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Theater und Ethnologie


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      Theater und Ethnologie

      Beiträge zu einer produktiven Beziehung

      Natalie Bloch / Dieter Heimböckel

      A. Francke Verlag Tübingen

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      Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek

      Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb/dnb.de abrufbar.

      Umschlagabbildung: Clemens Concept & Design, Trier

      © 2016 • Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG

      Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen

      www.francke.de[email protected]

      Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

      E-Book-Produktion: pagina GmbH, Tübingen

      ePub-ISBN 978-3-7720-0012-0

      

      Vorwort

      Natalie Bloch, Dieter Heimböckel (Luxemburg)

      Mit dem Verhältnis von Theater und Ethnologie nimmt dieser Tagungsband ein vielschichtiges und komplexes Gefüge in den Blick, das in disziplinübergreifenden Beiträgen und in Hinblick auf das Gegenwartstheater untersucht wird. Dabei wird zum einen die Frage gestellt, inwieweit die Ethnologie theoretisch und analytisch zu einem erweiterten Verständnis aktueller Internationalisierungs- und Interkulturalitätsprozesse im zeitgenössischen Theater beizutragen vermag; zum anderen werden theatrale Arbeiten untersucht, die selber einen ethnologischen, d.h. verfremdenden, Blick auf das Eigene werfen. Denn das Theater des 21. Jahrhunderts weitet den Blick in die Welt: Verschiedenste Spielarten internationaler Koproduktionen und Theaterfestivals zeugen von einem Internationalisierungstrend, der im Zuge der Globalisierung alle gesellschaftlichen Bereiche erfasst. Mit dieser (veränderten) strukturellen Ausrichtung nehmen allerdings nicht nur interkulturelle Kulturkontakte zu, sie wirken sich auch auf den Produktionsprozess und die theatrale Ästhetik aus und rücken damit den Aspekt der Interkulturalität, wie die vorliegenden Beiträge dokumentieren, zusätzlich in den Fokus der Auseinandersetzung. In dieser Entwicklung ist jedoch nur unter Vorbehalt ein Fortschritt in Hinblick auf interkulturelle Verständigung oder Kompetenz zu sehen. So ist die Frage, wie Andere oder Fremde im Theater vorkommen, repräsentiert und damit interpretiert werden, von größter Brisanz und beinhaltet politische und ethische Dimensionen, wie beispielsweise die aktuelle Debatte um das Black-Facing oder die Kritik postkolonialer Theoretiker an einer unreflektierten Form des Interkulturalismus vorführen. Wie schon andernorts betont wurde, sind Fremdheitsdarstellungen jedoch auch „Bestandteil einer reziproken Beziehung“,1 die weit über die kulturelle Andersartigkeit hinausweist. Somit sind sie immer auch eine Darstellung des Eigenen, die sowohl ganze Nationen wie auch einzelne Subjekte für ihre Selbstvergewisserung benötigen. Das Ineinandergreifen von kulturellen, ästhetischen und ethnischen Aspekten in Theaterproduktionen mit einer interkulturellen Ausrichtung lässt insofern eine Verknüpfung von theaterwissenschaftlicher und ethnologischer Perspektive hinsichtlich der Untersuchung dieser Theaterformen sinnvoll erscheinen. Darüber hinaus ist die Erforschung interkultureller Phänomene im Theater mit ähnlichen Schwierigkeiten wie die Ethnologie konfrontiert, nämlich mit der Suche nach einem adäquaten Kulturbegriff, der für den Umgang mit dem Fremden grundlegend ist. Denn in Anbetracht der kulturellen Vielfalt und der Hybridität der Kulturen ist der klassische Dualismus von Eigenem und Fremdem kaum aufrechtzuerhalten. Dementsprechend hat man sich in der ethnologisch, kulturanthropologisch und postkolonial fundierten Kulturtheorie von einem ‚Containermodell‘ der Kultur verabschiedet – unter anderem mit der Konsequenz, dass die Beschäftigung mit dem, was als kulturell fremd gilt, nicht mehr unbedingt an einen fremden Ort gebunden ist, sondern bereits „vor der eigenen Haustür“2 beginnen kann.

      Die vorliegenden Beiträge diskutieren mit unterschiedlichen Ansätzen – wie den Postcolonial und Performance Studies, aber auch der Kulturanthropologie und soziologischen Theorien – interkulturelle Theaterproduktionen, Inszenierungen und -texte ebenso wie institutionelle und strukturelle Entwicklungen des Theaters und dokumentieren so aktuelle Forschungspositionen. Sie gehen insgesamt auf eine internationale Tagung zurück, die vom 26. bis zum 28. Juni 2014 an der Universität Luxemburg ausgerichtet wurde und dort Teil eines größeren Forschungsprojekts zum Thema Prozesse der Internationalisierung im Theater der Gegenwart ist. Zu danken ist in diesem Zusammenhang der Universität Luxemburg für die Förderung des Projekts und Christopher Balme dafür, dass er als Herausgeber von Forum Modernes Theater die Aufnahme dieses Bandes in die Reihe unterstützt hat.

      Esch-sur-Alzette, im Mai 2016

      

      Ethnologie – Theater – Interkulturalität

      Ein Ausblick zur Einführung

      Dieter Heimböckel (Luxemburg)

      Der Annäherungsprozess zwischen Theater und Ethnologie, der sich in den 1960er Jahren angebahnt hat, stand von vornherein unter Fragestellungen, die bis heute von interkultureller Relevanz sind. Das hat zum einen mit dem disziplinären Selbstverständnis der Ethnologie als einer Wissenschaft zu tun, die traditionell ihre Aufgabe im Studium der Unterschiede zwischen den Kulturen sieht, und ist zum anderen auf eine Theaterentwicklung zurückzuführen, bei der die Überschreitung kultureller Grenzen zur Erschließung neuer ästhetischer Erfahrungen und Ausdrucksmittel seinerzeit eine Art „Theaterrebellion“ in Gang gesetzt hat.1 Wer über Ethnologie und Theater in diesen Jahren sprach, sprach zwangsläufig auch immer, wenngleich nicht unbedingt explizit, über Interkulturalität.

      Angesichts der globalen Blickrichtung des Theaters seit dem ausgehenden 20. Jahrhundert verwundert es nicht, dass sich Theater und Ethnologie in der Zwischenzeit weiter einander angenähert haben. Die Bedeutung, die im Bereich der Theaterwissenschaft der Performance-Theorie und -Ästhetik in der jüngeren Vergangenheit beigemessen wurde,2 zeugt vielmehr von der Nachdrücklichkeit, mit der sie den Austausch mit der Ethnologie vollzogen hat. Der Reflexion über Interkulturalität ist dieser Austausch allerdings nicht unbedingt zugutegekommen. Woran das liegt, in welcher Form Ethnologie und Theater dieses Defizit befördert haben und inwieweit neuere Ansätze der Interkulturalitätsforschung zur (theoretischen) Fundierung der Grundlagen beider Felder und ihrer ‚Kooperation‘ beitragen können, soll im Zentrum der nachfolgenden Ausführungen stehen. Dabei entspricht es ihrem einführenden Charakter, dass sie den Zusammenhang von Ethnologie, Theater und Interkulturalität allenfalls kursorisch in den Blick nehmen. Sie sollen einerseits als eine Art begrifflich-heuristischer Referenzrahmen für die in dem vorliegenden Band versammelten Beiträge dienen, andererseits aber auch weitere Denkanstöße zur Komplexitätserweiterung der Interkulturalitätsforschung vermitteln.3

      1. Interkulturalität (und Theater)

      Im öffentlichen wie im wissenschaftlichen Diskurs hat sich die Rede über Interkulturalität als eine zentrale Größe der Auseinandersetzung mit Themen, Problemen und Phänomenen, die sich aus dem Zusammentreffen und der Interaktion unterschiedlicher Kulturen ergeben, mittlerweile fest etabliert. Es wird sogar behauptet, wir lebten im „Zeitalter der Interkulturalität“.1 Vielleicht müsste man eher sagen, unser Zeitalter sei so interkulturell wie nie, denn anders als interkulturell lässt sich die Geschichte der Menschheit wohl nicht vorstellen.

      Was passiert aber eigentlich im Theater, wenn es sich für Interkulturalität interessiert?