Lehren und Lernen im Fremdsprachenunterricht hier als ein recht instrumentelles oder gar technokratisches Unterfangen verstanden werden soll. Schnell könnte man vermuten, dass das Beherrschen der sprachlich-kommunikativen Fertigkeiten ausreiche, um die Ziele des (institutionellen) Fremdsprachenunterrichts zu erfüllen. Dem ist mitnichten so! Andreas Bonnet und Uwe Hericks verbinden mit einem Bereich des Fremdsprachenunterrichts „funktional-pragmatische Ziele“ (Bonnet/Hericks 2014: 90), während in dem Bereich der Arbeit an kultur- oder literaturdidaktischen Gegenständen „reflexiv-emanzipatorische Ziele“ (ebd.) erreicht werden können. Vielmehr sind also die funktional-kommunikativen Kompetenzen Mittel zum Zweck, um den Austausch mit zielsprachlichen Kulturen (und Personen anderer Muttersprachen) zu ermöglichen, über „fremde“ Gegenstände zu diskutieren und so den individuellen Horizont zu erweitern:
Immerhin wird allgemein anerkannt, dass das Fach [hier am Beispiel des Englischunterrichts; Anmerkung D.G./E.L.] entscheidend an der Vermittlung von zentralen Erfahrungen, Werten und Fähigkeiten für das Leben in der modernen, heterogenen Gesellschaft beteiligt ist, indem es dafür Sorge trägt, Diversität und Andersartigkeit erfahrbar zu machen, angefangen von der unterschiedlichen Lautung und den anders gelagerten Ausspracheregeln in einer fremden Sprache bis hin zu den Konventionen der Interaktion, der Gesprächsgestaltung und den textuellen Großformen (Genres) im Schreiben wie im mündlichen Diskurs. (Vollmer 2016: 78)
Insofern kann auch Meinert Meyer nur zugestimmt werden, wenn er aus Sicht der Subjekte, der Lernenden im Fremdsprachenunterricht, herausstellt:
Gebildet ist nicht, wer weitreichende fremdsprachlich-kommunikative Kompetenzen in vielen Sprachen nachweisen kann – das ist nur nützliches Wissen. Gebildet ist vielmehr, wer aus diesem Kompetenzprofil heraus sieht, in welcher besonderen Weise seine Sicht der Welt subjektiv ist. […] Fremdsprachenunterricht ist bildend, wenn die fremden Sprachen so vermittelt werden, daß die Schüler die in ihnen artikulierte fremdsprachige „Weltsicht“ erfahren können, und wenn ihnen dabei ermöglicht wird, die prinzipiell nicht aufhebbare Andersartigkeit der Anderen zu erfahren. Bildung ist das aufgeklärte Bewußtsein der Subjektivität dieser je eigenen Weltansicht. (Meyer 1993: 135; Hervorhebung im Original)
Wenn interkulturelle kommunikative Kompetenzinterkulturelle kommunikative Kompetenz als Kernelement von Bildung im Fremdsprachenunterricht herausgestellt wird, muss gleichzeitig attestiert werden, dass dieses übergeordnete Ziel nur schwer messbar ist. Als Grundlage für die Auseinandersetzung z.B. mit zielsprachlicher Literatur gilt selbstverständlich die Förderung von Fertigkeiten, Grammatik und Wortschatz. Aber stellt sich eine cultural awareness automatisch dadurch ein, dass man sich interaktiv mit einem Text auseinandergesetzt hat, diesen bezüglich der eigenen Einstellungen hinterfragt und dann ggf. in einem Rollenspiel umgesetzt hat? Möglicherweise, vielleicht sogar tatsächlich, eventuell aber eben auch nicht.
Die im Zusammenhang mit Bildungsstandards häufig aufkommende Kritik, dass diese weder viel mit Inhalten noch mit BildungBildung zu tun hätten, birgt einige Chancen: Wenn Inhalte „beliebiger“ sind, sollten diese nicht verschwinden zugunsten isolierter Fertigkeitsförderung, vielmehr bietet sich dadurch die Chance, aktuelle, für die Lernenden (bzw. den gesamten Kontext) im inter-/transkulturellen Sinn relevante Inhalte (möglicherweise auch jenseits der dezidiert zielsprachlich normalerweise anvisierten Kulturen) im Unterricht zu thematisieren. Damit soll nicht die Bedeutung bestimmter zentraler Themen oder Texte für die verschiedenen Fremdsprachen herabgesetzt werden, sie haben weiterhin eine zentrale Wichtigkeit. Dem Prinzip der LernerorientierungLernerorientierung folgend müssten sie jedoch stärker den Kontext des Fremdsprachenunterrichts berücksichtigen, in dem sie aufgegriffen und behandelt werden. Um dies zielführend umsetzen zu können, sind zwei Voraussetzungen wichtig: Zum einen ist die Kenntnis der verschiedenen Faktoren wichtig, die den Kontext Fremdsprachenunterricht ausmachen (Kapitel 3), zum anderen ist der Fremdsprachenunterricht als sozial-kulturelle Praxis zu verstehen, bei der die beteiligten Personen (Lehrkraft und Lernende) sowohl mit (fremdsprachlichen) Inhalten als auch miteinander interagieren und die für sich je individuelle Bedeutung aushandeln. Ein Verständnis für diese UnterrichtskulturUnterrichtskultur (Kapitel 2) des fremdsprachlichen Unterrichts ist damit von großer Bedeutung.
Im Fremdsprachenunterricht wurden und werden die Qualität und der Lernertrag häufig bezüglich der Umsetzung von Unterricht insbesondere in methodischer Hinsicht betrachtet, weswegen die Diskussion um die aktuelle Rolle von Methoden im Fremdsprachenunterricht nun angeschlossen werden soll.
1.3 Gestaltungsmerkmale der Lehr-/Lernkultur im Fremdsprachenunterricht
Moment der Reflexion
Erinnern Sie sich zurück an Ihre zuletzt gehaltene oder (im Studium) diskutierte oder erlebte Unterrichtsstunde in einer Fremdsprache. Wie wurde methodisch vorgegangen? Wie wurde fremdsprachliches Lernen initiiert?
Einen großen Einfluss auf die Gestaltung (guten) Fremdsprachenunterrichts hatten insbesondere Diskussionen um die Bedeutung bestimmter Sprachlehr- und -lernmethoden, die allerdings zunehmend von umfassenderen methodisch-didaktischen Ansätzen bzw. einer Zahl an Prinzipien abgelöst wurden. Man kommt hinsichtlich der Diskussion um die Rolle von MethodenMethode im modernen Fremdsprachenunterricht nicht umhin, in der Geschichte der Fremdsprachendidaktik zu suchen. Als Unterdisziplin ist damit eine „Historische Fremdsprachenforschung“ höchst bedeutsam: Sie zeigt dezidiert auf, unter welchen Bedingungen welche methodisch-didaktischen Strömungen entstanden sind und warum entsprechende Gegenbewegungen beispielsweise einsetzten – mögen sie aufgrund neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse stattgefunden haben oder aufgrund politisch-ideologischer Konzepte oder Vorgaben (vgl. z.B. Doff/Klippel 2012). Ein Verständnis auch in gewissermaßen historischer Perspektive – und wir sprechen hier von den vergangenen 100 Jahren – ist damit für eine Kontextsensibilität heutzutage und in naher Zukunft von großer Bedeutung.
Traditionelle Fremdsprachenlehr-/-lernmethoden
Der Fremdsprachenunterricht hat sich in der Vergangenheit weitgehend an Prämissen orientiert, welche zum jeweiligen Zeitpunkt erklärten, wie Lernen und Lehren optimal funktionieren oder funktionieren könnten. Bevor dezidiert wissenschaftlich valide Experimente zur Genese von LerntheorienLerntheorien eingesetzt wurden, galt daher die traditionelle Grammatik-Übersetzungs-MethodeGrammatik-Übersetzungs-Methode als Nonplusultra im Fremdsprachenunterricht: Das Erarbeiten von isolierten Regeln und das sich anschließende Übersetzen hatte primär zum Ziel, fremdsprachliche Texte verstehen zu können. Kommunikation in der anderen Sprache hatte keine Priorität, der Unterricht an sich erfolgte in der Muttersprache der Lernenden.
Die Anforderungen der früh beginnenden Globalisierung wirkten sich dann jedoch schnell auch auf die Bedürfnisse von Menschen aus, die möglichst effektiv die Basics einer Sprache lernen mussten, welche sie im Austausch mit Sprecherinnen und Sprechern anderer Sprachen brauchten. Man erkannte, dass die Grammatik-Übersetzungs-Methode hier (mindestens) einen wichtigen Bereich der Fremdsprache, nämlich das Sprechen, ausließ. Eine Methode, die hier durch einen sehr deutlichen Fokus auf mündliche Produktion Abhilfe schaffte, war die Direkte MethodeDirekte Methode. Insbesondere in der Erwachsenenbildung – z.B. von Berlitz-Sprachschulen heute noch eingesetzt – bedient sich dieses andere Extrem folgender Prinzipien: Der Unterricht findet ausschließlich in der Zielsprache statt, fokussiert auf Hören und Sprechen, Grammatik wird induktiv gelehrt. Lehrkräfte, die die Direkte Methode einsetzen, bedienen sich einer Vielzahl von Visualisierungen, Realia oder der Pantomime. Die Interaktion mit den Lernenden erfolgt in der Regel durch Frage-Antwort-Schemata.
Die Audiolinguale MethodeAudiolinguale Methode fokussierte einzelne Kompetenzbereiche (mit Schwerpunkt weiterhin auf Hören und Sprechen), setzte allerdings stark auf die Imitation der Lehrkraft bzw. vorgegebener patterns, in der Regel eingebettet in Dialoge. Die Vorbildkraft der Lehrperson ist hier besonders hoch, genauso wie die nötige Korrektheit der von den Lernenden wiedergegebenen Äußerungen. Die primär aus Frankreich stammende, ebenfalls sehr einflussreiche Audiovisuelle MethodeAudiovisuelle Methode folgte ähnlich der Audiolingualen Methode der Lerntheorie der Zeit, dem Behaviorismus, präsentierte die meist an der Alltagssprache