum, den die Gesprächspartner in einer bestimmten Sprechsituation schaffen und entwickeln. Grob gesagt ist es die Schnittmenge des Bewusstseinsinhalts der Gesprächspartner (2015:7). Ob Referenten realexistente Objekte (Denotat) repräsentieren, ist für die Struktur und Bedeutung sprachlicher Äußerungen und Systeme irrelevant. In dieser Arbeit wird der Begriff der Referenz nur auf NPn eingeschränkt gebraucht.

      Das Kapitel 2.1 gliedert sich wie folgt: Abschnitt 2.1.1 befasst sich mit der Unterscheidung zwischen referentiellen und nicht-referentiellen NPn, die für die vorliegende Arbeit besonders relevant ist, weil das Merkmal [+/-definit] dem Merkmal [+referentiell] untergeordnet ist. Dabei werden die übrigen in der Literatur entwickelten Kriterien zur Unterscheidung der beiden Typen von NPn in Betracht gezogen und auf ihre Gültigkeit überprüft. In 2.1.2 und 2.1.3 werden die Haupttypen von nicht-referentiellen NPn im Deutschen und Chinesischen kurz vorgestellt.

      2.1.1 Referentielle und nicht-referentielle NPn

      Unter dem Begriff „referentiell“ wird oft sehr Unterschiedliches verstanden.1 In der sprachphilosophischen Literatur werden referentielle NPn in Opposition zu den sogenannten attributiven NPn gesetzt:

      Nach Donnellan (1966) hat der Satz zwei Lesarten: Eine referentielle (engl. referential), wenn der Sprecher genau weiß, wer der Mörder ist und mit der NP Smith’s murderer auf diese Person referiert; eine nicht-referentielle (engl. attributiv), wenn der Sprecher nicht weiß, wer Smith getötet hat. In der attributiven Lesart referieren die NPn nicht, sondern beschreiben nur, was für ein Individuum unter die Beschreibung der NP fällt. Ob eine definite NP referentiell oder nicht-referentiell verwendet wird, ist nach Donnellan (1966:297) „a function of the speaker’s intentions in a particular case“. Die Gegenüberstellung referentiell/attributiv entspricht ungefähr der Unterscheidung in spezifisch/nicht-spezifisch und wird oft unter dem Begriff der Spezifizität behandelt. Nach Vater (2005:101) ist der Terminus „(nicht) referentiell“ für die von Donnellan beschriebene Opposition nicht zutreffend, weil „auch beim ,attributiven‘ Gebrauch einer NP Existenz präsupponiert wird, nur nicht in der realen (zur Zeit der Äußerung gegenwärtigen) Welt, sondern in einer möglichen (bzw. zukünftigen) Welt.“ Nach ihm ist die prädikative NP ein prototypisches Beispiel für nicht-referentielle NPn (von ihm als „nicht-referierend“ bezeichnet). Die prädikative NP denotiert eine Eigenschaft (Qualität) und trägt vor allem zur Beschreibung des Referenten der Subjekt-NP bei, weshalb sie auch als qualitative NP bezeichnet wird. Diese Ansicht wird in der sprachwissenschaftlichen Literatur (z.B. Kuno 1970; Leys 1973; Vater 1979, 2005; Du Bois 1980) auf breiter Ebene geteilt. In dieser Arbeit wird der Begriff „(nicht) referentiell“ im Sinne von Vater verwendet, während die Opposition referentiell/attributiv im Sinne von Donnellan mit der Unterscheidung in (epistemisch) spezifisch/nicht-spezifisch gleichgesetzt wird.

      Für die Forschung über Definitheit ist eine klare Unterscheidung zwischen referentiell und nicht-referentiell besonders wichtig, weil die Opposition definit/indefinit bei nicht-referentiellen NPn neutralisiert wird:

      Bei referentiellen NPn erfüllen Artikel bestimmte pragmatische Funktionen: Wenn die Katze des Sprechers davongelaufen ist, wird er zu seiner Frau 3a sagen, bei Fremden auf der Straße 3b benutzen. Durch Verwendung unterschiedlicher Artikel wird signalisiert, dass der Sprecher unterschiedliche Erwartungen über das Hörerwissen hat. Wenn er annimmt, dass der Hörer den intendierten Referenten identifizieren kann, verwendet er den definiten Artikel, anderenfalls würde er auf den indefiniten Artikel zurückgreifen. Dagegen sind Artikel bei nicht-referentiellen NPn außer Markierung der morphologischen Eigenschaften „funktionslos“.

      In der Literatur werden verschiedene Kriterien zur Identifizierung von nicht-referentiellen NPn entwickelt, die teilweise zu völlig unterschiedlichen Ergebnissen führen und deswegen einer näheren Betrachtung bedürfen.

      Kriterium 1: Nicht-referentielle NPn können nicht anaphorisch aufgegriffen werden (Kuno