Manfred Stede

Korpusgestützte Textanalyse


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Detail, und die Hinweise, die uns sowohl referenzielle als auch lexikalische Kettenlexikalische Kette auf die thematische Gliederung des Textes geben können, werden in Kapitel 5 in den Blick genommen.

      Die Kohäsion ist ohne Frage ein zentrales Merkmal von Texten, doch es erweist sich bei näherer Betrachtung als nicht hinreichend. Das eingangs genannte Beispiel des stand-up commedian hat bereits illustriert, dass ein Text zwar kohäsiv klingen, aber dennoch nicht funktionieren kann. Linke u.a. (1994, S. 224) geben für dieses Argument folgenden Beispieltext an:

       (2.9) Wir haben sehr gute Sängerinnen und Sänger an unserer Oper. Die Sopranistin ist besonders umschwärmt. Mozart liegt ihr sehr. Mir ist von den Mozart-Opern die Zauberflöte am liebsten. Diese neuen plump-deutlichen Ausdeutungen der Tempelgemeinschaft als männerbündische Freimaurerloge scheinen mir allerdings eine sehr fragwürdige Interpretation des Werkes. Aber die heutigen Opernleute schrecken ja vor nichts zurück. Bei Wagner-Inszenierungen ist das oft noch schlimmer, obwohl ich ja für solche pathetische Musik sowieso nicht viel übrig habe.

      In diesem Text finden sich vielfältige kohäsionsstiftende Mittel, doch bleiben wir nach der Lektüre unzufrieden: Der Text ergibt keinen rechten Sinn – er reiht Sätze aneinander, die paarweise irgendwie auch zueinander passen, doch sie fügen sich nicht zu einem stimmigen Gesamtbild. Dem Text mangelt es an Kohärenz.

      2.3 KohärenzKohärenz

       (2.10) Donald Trump war immer an der Gunst der Wirtschaftskapitäne interessiert. Kürzlich schlug der Präsident eine deutliche Senkung der Unternehmenssteuern vor.

      In diesem Beispiel (angelehnt an eines von Kehler (2004)) sind die beiden Sätze unabhängig voneinander interpretierbar – jeder Satz könnte auch für sich allein stehen. Rezipieren wir sie jedoch nacheinander, d.h. als Teile desselben Texts, tritt eine weitere Information hinzu: Wir sind geneigt, entweder die Aussage des ersten Satzes als Grund für die des zweiten zu interpretieren, oder die des zweiten als Evidenz für die Behauptung im ersten Satz. Damit etablieren wir eine inhaltliche RelationKohärenzrelation zwischen den Sätzen bzw. ihren Aussagen, die gewissermaßen einen „Mehrwert“ gegenüber der Interpretation der jeweils einzelnen Sätze darstellt. Solche inhaltlichen Relationen gelten gemeinhin als das geeignete Beschreibungsmittel für (lokale) Kohärenz, was sich auch in der Definition von Bußmann (2002) zeigt:

      Semantisch-kognitiver Sinnzusammenhang eines Textes, darstellbar z.B. in Form semantischer Netze aus Konzepten und Relationen. Lokale K.Kohärenzlokal besteht satzintern und zwischen benachbarten Äußerungen, globale K.Kohärenzglobal konstituiert das Textthema bzw. die Textfunktion aus semantisch-pragmatischen Makrostrukturen. (…)

      Ist die grundsätzliche Eignung des Relations-Begriffs weitgehend unumstritten, so scheiden sich die Autoren freilich bei der konkreten Ausgestaltung, d.h. bei der Angabe eines konkreten Inventars von Kohärenzrelationen, die in Texten auftreten können, und ihrer jeweiligen Definitionen. Auf einen recht einflussreichen Vorschlag, die Rhetorical Structure TheoryRhetorical Structure Theory (RST) (Mann u. Thompson, 1988), werden wir in Kapitel 10 genauer eingehen.

       Verbindungen zwischen Gedanken

      Ein interessanter Ansatz zur Festlegung einer Menge von Kohärenzrelationen stammt von Kehler (2002), der sich auf den Philosophen David Hume beruft, welcher drei Gruppen möglicher „connections among ideas“ vorgeschlagen hatte:

       Resemblance: Es werden die Gemeinsamkeiten, Unterschiede oder das Verhältnis der Generalisierung / Spezialisierung zwischen zwei Aussagen herausgestellt. Beispiel:(2.11) Meine Freundin Mona hat sich ein neues Mountainbike gekauft. So eins fährt auch ihr Bruder schon seit zwei Jahren.

       Cause-Effect: Eine Aussage wird als Grund, die andere als Folge interpretiert. Beispiel:(2.12) Meine Freundin Mona hat sich ein neues Mountainbike gekauft. Jetzt ist sie total glücklich.

       Contiguity: Teile derselben Situation werden beschrieben und als zusammengehörig interpretiert, z.B. als temporal aufeinanderfolgend. Beispiel:(2.13) Meine Freundin Mona hat sich ein neues Mountainbike gekauft. Sie hat sofort eine Tour durch das Sauerland unternommen.

      Die Dreiteilung nach Hume und Kehler ist durchaus abbildbar auf andere in der Literatur vorgeschlagene Klassifikationen in vier Gruppen, wie die von Halliday u. Hasan (1989) (additive, temporal, causal, adversative) oder von Martin (1992) (addition, temporal, consequential, comparison) – man kann additive und temporal als Varianten von contiguity auffassen; adversative sowie comparison als spezielle Formen von resemblance; und causal/consequential als äquivalent zu cause-effect.

      Welche konkreten RelationenKohärenzrelation zur Ausgestaltung dieser Gruppen vorgeschlagen wurden, wird uns wie gesagt in Kapitel 10 beschäftigen. Hier sei lediglich festgehalten, dass lokale KohärenzKohärenzlokal zwischen benachbarten Sätzen genau dann entsteht, wenn die Interpretation des Ganzen mehr als die Summe der Interpretationen der Teile darstellt – wobei dieses „mehr“ unterschiedlich ausgeprägt sein kann: In den obigen Beispielen 2.10 und 2.12, wo kein expliziter Konnektor die kausale Interpretation nahelegt, leisten wir die entsprechende Interpretations-„Mehrarbeit“ unter dem Einfluss unseres Weltwissens; in einem Fall von contiguity wie dem nachfolgenden konstruieren wir hingegen eine gemeinsame Einordnungsinstanz („Person unterstützt Partei“) für die beiden Aussagen, ohne einen Kausalbezug zu postulieren.

       (2.14) Marianne verteilte Flugblätter für die Grünen. Sebastian organisierte die lokalen Sonntagsstammtische für die Partei.

      Die Zweckmäßigkeit der Unterscheidung zwischen lokaler und globaler Kohärenz (die wie gesehen u.a. von Bussmann, aber nicht von allen Autoren getroffen wird) lässt sich am weiter oben gezeigten Beispieltext 2.9 gut erkennen: Benachbarte Sätze sind dort nicht allein „pseudo-kohäsiv“ verbunden, sondern in der Tat auch inhaltlich verknüpfbar – die lokale Kohärenz ist jeweils gewährleistet. Das Manko des Textes ist die mangelnde globale KohärenzKohärenzglobal, denn der Text reiht Aussage an Aussage, ohne aber letzten Endes zu einem klaren Ziel zu führen. Globale Kohärenz werden wir im nächsten Kapitel zum Begriff der Textfunktion in Beziehung setzen.

      Für die lokale Kohärenz stellt neben der besprochenen Rolle der Kohärenzrelation die KoreferenzKoreferenz die wesentliche zweite Säule dar. Dass benachbarte Sätze nicht abrupt das Thema wechseln, sondern dass zumindest ein Gegenstand wieder aufgenommen wird (vgl. die Kohäsionsmerkmale Rekurrenz, Substitution, Pro-Form, Ellipse), trägt zentral zur Wahrnehmung des Textes als miteinander verwobenes Ganzes bei. Hier sind Kohäsion und Kohärenz also eng aufeinander bezogen: Koreferenz (als Baustein der Kohärenz) kann ohne Kohäsion nicht bestehen. Dass dies für die Kohärenzrelation (als den anderen Baustein) nicht gilt, haben einige unserer oben gezeigten Beispiele illustriert; die Relation kann von der Leserin auch dann erschlossen werden, wenn sie nicht durch einen Konnektor wie deshalb oder danach explizit angezeigt wird.

      2.4 TextualitätTextualität

      2.4.1 Kohäsion und Kohärenz im Zusammenhang

      Den oben gezeigten, recht „künstlichen“ Beispielen kohäsiver, aber nicht kohärenter Texte zum Trotz: In der Praxis ist die große Mehrzahl der Texte sowohl kohäsiv als auch kohärent, schon allein aufgrund des Kohärenzkriteriums der Beibehaltung von DiskursgegenständenDiskursgegenstand, die dementsprechend auch wiederholt im Text sprachlich bezeichnet werden und somit Kohäsion erzeugen. Wir betrachten daher die Kohäsion (an der Textoberfläche