kreativen Lösungen (vgl. im Detail Riehl 2014, 55–61). Zudem ist eine frühe Mehrsprachigkeit eine gute Basis für das Lernen weiterer Sprachen. Im Übrigen gelten diese Vorteile auch bei einer inneren Mehrsprachigkeit, also dem Beherrschen von mindestens zwei unterschiedlichen Sprachvarietäten. Es ist für Kinder somit ein Vorteil, wenn sie z.B. mit einem Dialekt und mit einer Standardsprache aufwachsen.
Innere Mehrsprachigkeit bedeutet das Beherrschen von zwei oder mehreren Varietäten einer Sprache. Beispielsweise ist nach diesem Konzept jemand mehrsprachig, der neben der Standardsprache z.B. Niederdeutsch spricht. Äußere Mehrsprachigkeit bedeutet das Beherrschen verschiedener, eigenständiger Normsprachen. Beispielsweise ist nach diesem Konzept jemand mehrsprachig, der Deutsch und Tschechisch spricht.
Prägnant wurde dies in einer neueren Publikation des Bayerischen Kultusministeriums folgendermaßen zusammengefasst:
Nach dem gegenwärtigen Stand der Spracherwerbsforschung spricht vieles dafür, dass eine mehrsprachige Erziehung (und dies trifft sowohl für die innere wie für die äußere Mehrsprachigkeit zu) die sprachliche, kognitive und soziale Entwicklung der Kinder positiv beeinflusst. Besonders von Vorteil ist das durch aktive Mehrsprachigkeit zwangsläufig ausgeprägte Sprachbewusstsein. In Hinblick auf das weiter zusammenwachsende Europa ist dieses Sprachbewusstsein […] eine wichtige Grundlage für die muttersprachliche Sprachkompetenz, aber auch für das Erlernen von Fremdsprachen (Hochholzer 2015, 85).
Greift man den Aspekt des sprachlichen Lernens heraus, ist es „vorwiegend das Vorhandensein eines zweiten Systems von Sprache […], das die Sprachaufmerksamkeit und die Entwicklung von Sprachbewusstheit anstößt“ (Oomen-Welke 1999, 17). Erwerben wir weitere Sprachen, werden wir auf die Besonderheiten einer Sprache aufmerksam. Das Kontrastieren bewirkt ein Aufmerksamwerden auf Unterschiedliches und Gemeinsames und kann somit die Entwicklung von Sprachbewusstheit und Sprachreflexion anbahnen. Dieses „Heben“ von Unterschieden zwischen Sprachen auf die individuelle Bewusstseinsebene kann für das weitere Erlernen von Sprachen genutzt werden, indem der Fokus z.B. auf sprachliche Strukturen, auf Besonderheiten in der Grammatik gelenkt und daran gearbeitet bzw. geübt wird. Erwirbt man z.B. Deutsch und Russisch, dann wird man bemerken, dass die eine Sprache mit, die andere ohne Artikel auskommt (selbst wenn eine entsprechende Benennungskompetenz in Bezug auf die Wortart noch gar nicht entwickelt ist).
Kanadische Forscher haben nachgewiesen, dass sich Mehrsprachigkeit sogar bei der Entstehung von Alzheimer-Erkrankungen und auf deren Symptome auswirkt: Mehrsprachige verfügen bei gleichem pathologischen Befund in Bezug auf Alzheimer über mehr kognitive Reserven als einsprachige Testpersonen (vgl. Schweizer et al. 2012). Die durch die Verarbeitung von zwei- oder mehreren Sprachen aufgebauten kognitiven „Reserven“ können helfen, die geistigen Fähigkeiten länger aufrechtzuerhalten.
Die Vorteile sowohl einer inneren als auch einer äußeren Mehrsprachigkeit werden inzwischen auch vermehrt in der didaktischen und linguistischen Forschung vertreten (z.B. Roche 2013). Nicht zuletzt waren diese beiden Konzepte wiederholt prüfungsrelevante Themen in den schriftlichen Staatsexamensprüfungen in Bayern. So lautete ein Prüfungsthema im Fach Didaktik Deutsch als Zweitsprache aus dem Jahr 2017 folgendermaßen:
Der Sprachvergleich ist eine wichtige Lern- und Vermittlungsstrategie für das Sprachenlernen. Begründen Sie dies und legen Sie unter Zugrundelegung der Unterscheidung zwischen äußerer und innerer Mehrsprachigkeit dar, welche didaktisch-methodischen Ansätze zum Sprachvergleich genutzt werden können! (Staatsexamen Didaktik Deutsch als Zweitsprache, Herbst 2017)
Die Themenstellung zum bayerischen Staatsexamen ist progressiv und modern. Man hat zweierlei erkannt: Die heutige Schülerschaft ist mehrsprachig geprägt. Auch wenn nicht jede Schülerin bzw. jeder Schüler in einer Klasse zweisprachig aufwächst, so ist er/sie durch mediale und persönliche Kommunikation damit regelmäßig konfrontiert. Ein Großteil der Schülerinnen und Schüler dürfte sowieso mindestens eine Zweisprachigkeit mitbringen. Nach Auskunft des statistischen Bundesamts hat ein Fünftel der Bevölkerung einen Migrationshintergrund und hält sich damit zumindest teilweise in einem mehrsprachigen Umfeld auf. Ähnliches gilt für Kinder und Jugendliche z.B. im ländlichen süddeutschen Raum, wo regionale Varietäten noch Alltagssprache sind. Eine Lehrerbildung, die wie bisher einseitig auf das „monolinguale Klassenzimmer“ (Kniffka & Siebert-Ott 2012, 26) ausgerichtet ist, geht an der Realität völlig vorbei und ist nicht mehr angemessen. Der „monolinguale Habitus der multilingualen Schule“ (Gogolin 2008), ja des ganzen deutschen Bildungswesens, ist überholt und inzwischen Teil der didaktischen Mottenkiste.
Im Zusammenhang mit dem gerade skizzierten Konzept von innerer und äußerer Mehrsprachigkeit ist auch der Ausdruck Bildungssprache zu thematisieren. Er ist die „Leitvokabel im aktuellen bildungspolitischen und pädagogischen Diskurs“ (Feilke 2012, 4). Im Gegensatz zu anderen Varietäten des Deutschen (z.B. Kölsch, Bairisch oder Kiezdeutsch) ist Bildungssprache nicht regional, sondern durch ein Inventar sprachlicher Mittel definiert, das überregional in spezifischen Verwendungskontexten (Bildungsinstitutionen Schule, Uni etc.) relevant ist. Die lexikalischen, syntaktischen, grammatikalischen etc. Erwartungen an dieses Register sind „kommunikativ auf vorwiegend schriftliche Situationen bezogen, auch wenn es zugleich medial mündlich in Gebrauch ist“ (Feilke 2012, 6). Da die Bildungssprache als Teil des Varietätenspektrums des Deutschen in ihrer sprachlichen Struktur bisher kaum systematisch und überzeugend beschrieben wurde, haben wir hierzu ein eigenes Kapitel integriert (vgl. Kapitel 05). Bildungssprache dürfte die Varietät darstellen, der bisher von sprachwissenschaftlicher Seite am wenigsten Aufmerksamkeit gewidmet wurde. Dies ist insofern sehr verwunderlich, ja problematisch, als der Ausdruck einen festen Platz im didaktischen und schulischen Bereich hat, gleichzeitig jedoch inhaltlich nicht ausreichend definiert ist.
Häufig wird Bildungssprache mit dem Konzept der Cognitive Academic Language Proficiency (CALP) nach Jim Cummins (2008) gleichgesetzt. Cummins führte dieses Konzept in die Zweitsprachdidaktik ein und grenzt es von den Basic Interpersonal Communicative Skills (BICS) ab. Die Deutsch als Zweitsprache-Didaktik sieht unter anderem in der Erreichung von CALP zurecht ein bedeutendes Lernziel. Genaueres zu BICS und CALP erfahren Sie in Kapitel 05.
2.3 Ein Stück vom „Kuchen“ abbekommen
Die kognitiven Grundfähigkeiten („Intelligenz“) spielen – von Störungen abgesehen – bei der Entwicklung kommunikativer Kompetenzen eine eher geringe Rolle (vgl. Jude 2008, 26). Entscheidend dafür, ob wir als kompetente Sprecher wahrgenommen werden, sind die Erwartungen an uns und wie wir ihnen gerecht werden. Seit den Forschungen des amerikanischen Linguisten Noam Chomsky unterscheidet man deshalb zwischen dem, was ein Subjekt (können) kann (Kompetenz), und dem tatsächlich gezeigten Verhalten (Performanz). Die Konsequenz daraus ist bis heute, dass Kompetenz selbst nicht messbar ist. Wir können nur auf sie schließen, z.B. durch Tests. Dieser nur indirekte Zugang zur Ermittlung von Kompetenz zeigt sich im Übrigen auch bei der Formulierung von Lernzielen, die Lernergebnisse (beobachtbare Produkte) beschreiben.
Überspitzt gesagt: Wenn ich nie spreche (Performanz), werde ich sicher nicht als kompetenter Sprecher wahrgenommen. Auch wenn ich vielleicht ein guter Sprecher wäre, also die entsprechende Kompetenz mitbringe. Die Sprachhandlungsfähigkeit erweist sich damit als wesentliches Ziel des Deutschunterrichts, sie soll über „die bloße Befähigung zur sprachlichen Bewältigung von Lebenssituationen“ (Budde et al. 2012, 47) hinausgehen. Schüler sollen beispielsweise nicht nur eine Breze oder eine Fahrkarte kaufen können, sondern sich auch mit der ästhetischen Qualität von Sprache auseinandersetzen, indem sie z.B. Gedichte daraufhin analysieren.
In der aktuellen Kompetenzdiskussion hat sich v.a. Weinerts allgemeine und fachübergreifende Definition als einflussreich erwiesen. Er definiert Kompetenz als
die bei Individuen verfügbaren oder durch sie erlernbaren kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten, um bestimmte Probleme zu lösen, sowie die damit verbundenen motivationalen, volitionalen und sozialen Bereitschaften und Fähigkeiten, um die Problemlösungen in variablen Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen zu können (Weinert 2001, 27; Herv. v. Verf.).
Versuchen wir Weinerts Definition zu sezieren: Vordergründig geht es zunächst einmal um das Problemlösen.