Группа авторов

Theater und Ethnologie


Скачать книгу

am Performativen“.4 Das Bedingungsverhältnis, in dem Theater und Ethnologie stehen, wird sinnfällig in der Zusammenarbeit zwischen Richard Schechner, Clifford Geertz und Victor Turner in den 1970er und 80er Jahren einerseits und angesichts der Wirkung, die Turners Ritualtheorie auf die Theaterwissenschaft in den 1990er Jahren ausgeübt hat, andererseits. „Whether practitioners and scholars of either discipline like it or not, there are points of contact between anthropology and theatre; and there are likely to be more coming”, so Schechners einführende Prognose in seiner Abhandlung Between Theater and Anthropology.5 Gerade Schechner ist es auch, der nach eigener Aussage Anfang/Mitte der 1970er Jahre damit beginnt, den Begriff der Interkulturalität – er spricht ursprünglich von „interculturalism“ zur Abgrenzung von Phänomenen des „internationalism“ – in die theoretische Diskussion einzuführen,6 wobei er damit neben seinen eigenen Projekten vor allem Arbeiten von Peter Brook, Jerzy Grotowski und Eugenio Barba in Zusammenhang bringt. An diesen Arbeiten ließe sich exemplifizieren, was interkulturelles Theater ist bzw. sein könnte. Doch das ist nicht die Aufgabe meines einführenden Ausblicks, noch will ich in dieser Hinsicht den nachfolgenden Beiträgen vorausgreifen. Wenn es aber um das Verhältnis von Ethnologie und Theater geht, kann die Interkulturalitätsforschung bzw. können interkulturell avancierte Perspektivierungen die Funktion haben, zu einer theoretischen und tendenziell auch analytischen Flankierung dieses Verhältnisses beizutragen. Ebenso können umgekehrt Ethnologie, Theateranthropologie und das Theater selbst als Ort inszenierender und inszenierter Interkulturalität auf das Verständnis von Interkulturalität verändernd und erweiternd einwirken. Grotowski, Brook, Barba, Turner und Turnball haben nach Schechner auf eine Weise zusammengearbeitet, die interkulturell und interdisziplinär zu nennen ist.7 Wer sich für die Beziehung von Ethnologie und Theater interessiert oder sogar einen Beitrag zur Ethnologie des Theaters leisten will, kann hinter dieser Position nicht mehr zurück.8. Sie bildet vielmehr die Grundlage, von der aus es erst zu Weiterungen, Korrekturen oder Verschiebungen in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit diesem Thema kommen kann.

      

      Dichte Aufführungen

      Zur Ethnologie des postdramatischen Theaters

      Christopher Balme (München)

      Der Titel meines Beitrags bezieht sich auf eine der wohl einflussreichsten ethnologischen Publikationen der vergangenen vierzig Jahre, Clifford Geertz’ Einleitung zu seiner Aufsatzsammlung, „The Interpretation of Cultures“, sowie den darin enthaltenen Essay über den balinesischen Hahnenkampf: „Deep Play: Notes on the Balinese Cock Fight“. Diese Aufsätze können gleichsam als Gründungsdokumente der Theaterethnologie betrachtet werden. Der dort entfaltete Begriff der „dichten Beschreibung“ entwickelt eine Methode, die anstelle teleologisch ausgerichteter funktionalistischer Erklärungsmodelle eine hermeneutische Interpretation privilegiert. „Dichte Beschreibung“ kann auch als Aufführungsanalyse für Ethnologen bzw. für ethnologisch ausgerichtete Theater- oder Performance-Wissenschaftler bezeichnet werden. Geertz notiert:

      Das Ziel dabei ist es, aus einzelnen, aber sehr dichten Tatsachen weitreichende Schlussfolgerungen zu ziehen und vermöge einer präzisen Charakterisierung dieser Tatsachen in ihrem jeweiligen Kontext zu generellen Einschätzungen der Rolle der Kultur im Gefüge des kollektiven Lebens zu gelangen.1

      Geertz’ Verwendung einer Dramen- und Theatermetaphorik zur Untersuchung gesellschaftlicher Phänomene verlieh dem Text einen paradigmatischen Status innerhalb der Performance Studies, die sich in der von Richard Schechner vorgegebenen Ausrichtung eher als Sozial- denn als Geisteswissenschaft verstand.2

      Während Geertz und vor ihm Milton Singer, ein Mitbegründer der so genannten ‚interpretativen‘ Ethnologie, noch dem Konzept des Textes verhaftet blieben, wählte der Ethnologe Victor Turner einen anderen Weg: Sein Konzept des sozialen Dramas sowie seine Studien zum Ritual bereiteten den Boden für die Performance Studies und verstärkten die Bande zwischen Ethnologie und der neuen Disziplin nachhaltig. Dwight Conquergood, ein in den Performance Studies arbeitender Ethnologe, bezeichnet Turner sogar als den „undisputed founding father“ der performativen Wende innerhalb der Ethnologie. Im Zeichen dieser Wissenschaftsgenealogie wird Geertz lediglich die Rolle des „influential in-law“ zugebilligt, „having married into the ‚culture as performance‘ family from the powerful ‚culture as text‘ clan.“3 Natürlich gibt es signifikante Differenzen, die auch den grundlegenden Unterschied zwischen Kunst- und Sozialwissenschaft markieren: Beim Hahnenkampf geht es im Gegensatz zur Kunst schließlich um etwas: für die Hähne um ihr Leben, für die menschlichen Teilnehmer um ihr Geld, wie die komplexe Beschreibung des Wettsystems deutlich macht.

      Ob Hahnenkampf, Hochzeit oder hinduistisches Ritual: Dichte Beschreibungen gehen von einem örtlich und kulturell klar definierten, geradezu ‚umhegten‘ performativen Phänomen aus, um es dann in eine semantische Beziehung zu dem es bestimmenden Kulturgefüge zu setzen. Es gilt – wenn man es so will – das Prinzip der raumzeitlichen Kontiguität. In diesem engen Geflecht besteht auch die Affinität zur theaterwissenschaftlichen Aufführungsanalyse, die von einer Kopräsenz von Zuschauern und Darstellern ausgeht. Der Hahnenkampf-Essay von Geertz erschien Anfang der 1970er Jahre, Milton Singers Arbeiten über Cultural Performance ein Jahrzehnt früher,4 Victor Turners einschlägige Arbeiten in den 1970er und 1980er Jahren.5

      Wenn wir heute die Beziehung zwischen Theater und Ethnologie betrachten wollen, müssen wir selbstredend an die aktuellen Ansätze der Ethnologie anknüpfen. Dem Thema der Tagung folgend, geht es darum, eine theaterfremde Wissenschaft, die Ethnologie, auf den Gegenstand ‚Theater‘, vor allem auf die interkulturell bzw. global erweiterten Spielformen von Theater zu applizieren. Meine Überlegungen hierzu gehen von drei ‚Wenden‘ innerhalb der Ethnologie aus, die das frühere Modell, wenn nicht in Frage stellen, so doch methodologisch und epistemologisch neu konturieren.

      Die erste Wende heißt ‚multi-sited ethnography‘ und steht vor allem mit einem Aufsatz von George Marcus aus dem Jahr 1995 in Verbindung: „Ethnography in/of the World system: The Emergence of Multi-Sited Ethnography“. Anstelle einer Perspektive, die sich einem einzigen Ort widmet – „intensively-focused-upon single site of ethnographic observation and participation“ – tritt ein Fokus auf multiple, oft geographisch entfernte Lokalitäten, die mit einander in Verbindung stehen.6 Der von Marcus als „world system“ betitelte Begriff signalisierte eine Auseinandersetzung mit Globalisierung und dem Befund, dass die Kulturen, für die sich die Ethnologie üblicherweise interessiert, nicht mehr dort sind, wo sie hätten sein sollen bzw. manchmal dort sind, aber auch woanders. Der Dorfbewohner aus Kerala ist ein Gutteil des Jahres in den Golf-Staaten als Wanderarbeiter unterwegs, der junge Samoaner versucht sein Glück als Rugby-Spieler in Japan. Mit anderen Worten fordert Marcus, die Ethnologie müsse methodisch und theoretisch auf die von Arjun Appadurai Anfang der 1990er Jahre beschriebenen „five dimensions of global cultural flow (…) ethno-, media-, finance-, techno- und ideocapes“ reagieren:

      These landscapes thus are the building blocks of what (extending Benedict Anderson) I would like to call imagined worlds, that is, the multiple worlds which are constituted by the historically situated imaginations of persons and groups spread around the globe.7

      Die multiplen Welten der kulturellen Globalisierung stellen die Ethnographie vor besondere Herausforderungen angesichts deren „committed localism“: „Ethnography is predicated upon attention to the everyday, an intimate knowledge of face-to-face communities and groups.“8 Der Fokus auf das Lokale verbindet die Ethnologie mit der Theaterwissenschaft, die ebenfalls einem ‚committed localism‘ verpflichtet ist, und zwar in Form von ‚face-to-face-communication‘ und Gemeinschaftsbildung, die beispielsweise Erika Fischer-Lichte in ihrer Ästhetik des Performativen9 vielfach beschrieben hat.

      Wie soll sich aber die Theaterwissenschaft neu positionieren, wenn auch im Theater die gleichen Bedingungen der multi-sitedness vorherrschen wie von Marcus beschrieben?

      Multi-sited research is designed around chains, paths, threads, conjunctions, or juxtapositions of locations in which the ethnographer establishes some form of literal, physical presence, with an explicit, posited