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Camerarius Polyhistor


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multos deos introduxit, haec disciplinam dissolvit, tyrannides stabilivit, flagitium & dedecus commendavit, virtuti & laudi infamiam addidit. (α2v). PlatonsPlaton Skepsis gegenüber der Rhetorik teilt er ausdrücklich nicht.

      Noch deutlicher habe GalenGalen gegen die Rhetoren polemisiert: ἀκριβολογίαν τε καὶ μικρολογίαν καὶ λεπτολογίαν vocabulorum habe dieser die verspielte Suche nach Wörtern, exquisitio et aucupatio, genannt und als abgeschmackt und lächerlich, ἐπίτριπτον καὶ καταγέλαστον, abgetan (α3v). Eine Überprüfung des Galen-Textes hat allerdings ergeben, dass das vermeintliche Zitat keines ist und Camerarius die Position des griechischen Arztes polemisch zuspitzt. Galen hatte sich in der Schrift über die Gliedmaßen (Περὶ ἄρθρων ὑπόμνημα) lediglich auf Hippokrates berufen, der seinerseits einen Widerwillen gegen Wortklauberei gehegt habe. An der Galenstelle (18/1, 686 Kühn), die Camerarius offenkundig aus dem Gedächtnis zitiert und dazu auch noch sehr frei um Synonyme erweitert und recht blumig ausmalt, geht es um zwei Arten der Hermeneutik: Hippokrates bezeichnet diese beiden Vorgehensweisen als μικρολογία einerseits und als συνήθεια andererseits. Erstere diffamiert er als Herumreiten auf Begriffen, was typisch für Leute sei, die weder reden könnten noch über δύναμις ἑρμηνευτική verfügten. Wer dagegen eine ἐνέργεια τῆς ἑρμηνείας besitze, der blicke nicht auf einzelne Wörter, τοῖς κατὰ μέρος ὀνόμασιν, sondern auf den Fluss der Worte nach allgemeingriechischem Verständnis: ἐπιῤῥέουσιν αὐτοῖς χρῶνται κατὰ τὴν τῶν Ἑλλήνων συνήθειαν.2 Camerarius sieht in Galens Worten eine Verächtlichmachung der Rhetorik, die dieser für entbehrlich gehalten habe.3 Er macht sich dagegen zum Anwalt der Genauigkeit, die einem nebulösen Globalverständnis überlegen sei. Er nähert sich der Medizin zunächst mit dem Blick des akribischen Philologen. Das entspricht freilich auch dem Ziel seiner Schrift, in der es ja um genaue medizinische Bezeichnungen geht.

      Wie angedeutet, steht diese Polemik insofern in der Tradition des Ciceronianismus-Streits, als es auch hier um den rechten Sprachgebrauch geht. Doch haucht Camerarius der mittlerweile fruchtlos gewordenen Debatte noch einmal frisches Leben ein, indem er nicht mehr von den Vorbildern beziehungsweise Autoritäten her denkt, sondern den Zweck der Sprache in den Blick nimmt. Ihm ist nämlich klar, und er sagt das auch ausdrücklich, dass jede Kommunikation natürlich συνήθεια beziehungsweise usus oder consuetudo zur Voraussetzung hat. Für eine Fachsprache reicht das gewachsene Sprachgefühl aber nicht aus. Der Sprachgebrauch sondere die wirklich Gebildeten von den pueri, aut ineruditi & semidocti, wobei er noch anfügt, dass der Status des puer sowohl eine Frage des Alters als auch des Intellekts sein könne: Nihil enim refert […] aetate an ingenio aliquis puer sit (α3v). Er nähert sich durch den Blick auf die Funktion der Sprache einem zwar konservativen, aber keineswegs starren Imitatio-Modell an, das demjenigen QuintiliansQuintilian ähnelt.4

      Ist Camerarius am Ende ein Antiplatoniker? Das kann man ihm ganz gewiss nicht unterstellen, im Gegenteil: Die meisten PlatonPlaton-Zitate werden zustimmend angeführt, und er teilt mit Platon die Skepsis gegenüber sophistischer Rhetorik. Die oben zitierten Gefahren, die Camerarius von Griechisch-Unkundigen ausgehen sah, entsprechen dem, was Platon den Sophisten unterstellte. Der Unterschied ist, dass die einen Verwirrung stiften aufgrund ihrer Unkenntnis, die anderen aufgrund ihrer rhetorischen Brillanz. Camerarius hat den Grundkonflikt zwischen Platon und GorgiasGorgias im Blick, also die Alternative zwischen rhetorischer Reinheit und Ausschmückung. Die rednerische Ausgestaltung um ihrer selbst willen führt danach eher zu Verdunkelung als zu Klarheit, das rhetorische Ornament droht den eigentlichen Kern zu überwuchern. Insofern ist auch Camerarius der Vertreter eines konservativen Stils, mit antiken Kategorien würde man sagen: er ist Attizist.

      Diese Einstellung begründet er, in einer medizinischen Schrift passend, damit, dass eine vernachlässigte Sprache nicht nur Verwirrung beim Gegenüber stifte, sondern auch der geistigen Gesundheit schade, hinterlasse doch die Art zu sprechen einen Abdruck in der Seele. Dieser platonische Gedanke wird durch ein Zitat aus dem PhaedoPlatonPhaed. (115 e 6) unterstrichen (α4v): εὖ γὰρ ἴσθι, ἦ δ’ ὅς, ὦ ἄριστε Κρίτων, τὸ μὴ καλῶς λέγειν οὐ μόνον εἰς αὐτὸ τοῦτο πλημμελές, ἀλλὰ καὶ κακόν τι ἐμποιεῖ ταῖς ψυχαῖς. („Wisse genau, sagte er, bester Kriton, dass nicht schön zu reden nicht nur an sich fehlerhaft ist, sondern auch der Seele etwas Schlechtes einprägt.“)

      Camerarius scheint die Auffassung zu vertreten, dass der Mensch Sprache und Sprachstil von anderen übernimmt, sie aber zu seinen macht, sich danach gleichsam formt. Denselben Gedanken hatte er in De imitationeCamerarius d.Ä., JoachimDe imitatione zum Ausdruck gebracht: „Jeder pflegt das, was er nach den Beispielen anderer gemacht hat, als das Seine hervorzuheben und zu bewahren“.5 „Der Mensch kommt zum Eigenen durch Fremdes.“6

      Indem Camerarius die sprachliche Gestaltung nicht nur unter dem Aspekt der Kommunikation, sondern auch unter dem der Selbsterziehung und Selbstbeeinflussung deutet, hat er die mitunter verspielte, um nicht zu sagen geistreichelnde Debatte um die richtige Antikennachfolge auf eine neue Stufe gehoben. Er hat ihr nicht nur eine philosophische, sondern auch eine psychologische und damit medizinische Wendung verliehen.

      Literaturverzeichnis

      Baier, Thomas: Poliziano als Übersetzer, in: Thomas Baier/Tobias Dänzer/Ferdinand Stürner (Hgg.): Angelo Poliziano. Dichter und Gelehrter (NeoLatina 24), Tübingen 2015, 243–257 (= Baier 2015a).

      Baier, Thomas: Quintilians Versuch einer funktionalen Literaturbetrachtung, in: Christine Walde (Hg.): Stereotyped Thinking in Classics. Literary Ages and Genres Re-Considered = thersites 2, 2015, 112–132 (= Baier 2015b).

      Baron, Frank (Hg.): Joachim Camerarius (1500–1574). Beiträge zur Geschichte des Humanismus im Zeitalter der Reformation (Humanistische Bibliothek, Abhandlungen 24), München 1978.

      Beckby, Hermann (Hg.): Anthologia Graeca. Griechisch-Deutsch, Bd. 3, München 1958.

      Camerarius, Joachim: Ioachimi Camerarii Pabergensis commentarii utriusque linguae, in quibus est ΔΙΑΣΚΕΥH ΟΝΟΜΑΣΤΙΚΗ ΤΩΝ ΕΝ ΤΩΙ ΑΝΘΡΩΠΙΝΩΙ ΣΩΜΑΤΙ ΜΕΡΩΝ, hoc est, diligens exquisitio nominum, quibus partes corporis humani appellari solent […], Basel (Johann Herwagen d.Ä.), 1551.

      Camerarius, Joachim: M. Accii Plauti Comoediae XX. diligente cura, & singulari studio Ioachimi Camerarii Pabeperg. emendatius nunc quam ante unquam ab ullo editae: Adiectis etiam eiusdem ad singulas Comoedias Argumentis & Annotationibus, Basel (Johann Herwagen d.Ä.), 1552.

      Gerl, Hanna-Barbara: „De imitatione “ von Camerarius. Die Wichtigkeit der Nachahmung für humanistische Anthropologie und Sprachtheorie, in: Baron 1978, 187–199.

      Hamm, Joachim: Camerarius (Kammermeister), Joachim d.Ä., in: Wilhelm Kühlmann u.a. (Hgg.): Frühe Neuzeit in Deutschland 1520–1620. Literaturwissenschaftliches Verfasserlexikon, Bd. 1, Berlin/Boston 2011, 425–438.

      Hieronymus, Frank (Hg.): En Basileia polei tēs Germanias. Griechischer Geist aus Basler Pressen, Basel 22003.

      Kößling, Rainer: „humanitas – das schönste Wort der lateinischen Sprache“. Joachim Camerarius’ lateinisch-griechischer Wortschatz der menschlichen Körperteile – ein Zeugnis renaissancehumanistischer Sprachkultur und Bildungsvermittlung, in: Irmhild Barz/Ulla Fix/Marianne Schröder/Georg Schuppener (Hgg.): Sprachgeschichte als Textsortengeschichte. Festschrift zum 65. Geburtstag v. Gotthard Lerchner, Frankfurt am Main/Berlin/Bern/Bruxelles/New York/Oxford/Wien 2000, 61–72.

      Kühn, Carl Gottlob (Hg.): Claudii Galeni Opera Omnia, tomus 18, pars 1, Leipzig 1829, ND Hildesheim 1965.

      Melanchthons Briefwechsel – Regesten online