Ein sprachliches Zeichen besteht aus der arbiträren Verknüpfung von Signifikant (Ausdruck/Bezeichnendes) und Signifikat (Konzept/Bezeichnetes)
Zudem eignen wir uns abstrakte (Regel-)Systeme an, wie zum Beispiel die Phoneme oder die Grammatik einer Sprache. Sprachenlerner bauen ihre Kompetenz dahingehend aus, dass sie Sätze wie er lachte als richtig, Sätze wie *sie gehte als falsch bewerten können (vgl. Kapitel 04).
Erwerben wir diese Kenntnisse nicht, sind wir nicht in der Lage, an der Kommunikation und Kultur einer Sprachgemeinschaft teilzunehmen.
Einerseits referiert der Begriff [Sprachkompetenz also] auf Sprachkönnen in dem Sinne, dass eine bestimmte Sprache verwendet werden kann, andererseits kann Sprachkompetenz auch als Voraussetzung und Instrumentarium zur Aneignung von neuem Wissen angesehen werden (Jude & Klieme 2007, 11).
Sprachkompetenz umfasst, was von einem kompetenten Sprecher erwartet wird und welche Abweichungen davon akzeptiert werden können: Ist Gib mir mal den Butter! in Ihren Augen akzeptabel? Wenn nicht, warum? Wenn ja, in welchem Kontext? Wie sieht es mit Lassma Viktoriapark gehen, Lan! aus? Wie begründen Sie Ihre Meinung? Auch wenn Sie vielleicht Zweifel hegen: Beide Äußerungen sind in verschiedenen Sprachgemeinschaften des Deutschen alltäglich und angemessen. In Teilen Süddeutschlands und Österreichs kommt Millionen von Sprecherinnen und Sprechern nur der Butter auf die Breze (vgl. Möller & Elspaß 2008), im Ethnolekt Kiezdeutsch deutscher Großstädte sind lassma und Lan weit verbreitete und akzeptierte Ausdrücke (vgl. Wiese 2010). Damit wird deutlich: Nicht nur die Erwartungen an einen kompetenten Sprecher sind von der sprachlichen Umgebung, von der jeweiligen Sprachgemeinschaft abhängig, sondern auch der Erwerb von Kompetenzen; denn das Datenmaterial, an dem wir Kompetenzen erwerben, ist die Sprache, die uns umgibt: Es ist das „Sprachmaterial“, mit dem wir alltäglich konfrontiert werden. Vor allem mittels sprachstatistischer Lernmechanismen wird es analysiert, abstrahiert, systematisiert und im Gedächtnis verankert (vgl. Schwarz 2008, 143; vgl. Kapitel 03 und 06). Vorausgesetzt, wir bringen das biologische Vermögen dafür mit, Sprache wahrzunehmen und zu produzieren.
Theoretisch könnten wir wohl auch (wie es z.B. Hunde und Katzen tun) über Düfte o.Ä. kommunizieren. Allerdings wären wir so vermutlich etwas schweigsam! Die biologischen Voraussetzungen bringen wir nämlich nicht ausreichend mit: Unser Geruchssinn ist viel zu schlecht.
Sprachkompetenz ermöglicht es uns darüber hinaus, mit unvollständigem Sprachmaterial umgehen zu können. Stellen Sie sich vor, Sie gehen zu Ihrem Obst- und Gemüsehändler. Weil Sie vielleicht ein wortkarger (oder sagen wir sprachökonomischer) Mensch sind, sagen Sie nur: Fünf rote Äpfel! Nun geschieht etwas ganz Wunderbares: Sie müssen nicht die Äpfel selbst entnehmen, abwiegen, mit einem Preis versehen etc., sondern all das macht der Verkäufer für Sie. Warum ist das möglich? Sie haben nicht nur eine Äußerung von sich gegeben, sondern eine komplexe sprachliche Handlung, einen Sprechakt vollzogen. Der Verkäufer hat daraufhin nicht nur den physikalisch hör- und messbaren Lautstrom analysiert und fehlende Elemente (z.B. Ich hätte gerne) gedanklich ergänzt, sondern auch aufgrund des Kontextes (hier: Einkauf) interpretiert: Er ist davon ausgegangen, dass Sie ihm nicht einfach sagen wollten, dass dort fünf rote Äpfel liegen, sondern dass Sie diese erwerben möchten (Verkaufe mir bitte fünf rote Äpfel!) (Beispiel n. Schlobinski 2014, 69; vgl. auch Kapitel 07).
Zweifellos sind Sprachkompetenz und ihre Teilkompetenzen der Schlüssel zu schulischem und außerschulischem Lernen, sie „sind grundlegend für Lernprozesse, sie beeinflussen in Form von Lese-, Schreib- und Gesprächsfähigkeiten Bildungsprozesse im Allgemeinen“ (Schilcher 2015, 6).
2.1 „Broccoli oder was?“ Ergebnisse der Hirnforschung zur Sprachverarbeitung
Neben unseren Sprechwerkzeugen, die der Erzeugung von Lauten dienen, ist vor allem unser Gehirn dafür zuständig, dass wir sprechen und schreiben bzw. zuhören und lesen können. Die linke und rechte Hälfte unseres Gehirns haben sich im Verlauf der Evolution spezialisiert: Die rechte Seite ist in der Regel v.a. für bildlich-räumliche Aspekte zuständig (vgl. Schwarz 2008, 83ff), die linke Hemisphäre steuert alle „wesentlichen Aspekte des Sprachvermögens“ (Schwarz 2008, 85).
Dort liegen auf der Hirnrinde sowohl das sogenannte Broca- als auch das Wernicke-Areal. Sie sind die Hauptverantwortlichen für die Sprachproduktion (z.B. Satzbau und weitere grammatische Bereiche) bzw. für die Rezeption sprachlicher Elemente. Die Arbeitsteilung der beiden Areale gestaltet sich dabei folgendermaßen (vgl. Schwarz 2008, 95): „Das Broca-Areal produziert Wörter und Sätze, die Wernicke-Region erhält Informationen über akustisch wahrgenommene Sprache von der primären Hörrinde zur weiteren Verarbeitung“ (Friederici 2003, 45). Beispielsweise erkennen Sie Da flockte das glumpsende Toro reck als grammatikalisch korrekten deutschen Satz, auch wenn er keinen Sinn ergibt. D. h. Ihr Gehirn hat erkannt, dass das Beispiel dem Muster eines typischen deutschen Satzes entspricht.
Wie kommt man zu diesen Ergebnissen? Untersuchungen von Patienten haben gezeigt, dass eine Schädigung (Aphasie) der Broca-Region dafür verantwortlich sein kann, dass sich Menschen nicht mehr oder nur schlecht artikulieren können (typisch ist z. B: ein „Telegrammstil“). Das Verstehen von Äußerungen ist ihnen noch möglich. Ist das Wernicke-Areal geschädigt (Wernicke-Aphasie), ist das mentale Lexikon betroffen. Die Betroffenen können sich zwar flüssig artikulieren, jedoch ergibt die Äußerung keinen Sinn (vgl. Schwarz 2008, 85ff).
Diese Hirnregionen sind beim Lernen mehrerer Sprachen aktiv. Mitentscheidend für die Entwicklung von Sprachkompetenz ist der Zeitpunkt des Erwerbs: Wird eine Sprache (wir nennen sie Language 1, L1) früh und (nahezu) gleichzeitig mit einer anderen Sprache (die Language 2, L2) erworben, entwickelt das Broca-Areal ein einziges Nervenzellennetz, das für beide Sprachen verantwortlich ist. Man spricht in diesem Fall von einem simultanen Spracherwerb. Da beide Sprachen in der gleichen Region mobilisiert werden, kann es zwischenzeitlich zur Dominanz einer Sprache kommen (vgl. Jeuck 2015, 16). Bei Spätlernern ist dies nicht der Fall: Sie entwickeln separate Netze für jede Sprache (vgl. Kramer 2003). Man spricht dann von einem sukzessiven Spracherwerb. Der Vorteil des simultanen Spracherwerbs erklärt sich folgendermaßen: Muss für jede Sprache ein neues Netz mit neuen Regeln etc. konstruiert werden, ohne auf vorhandene Strukturen zurückgreifen zu können, werden mehr Ressourcen benötigt. Trotzdem können auch Spätlerner neue Sprachen auf einem sehr hohen Niveau erlernen, jedoch fällt ihnen dies schwerer (vgl. Myers 2008, 453). Faktoren wie Motivation, sprachlicher Input, Sprachlernerfahrungen und individuelle Begabung haben hier einen deutlichen Einfluss (vgl. Rösch 2011, 178).
Abb. 2.2:
schematische CT-Aufnahme. Beim frühen Zweitsprachlernen (links) wird für beide Sprachen ein Gehirnareal aktiviert, während beim späten Lernen (rechts) mehrere Areale aktiviert werden (hell- bzw. dunkelgrau).
2.2 Zwei- und Mehrsprachigkeit: Was hat man davon?
Zwei- und Mehrsprachigkeit ist folglich kein Nachteil, der die sprachliche Entwicklung bremst. Ganz im Gegenteil: Mehrsprachigkeit erleichtert langfristig sprachliches Lernen, indem neu zu erlernende Sprachen in bereits bestehende multifunktionale Netze integriert und vorhandene Ressourcen und bestehende Lernerfahrungen beim Lernen der neuen Sprache genutzt werden. Ähnlich wie bei einer Person, die z.B. bereits zwei Musikinstrumente beherrscht und ein drittes dadurch leichter erlernt. Der Erwerb von Sprache hinterlässt ebenso Spuren in unserem Gehirn.
Bezüglich der Vorteile von Zwei- bzw. Mehrsprachigkeit zeichnet die Forschung ein eindeutiges Bild (vgl. z.B. Riehl 2014; Hochholzer 2015; Schweizer et al. 2012):
Die sprachliche und soziale Entwicklung wird positiv beeinflusst.
Mehrsprachigkeit führt zu Sprachbewusstheit.
Frühe Mehrsprachigkeit begünstigt die Entwicklung des Sprachzentrums im Gehirn.
Weitere kognitive Fähigkeiten, z.B. im Bereich der Mathematik und im kreativen Problemlösen, entwickeln sich positiv.
Bereits in den frühen Lebensjahren lassen sich