Christina Falkenroth

Die Passion Jesu im Kirchenlied


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Grablegung Mt folgend zuende, indem er die Grabhüter erwähnt. Die Grablegung bezeichnet er als „herlich nach judischer art“, wobei er mit „herlich“ die Formulierung „nobile“ aufzunehmen scheint und mit „nach judischer art“ möglicherweise dem joh Bericht folgt: „wie die Juden pflegen zu begraben“ (19,40).

      2.3.2.3 Der Vergleich mit dem Hymnus1

      Patris sapientia, veritas divina,

      Christus Jesus captus est hora matutina,

      a suis discipulis et notis relictus

      judaeis est venditus, traditus, afflictus

      Hora prima ductus est Jesus ad Pilatum,

      falsis testimoniis multum accusatum

      in collo percutiunt manibus ligatum

      conspuentes faciem, ut est prophetatum.

      „Crucifige!“ clamitant hora tertiarum

      illusus induitur veste purpurarum,

      caput suum pungitur corona spinarum,

      fert trabem in humoris ad loca poenarum.

      Jesus hora sexta est cruci conclavatus,

      prae tormentis sitiens felle est potatus,

      pendens cum latronibus cum eis deputatus,

      sinister cum reprobat latro sceleratus.

      Hora nona dominus Jesus expiravit,

      „heli!“ clamans animam patri commendavit.

      Eius latus lancea miles perforavit,

      terra tunc contremuit et sol obscuravit.

      De cruce deponitur hora vespertina

      fortitudo latuit in mente divina.

      Talem mortem subiit vitae medicina.

      Heu corona gloriae iacet hic supina.

      Hora completorii datur sepulturae

      corpus Jesus nobile, vitae spes futurae,

      conditor aromate inplentur scripturae,

      jugis sit memoriae mors haec tuae curae.

      Has horas canonicas cum devotione

      tibi Jesu recolo pia ratione,

      ut sicut tu passus es poenas in agone,

      sic labore consonans consors sim coronae.

      Der Vergleich mit dem Hymnus zeigt, daß Michael Weisse in seiner Textgestaltung in Grundzügen dem Hymnus folgt. Die zeitliche Zuordnung zu den Stundengebeten übernimmt er mit einer Ausnahme (Str. 7) auch da, wo sie dem biblischen Bericht nicht entspricht (s. Str. 4: Kreuzigung zur sechsten Stunde).

      Der Hymnus ist stark am Johannesevangelium orientiert, obwohl auch hier Elemente aus den anderen Evangelien auftauchen (der links von Jesus aufgehängte Räuber, der Eli-Ausruf, die Sonnenverdunkelung) und aus der Tradition („in humoris“: der Schweiß beim Kreuztragen, evtl. soll hier auf die Tradition vom Schweißtuch der Veronika hingewiesen werden, dazu die theologisch deutenden Zusätze in Str. 6 und 7); diese Orientierung ergänzt Weisse durch Elemente der synoptischen Berichte und im Hymnus nicht auftauchende Elemente des Johannes-Berichtes (der Befund der Unschuld Jesu, die Sendung zu Herodes, der Ruf der Verlassenheit, das Tränken mit Galle, obgleich es an anderem Ort berichtet wird als es bei Mt steht, die Geistaufgabe, das Brechen der Beine, das Austreten von Blut und Wasser, die Grabhüter, der Verweis auf die Schrifterfüllung).

      Dazu korrigiert Weisse den Hymnus an manchen Stellen, an denen dieser nicht dem biblischen Bericht folgt (Zeitpunkt des Auftretens der falschen Zeugen, Zeitpunkt des Tränkens mit Essig, Zeitpunkt der Kreuzabnahme, Zeitpunkt der Sonnenverdunkelung, Zeitpunkt des Bebens).

      Die theologischen Deutungen des Todes Jesu als Sieg über den Tod (talem mortem subiit vitae medicina), der Verweis darauf, daß auch im Tod der göttliche Geist in ihm stark blieb (fortitudo latuit in mente divina), d.h. daß die Majestätseigenschaften Christi auch im Tod nicht verloren sind, und die Rede von der Ehrenkrone, die im Augenblick des Todes auf ihm ruht (corona gloriae jacet hic supina) nimmt Weisse in seinen Bericht nicht auf.

      Weisse nimmt aus dem Hymnus nicht den affektiven Ausruf von der Ehrenkrone auf dem toten Leib Jesu („Heu corona gloriae …“) in seinen Text auf, auch nicht die Rede vom im Grab befindlichen corpus Jesu, das gleichzeitig aber „vitae spes futurae“, also Träger eschatologischer Hoffnung ist. Damit grenzt er sich von einem Verständnis ab, das den Leichnam Christi als Objekt der Anbetung und Verehrung versteht, so wie es sich in der römisch-katholischen Tradition z.B. auch in der Tradition der Bestattung der Hostien in der Grablege im Kirchenraum niedergeschlagen hat. Dieses entspricht ganz der theologischen Ausrichtung der Böhmischen Brüder, die sich in der Frage nach der rechten Feier des Abendmahls so entschieden hatten, es den reinen Worten der Schrift nach zu feiern, wie es Jesus mit den Jüngern beim letzten Mahl getan hatte, und nichts hinzuzufügen und darum die Anbetung der Hostie im Abendmahl aus ihrer Abendmahlspraxis ausgeschlossen hatten.2

      2.3.2.4 Das Anliegen Michael Weisses

      Über die Absichten, die Weisse mit seinem Liedtext verfolgt, kann man aus diesem Vergleich erschließen: Über den Hymnus hinaus, den er verdeutscht aus der Tradition in seine theologisch neu bestimmte Gegenwart tragen will, liegt ihm auch daran, einen klaren Bericht von der Passion zu geben und dabei eine Evangelienharmonie zu schaffen, in der die für den Glauben bedeutsamen Elemente vorkommen. Dabei liegt bei ihm eine starke Bindung an die Schrift vor, die er an mehreren Stellen als Korrektiv an den Text des Hymnus legt.

      Zwar ist es offensichtlich die Absicht Weisses, in seiner Umgestaltung des Hymnus einen Bericht der Passion ohne alle theologische Deutung zu geben, aber an drei Stellen fügt er doch selbst eine Deutung ein.

      Der Zusatz „nur umb unsret willen“ (Str. 6) ist etwas unklar, denn semantisch geht der Bezug aus dem Liedtext nicht genau hervor. Bezieht er sich auf die Schrifterfüllung nach Joh 19, 36f? Man kann dann annehmen, daß er so die johanneische Identifizierung Jesu als das neue Passahlamm (vgl. Ex 12,46) und als der messianische „Durchbohrte“ aus Sach 12,10 unterstreicht. Es ist anzunehmen, daß er sich auf den von ihm eingefügten inhaltlichen Zusammenhang von „Blut und Wasser“ bezieht, und so das Abendmahl, in dem die Glaubenden Teilhaber am Geschehen werden, zum Thema der Strophe macht. Unabhängig davon, für welche Deutung man sich entscheidet, hat Weisse mit dem Hinweis auf die Schrifterfüllung die soteriologische Dimension der Passion Jesu hervorgehoben: Christus ist der messianische Vermittler des Heiles Gottes, der es durch sein Leiden, das er „nur umb unsret willen“ auf sich genommen hat, uns zueignet.

      In diesem Duktus sind auch die beiden anderen deutenden Zusätze zu verstehen: das „für uns“ in der ersten Strophe betont zu Beginn und als vorausgesetzte Deutung „uns“, die Gemeinde Jesu Christi, als die Zielrichtung seines Handelns.

      Im Bericht von der Geißelung in der dritten Strophe fügt Weisse einen Christustitel ein: der „Gottessohn“ muß dieses erleiden. Der darauf folgende Inthronisationsvorgang, der durch das Anlegen von Mantel und Krone symbolisiert ist, stellt in paradoxer Weise Jesus als den in seiner Verhöhnung doch herrschenden heraus, was nun als eine selbstverständliche Folge aus dem Titel „Gottessohn“ erscheint. Den Singenden wird so deutlich, daß die Peiniger an dieser Stelle meinen, ihn zu verhöhnen, aber in Wahrheit auf ihn als den Herrscher hinweisen, der er ist. Daß Jesus auch in der Situation als dem Spott und der Macht von Menschen Ausgelieferter wider allen Augenschein seine Eigenschaft als Gottessohn, also Vollbringer des göttlichen Willens in Vollmacht, nicht verloren hat, ist durch diesen Einschub den Singenden deutlich vor Augen gestellt.

      Weiter lassen Weisses Ergänzungen mit Elementen aus den Berichten der Evangelisten eine weitere Betonung einzelner Aspekte erkennen.

      Der