„Il n’y a pas de science du discours considéré en lui-même et pour lui-même.“1 Mit dieser Aussage setzt sich der französische Soziologe Pierre Bourdieu eindeutig von den methodischen Ansätzen Michel Foucaults ab. Dessen zwischen 1966 und 1970 in unterschiedlichen Phasen entwickelte Theorie der Diskursanalyse will sich von traditionellen Geschichtsmodellen abheben, indem das für letztere typische Denken in großen Einheiten und Kontinuitäten (Epochen, Jahrhunderten, kollektiven Mentalitäten, Bewegungen, Schulen, Gruppierungen), die Suche nach den Ursprüngen sowie das Verständnis der Souveränität des Subjektes in Frage gestellt werden. Die bei Foucault bewusst unpräzise und variabel gehaltene Definition des Diskursbegriffs unterliegt innerhalb seines Gesamtwerks einem bedeutenden Wandel. Während Foucault den Diskursbegriff in seinem Frühwerk im Kontext unterschiedlicher Themenbereiche praktisch anwendet, definiert er ihn in L’archéologie du savoir2 in Hinblick auf die Entwicklung eines Instrumentariums für die Diskursanalyse und rückt ihn in L’ordre du discours3 als machtorientierte Instanz vorübergehend ins Zentrum seiner machttheoretischen Überlegungen.4 Wie er in seiner Einleitung zu L’archéologie du savoir darlegt, setzt er sich in diesem Werk zum Ziel, das methodologische Grundgerüst seiner Diskursanalyse auszuarbeiten, welche bereits in früheren Studien Anwendung gefunden hat:
Ce travail n’est pas la reprise et la description exacte de ce qu’on peut lire dans l’Histoire de la Folie, la Naissance de la Clinique, ou Les Mots et les Choses. […] Il comporte aussi pas mal de corrections et de critiques internes. […] [D]ans Les Mots et les Choses, l’absence de balisage méthodologique a pu faire croire à des analyses en termes de totalité culturelle.5
Foucault betont in L’archéologie du savoir die bewusste Polyvalenz seiner Diskursdefinition:
Enfin au lieu de resserrer peu à peu la signification si flottante du mot ‚discours‘, je crois bien en avoir multiplié les sens: tantôt domaine général de tous les énoncés, tantôt groupe individualisable d’énoncés, tantôt pratique réglée rendant compte d’un certain nombre d’énoncés; et ce même mot de discours qui aurait dû servir de limite et comme d’enveloppe au terme d’énoncé, ne l’ai-je pas fait varier à mesure que je déplaçais mon analyse ou son point d’application, à mesure que je perdais de vue l’énoncé lui-même?6
Denn wie er hier verdeutlicht, bezeichnet der Terminus ‚Diskurs‘ bei ihm gleichsam das allgemeine Aussagengebiet, eine individualisierbare Aussagengruppe sowie die regulierte Praxis, die von einer bestimmten Zahl von Aussagen Rechenschaft ablegt. Daraus ergeben sich die einzelnen Bestandteile seines analytischen Werkzeugs, mithilfe dessen er auf unterschiedlichen Diskursebenen operiert. Die kleinste Einheit, auch „atome du discours“7 genannt, ist dabei die Aussage in ihrer Beschaffenheit als Aussagenfunktion in einem bestimmten Koexistenz- und Korrelationsraum mit anderen Aussagen, der als „champ discursif“8, diskursives Feld, oder auch als „groupement discursif“9, diskursive Gruppierung, beschrieben wird. Anhand dieses terminologischen Instrumentariums entwickelt Foucault schrittweise eine konkrete Definition, wonach der Diskurs sich aus Aussagen mit bestimmten Existenzmodalitäten und einem bestimmten Verbreitungs- und Verteilungsprinzip – auch als diskursive Formation bezeichnet – konstituiert. Die Fixierung des Diskursbegriffs als „ensemble des énoncés qui relèvent d’un même système de formation“10 ermögliche daher erst die Existenz eines spezifischen Diskurses wie beispielsweise des klinischen, ökonomischen oder psychiatrischen Diskurses.
Die Prämisse der Diskursanalyse nach Foucault ist jedoch die Suspendierung aller unmittelbaren und traditionellen Kontinuitätsformen – Werk, Buch, Disziplin, Individuum bzw. Autor – und der Verzicht auf den damit verknüpften Rückbezug auf die hermeneutische Frage nach der Absicht eines sprechenden Subjektes. Foucault setzt sich hingegen zum Ziel, durch die Fokussierung von Aussagen als Ereignisse an sich, ihre Besonderheit, ihre Existenzbedingung, ihre Korrelation mit anderen Aussagen auf Basis gemeinsamer Aussagengegenstände, -typen und -konzepte zu bestimmen, um sie so entsprechend ihrer diskursiven Formation neu gruppieren zu können. Die so determinierte diskursive Einheit wird folglich nicht durch die Verbundenheit einer den Aussagen bzw. den Sprechern gemeinsamen Ideologie, Theorie oder Wissenschaft hergestellt, sondern durch das rein diskursimmanente Bezugssystem. Die einzelnen Korrelationskomponenten wie Aussagengegenstand, -typ und -konzept unterliegen wiederum bestimmten Existenzbedingungen, die beispielsweise auf historischer, funktionaler oder korrelativer Ebene liegen können. Foucaults minutiöse Deskription der Möglichkeiten diskursiver Regelmäßigkeiten und der Formationsregeln einzelner Aussagenfelder bleibt strikt auf der Ebene des Diskurses und verzichtet explizit auf die Rückkoppelung an jedwede psychologische Individualität oder an traditionelle Erklärungsprinzipien ideengeschichtlicher Theorien. Dennoch trägt er den kulturrelevanten Determinanten von Raum und Zeit Rechnung. So ist für Foucault die diskursive Praxis
un ensemble de règles anonymes, historiques, toujours déterminées dans le temps et l’espace qui ont défini à une époque donnée, et pour une aire sociale, économique, géographique ou linguistique donnée, les conditions d’exercice de la fonction énonciative.11
Der historisch und geographisch fundierte Diskurs repräsentiert dabei stets ein begrenztes, mithin defizitäres System von Präsenzen, da nie alles Mögliche gesagt werden kann. Das Auftauchen von Aussagen, ihre Positivität, untersteht bestimmten Realitätsbedingungen, die Foucault als historisches Apriori bezeichnet und von dem Begriff des Archivs abgrenzt.12 Er unterstreicht dabei die unkonventionelle Juxtaposition, welche seinen Terminus ‚historisches Apriori‘ kennzeichnet und die Stefan Rieger als „ungewohnte Koppelung des Transzendentalen und des Historischen“13 interpretiert: „Juxtaposés, ces deux mots font un effet un peu criant; j’entends désigner par là un a priori qui serait non pas condition de validité pour des jugements, mais condition de réalité pour des énoncés.“14 Das Apriori bezieht sich in diesem Verständnis auf die „histoire […] des choses effectivement dites“15, wodurch die Komponente der zeitlich bestimmten Transformierbarkeit von Aussagensystemen erfasst wird. Mithilfe des Archivbegriffs beschreibt Foucault wiederum das „système général de formation et de transformation des énoncés“16 als ein Gesetz von Aussagemöglichkeiten. Das Archiv reguliert den Fortbestand und die Modifikation von Aussagen in der größtmöglichen Dimension, sodass es nie in seiner Totalität erfassbar ist, aber je beschreibbarer wird, desto klarer die Trennung von der Aktualität vollzogen ist.
Die von Bourdieu diagnostizierte Inexistenz einer Wissenschaft des Diskurses impliziert die Kritik an Foucaults Diskursanalyse, um sich dem Diskursbegriff aus soziologisch-pragmatischer Perspektive zu nähern. Im Gegensatz zu Foucault verwehrt sich Bourdieu der terminologischen Verwendung traditioneller Analyseeinheiten nicht und postuliert die Rückbeziehung der Werke auf die Sprecher sowie ihre Einbettung in das soziale Gefüge der Gesellschaft:
[L]es propriétés formelles des œuvres ne livrent leur sens que si on les rapporte d’une part aux conditions sociales de leur production – c’est-à-dire aux positions qu’occupent leurs auteurs dans le champ de production – et d’autre part au marché pour lequel elles ont été produites (et qui peut n’être autre que le champ de production lui-même) et aussi, le cas échéant, aux marchés successifs sur lesquels elles ont été reçues.17
In Bourdieus Diskursverständnis sollen die spezifischen Eigenschaften eines Diskurses analog zur sozialen Position des Sprechers bzw. Akteurs gedeutet werden, so dass der Diskurs zum einen als ein sozial bedingtes Konstrukt aufgefasst wird und zum anderen aus sprachtheoretischer Perspektive hergeleitet wird. In Ce que parler veut dire entwickelt Bourdieu den Diskursbegriff maßgeblich in Abgrenzung zur strukturalistischen Sprachwissenschaft, indem er ‚Diskurs‘ als sozialabhängigen, stilistisch gekennzeichneten Idiolekt bezeichnet:
Ce qui circule sur le marché linguistique, ce n’est pas la langue, mais des discours stylistiquement caractérisés, à la fois du côté de la production, dans la mesure où chaque locuteur se fait un idiolecte avec la langue commune, et du côté de la réception, dans la mesure où chaque récepteur contribue à produire le message qu’il perçoit et apprécie en y important tout ce qui fait son expérience singulière et collective.18
Als sozialbedingt