literarische Werke grundsätzlich im kulturellen bzw. intellektuellen Feld zirkulieren. Unabhängig von jedweder Spezifität nimmt das Feld in Bourdieus Verständnis die Funktion eines Kräftefeldes ein, innerhalb dessen unterschiedliche Akteure Stellung beziehen:
Le champ est un réseau de relations objectives (de domination ou de subordination, de complémentarité ou d’antagonisme, etc.) entre des positions […]. Chaque position est objectivement définie par sa relation objective aux autres positions, ou, en d’autres termes, par le système des propriétés pertinentes, c’est-à-dire efficientes, qui permettent de la situer par rapport à toutes les autres dans la structure de la distribution globale des propriétés.19
Diese Prämisse bedingt die Gliederung des Feldes in zwei zueinander homologe Bereiche, den Bereich der Stellungen (espace de positions) und den Bereich der Stellungnahmen (espace de prises de position), wodurch die Relationalität zwischen Diskurs und Akteur expliziert wird:
Toutes les positions dépendent, dans leur existence même, et dans les déterminations qu’elles imposent à leurs occupants, de leur situation actuelle et potentielle dans la structure du champ […]. Aux différentes positions […] correspondent des prises de position homologues, œuvres littéraires ou artistiques évidemment, mais aussi actes et discours politiques, manifestes et polémiques, etc.20
Letztlich determiniert das Konzept des Feldes maßgeblich die Kategorisierung von Diskursen, welche im Unterschied zum diskursanalytischen Ansatz nach Foucault nicht aus sich selbst heraus gedeutet werden, sondern in Rückbindung einerseits an den individuellen Sprecher und andererseits an das feldbedingte Sozialgefüge seiner Entstehung. Erst durch diese feldspezifische Homologiestellung von Stellungnahmen und Akteuren treten unterschiedliche diskursive Ausprägungen in Erscheinung. Die feldspezifische Lokalisierung und Klassifizierung von Diskursen intendiert ein Analysemodell, das unterschiedliche Ansätze berücksichtigt: den direkten Zusammenhang zwischen Individualbiographie und Werk, die immanente Werkinterpretation und die ein Ensemble von Werken in Beziehung setzende intertextuelle Analyse.21 Indem einzelne Positionsnahmen zueinander in Beziehung gesetzt werden, rücken bei Bourdieu der distinktive Antrieb bestimmter Diskurse eines Feldes sowie der Distinktionswert der entsprechenden Akteure in den Vordergrund, was Joch/Wolf zu Recht als besondere Errungenschaft des feldtheoretischen Ansatzes bezeichnen.22 Tatsächlich postuliert Bourdieu die Lektüre und Interpretation „à travers le système des écarts par lequel elle [une œuvre, S.I.] se situe dans l’espace des œuvres contemporaines“23, um der Singularität seiner Textualität in angemessenem Rahmen Rechnung zu tragen. Somit lässt sich der Diskurs nach Bourdieu als zweifach gefiltertes Produkt beschreiben: Als sowohl akteur- wie auch feldbezogenes Konzept24 spiegeln sich in ihm der spezifische Habitus des Sprechers sowie die für das jeweilige Feld epochenspezifischen Frage- bzw. Problemstellungen.
Die fundamentale Differenzierung zwischen einem Bereich der Stellungnahmen und einem Bereich der Stellungen im feldtheoretischen Ansatz indiziert innerhalb der methodischen Kontrastierung Bourdieus und Foucaults den essentiellen Unterschied beider Denkmodelle. Bourdieu postuliert damit die Integrität der von Foucault als zu suspendierende traditionelle Einheit bewerteten Subjektsouveränität und folglich in Hinblick auf die Literaturwissenschaft auch die Zusammengehörigkeit der Aussagen eines Autors zu einem Werk. Jene bei Foucault diskreditierten Entitäten wie Werk, Autor und Disziplin konstituieren bei Bourdieu die analytische Grundlage einer kultursoziologischen Interpretation. Dennoch existiert zwischen beiden Ansätzen eine Schnittmenge, die im Folgenden herausgearbeitet wird. Vorausgesetzt nämlich, dass man den von Bourdieu abgesteckten Bereich der Stellungnahmen in seiner epochenspezifischen Feldbezogenheit fokussiert, lässt sich eine gewinnbringende Kombination beider Theorien rechtfertigen. Es sollen daher nun die beiden Diskurskonzepte unter dem Blickwinkel dessen betrachtet werden, was Bourdieu zunächst als „kulturelles Unbewusstes“25 und schließlich als „Raum der Möglichkeiten“26 bezeichnet, um in einer daran anknüpfenden synthetischen Schlussfolgerung den besonderen Mehrwert dieser theoretischen Verknüpfung für die praktische Anwendung herauszustellen.
1.1.2 Aussagenspezifische Bezugssysteme: Foucaults ‚champ de possibilités stratégiques‘ und Bourdieus ‚espace des possibles‘ im Vergleich
Zunächst 1984 in einem Text zum literarischen Feld thematisiert1 und dann in einem kultursoziologischen Vortrag 1986 an der Princeton University wiederaufgegriffen,2 beschreibt Bourdieu den für die Analyse kultureller Produktionsfelder entscheidenden Raum der Möglichkeiten, den „espace des possibles“, der als Produkt der eigenen Geschichte des Feldes das „univers des problèmes, des références, des repères intellectuels (souvent constitués par des noms de personnages phares), des concepts en -ismes, bref, tout un système de coordonnées“3 festlegt. Bourdieu leitet jenes das jeweilige Feld konstituierende gemeinsame Bezugssystem mit den aus ihm resultierenden Frage- und Problemstellungen diachron her und beschreibt es darüber hinaus als ein netzartiges Konstrukt, das die Produzenten einer Epoche und eines Kulturraums zueinander in Beziehung setzt. Dieser gemeinsame Korrelationsraum wird von Bourdieu als gemeinsames System intellektueller Koordination, als „système de références communes, de repères communs“4 bezeichnet, wonach die einzelnen Positions- oder Stellungnahmen als Entscheidungen zwischen den im Feld gegebenen Möglichkeiten, nämlich als „les choix entre les possibles“5, figurieren. Wenn auch Bourdieu hier Stellungnahmen bzw. Diskurse in ihrer Subjektbezogenheit determiniert und damit Foucaults Diskursanalyse diametral gegenüberzustehen scheint, so leitet er doch das mithin intertextuell fundierte Koordinationssystem basierend auf den Interdependenzbeziehungen zwischen den Werken, welches der Bereich der Stellungnahmen darstellt, unter Rekurs auf Foucault her. Dabei bezieht sich Bourdieu auf eine Erklärung Foucaults für den Cercle d’épistémologie von 1968, in der er die theoretischen Grundannahmen seiner Diskursanalyse zu erhellen sucht.6 In abgeänderter Form wird diese von Bourdieu kommentierte Textpassage zum strategischen Möglichkeitsfeld ein Jahr später von Foucault in L’archéologie du savoir wiederaufgenommen.7 Als Kriterien zur Bestimmung einer diskursiven Einheit nennt Foucault das „système des points de choix qu’il [le discours, S.I.] laisse libre à partir d’un champ d’objets donnés, à partir d’une gamme énonciative déterminée, à partir d’un jeu de concepts définis dans leur contenu et dans leur usage“8. Dieses Verteilungsprinzip so genannter zur Auswahl stehender Entscheidungspunkte bezeichnet Foucault als „champ de possibilités stratégiques“9, als Feld strategischer Möglichkeiten, bzw. als „loi de formation et de dispersion de toutes les options possibles.“10 Es systematisiert die Streuung gegebener Diskursgegenstände, Diskurstypen und der diskursimmanenten Konzepte, anhand derer spezifische diskursive Einheiten messbar werden. Foucault betrachtet das Feld strategischer Möglichkeiten folglich als eine Komponente, welche die Neugruppierung von Aussagemengen zu diskursiven Formationen ermöglicht. Im Gegensatz jedoch zu Bourdieus Verständnis eines Raums der Möglichkeiten repräsentieren die im Feld der strategischen Möglichkeiten erfassten Entscheidungspunkte keine zur Auswahl stehenden Ideen oder Meinungen, wie Foucault in seinem Artikel anhand evolutionstheoretischer Positionierungen verdeutlicht: „On aurait donc tort sans doute de chercher dans ces faits d’opinion des principes d’individualisation d’un discours.“11 Foucaults Bestimmungskriterien dienen nicht so sehr der Interpretation eines kultur- und epochenspezifischen Aussageninhaltes, als vielmehr dem Erfassen diskursstrukturierender Charakteristika jenseits vorab bestimmter diskursiver Einheiten. Als Formations- und Streuungsgesetz aller möglichen Optionen setzt es weniger auf Einheitlichkeit und Konsens als auf Dispersion:
Ne seraient-ce pas les différentes possibilités qu’il [le discours, S.I.] ouvre de ranimer des thèmes déjà existants, de susciter des stratégies opposées, de faire place à des intérêts inconciliables, de permettre, avec un jeu de concepts déterminés, de jouer des parties différentes? Plutôt que de rechercher la permanence des thèmes, des images et des opinions à travers le temps, plutôt que de retracer la dialectique de leurs conflits pour individualiser des ensembles énonciatifs, ne pourrait-on pas repérer plutôt la dispersion des points de choix, et définir en deçà de toute option, de toute préférence thématique un champ de possibilités stratégiques?12
Das Feld der strategischen Möglichkeiten gehört folglich neben dem Objekt der Aussage,