Silvia Natale

Informationsorganisation und makrostrukturelle Planung in Erzählungen


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in Erzählungen, also in komplexen Texten und nicht auf Äusserungsebene im Vordergrund steht, werden an dieser Stelle für die Informationsstruktur auf Äusserungsebene nur anhand eines Autors, nämlich Lambrecht (1994), grundlegende informationsstrukturelle Kategorien behandelt. Dabei handelt es nach Lambrecht um die Begrifflichkeiten:

       Präsupposition und Assertion

       Identifizierbarkeit und Aktivierung

       Topik und Fokus

      Für Lambrecht (1994: 6) sind die wichtigsten informationsstrukturellen Kategorien Präsupposition und Assertion, Identifizierbarkeit und Aktivierung sowie Topik und Fokus. Bei dem ersten Begriffspaar Präsupposition und Assertion geht es um die Strukturierung von Äusserungen durch den Sprecher in Bezug auf Elemente der Äusserung, die dem Hörer bekannt bzw. unbekannt sind.

      Die Präsupposition beschreibt die Annahme über bekanntes Wissen, während die Assertion neue Informationen übermittelt.

      PRAGMATIC PRESUPPOSITION: The set of propositions lexikogrammatically evoked in a sentence which the speakers assumes the hearer already knows or is ready to take for granted at the time the sentence is uttered.

      PRAGMATIC ASSERTION: The proposition expressed by a sentence which the hearer is expected to know or take for granted as the result of hearing the sentence uttered. (Lambrecht 1994: 52)

      Entscheidend ist, dass pragmatische Präsupposition und Assertionen mit grammatikalischen Mitteln kodiert werden. Lambrecht (1994: 53) verdeutlicht dies am folgenden Beispielsatz:

      I finally met the woman who moved in downstairs.

      Anhand des obigen Beispielsatzes zeigt Lambrecht auf, dass der Gebrauch des bestimmten Artikels auf folgende Annahme des Sprechers hindeutet: Der Hörer wird in der Lage sein, den Referenten der definiten Nominalphrase (= the woman) zu identifizieren. Diese Annahme oder Präsupposition beruht auf einem Wissenstand, den der Sprecher mit dem Hörer teilt; ein geteilter Wissenstand (»shared knowledge«) wird präsupponiert und wird mit Hilfe von lexikogrammatikalischen Mitteln zum Ausdruck gebracht (Lambrecht 1994: 53).

      In most cases, differences in pragmatic presupposition will correspond to differences in grammatical form. (Lambrecht 1994: 64)

      Am deutlichsten kann die Unterscheidung von Präsupposition und Assertion anhand von Spaltsätzen verdeutlicht werden:

      It is my keys that I lost. (Lambrecht 1994: 70)

      Die Präsupposition betrifft die Annahme, dass der Hörer weiss, dass ich etwas verloren habe. Die Assertion betrifft die für den Hörer neue Information, dass es sich bei dem verlorenen Gegenstand um meine Schlüssel handelt.6

      Eng verbunden mit den Begriffen Präsupposition und Assertion sind die Termini der Identifizierbarkeit (identificabilty) und der Aktivierung (activation) von Referenten, die präsupponiert oder assertiert werden. Lambrecht (1994: 77) führt aus, dass für in den Diskurs eingeführte Referenten eine Art Akte angelegt wird, die im Laufe der Konversation mit weiteren Informationen gefüllt wird und auf die Hörer zurückgreifen können.

      The creation of such a new discourse representation for the addressee can be compared to the establishment of a new referential ‚file’ in the discourse register, to which further elements of information may be added in the course of conversation and which can be reopened in discourse.

      Ob Referenten identifizierbar oder nicht identifizierbar sind, hängt damit zusammen, ob sie neu, »brand-new« in den Diskurs eingeführt worden sind oder bereits aktiv sind. Die kognitiven Dimensionen der Identifizierbarkeit und Aktivierung der Referenten gehen zurück auf Chafe (1987), der die »Zugänglichkeit« von Referenten im Hinblick auf den kognitiven Aufwand beschreibt, der zu ihrer Aktivierung führt. Lambrecht (1994: 165) beschreibt die Korrelation zwischen Identifizierbarkeit und Aktivierung mit einer Akzeptabilitätsskala (s. Abb. 8, S. 124), die er basierend auf den kognitiven Bemühungen für die Identifizierung von Referenten im Hinblick auf ihre Akzeptabilität beschreibt: Aktivierte Referenten weisen die höchste Akzeptabilität auf; nicht in den Diskurs verankerte, neue Referenten weisen die niedrigste Akzeptabilität auf.

      Eine weitere, zentrale Kategorie der Informationsinformation ist die Dichotomie Topik und Fokus, wobei dem Topikbegriff in der Forschungsliteratur am meisten Raum gewidmet ist. Lambrecht definiert ihn folgendermassen:

      A referent is interpreted as the topic of a preposition if in a given situation the proposition is construed as being about this referent, i.e., as expressing information which is relevant to and which increases the addressee’s knowledge of this referent. (Lambrecht 1994: 131)

      Chini (2010) fasst weitere Interpretationen von Topic zusammen, die in der Forschungsliteratur auf Satzebene zumeist angewandt werden:

       Topic im Sinne einer aboutness (Begriff eingeführt von Reinhart 1981), indem Topic das ausdrückt, worüber der Sprecher etwas sagt (vgl. Dik 1978, Molnar 1988).

       Topic im Sinne des ersten Elements eines Satzes (vgl. Halliday 1967).

       Topic im Sinne des grammatischen Subjekts bzw. einer bestimmten syntaktischen Funktion (vgl. Rizzi 1997).

       Topic im Sinne eines frames für die Verankerung einer Äusserung (Chafe 1976, Stark 1997).

      Da sich der Umgang mit dem Topikbegriff mitunter schwierig gestaltet, lehnt sich die vorliegende Arbeit an die Interpretation des Topikbegriffs an, wie er im Quaestio-Ansatz verwendet wird. Im folgenden Abschnitt wird dieser behandelt.

      3.3.2. Die Quaestio und die Topik- Fokusgliederung

      Entscheidend bei den Begrifflichkeiten Topik und Fokus, wie sie im Zusammenhang mit dem Quaestio-Ansatz verwendet werden ist, dass die Begriffe sich auf den Inhalt einer Äusserung beziehen und nicht auf einen sprachlichen Ausdruck, der gebraucht wird, um einen Inhalt auszudrücken.

      Die Begriffe Topik und Fokus, wie wir sie hier verwenden, beziehen sich auf die konzeptuelle Struktur, die einer Äusserung zu Grunde liegt, sie sind für die Ebene der Diskursrepäsentation definiert. Sie beziehen sich nicht auf die sprachlichen Formen, die die Diskursrepräsentation zum Ausdruck bringen. Man muss deshalb zwischen Topik und Topikausdruck und Fokus und Fokusausdruck unterscheiden. (von Stutterheim 1997: 36)

      Die Tatsache, dass hierbei von der sprachlichen Form abgesehen wird, vermeidet laut von Stutterheim (1997: 35) eine zirkuläre Definition, in der die Funktion eines Ausdrucks durch seine Form erklärt wird. Durchbrochen wird diese Handhabung durch eine Quaestio, die, wie oben erläutert, eine inhaltliche Vorgabe für den Text macht, indem eine bestimmte Situation in Verbindung mit einem bestimmten Referenzrahmen eingeführt wird, innerhalb dessen konzeptuelle Domänen wie Zeit, Raum und Prädikat zu besetzen sind. Die inhaltlichen Komponenten, die in der Antwort beibehalten werden (und somit auf gewisse Weise durch die Frage in irgendeiner Weise »bekannt« sind), bilden die Topikkomponente der Antwort. Gleichzeitig eröffnen diese Komponenten auch eine »Lücke«, die der Sprecher füllen muss, indem er explizite Angaben zu den unterschiedlichen konzeptuellen Domänen macht. Die »Füllung« dieser Lücke mit spezifizierten Angaben bildet die Fokuskomponente der Antwort und enthält »neue« Informationen.

      Bei der Frage »Wann seid ihr zuletzt nach Mailand gefahren?« werden konzeptuelle Domänen wie Raum (Mailand), Agens (derjenige der gefragt wird samt Anhang), Prädikat (fahren) und eine Zeitangabe (Menge aller möglichen Zeiträume, in den die Reise angetreten wurde) aufgerufen, die in der Antwort beibehalten werden. Diese bilden als Topik die Menge jener Elemente, die Alternativen für die Antwort eingrenzen. Es geht darum, WANN (Zeit) der Befragte nach MAILAND (Raum) GEFAHREN (Prädikat) ist, und NICHT wann er beispielsweise zuletzt in Rom Spaghetti gegessen hat. Die Topik setzt in diesem Sinne einen Rahmen (Stutterheim 1992), der beschränkend wirkt. Es wird in der Antwort auf eben jene konzeptuellen Domänen Bezug genommen, die jedoch noch weiter spezifiziert werden, beispielsweise