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Theater und Ethnologie


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kann als Fazit gezogen werden, dass Hunger for Trade neuartige Kooperations- und Arbeitsprozesse erprobte, die einerseits ethnologische Forschung und theaterkünstlerische Arbeitsmethoden eng aufeinander bezogen und sich andererseits der Herausforderung ortsverteilter Theaterproduktion stellte.

      Fazit: zur Konvergenz von Theater und Ethnologie

      Ethnologische Weltaneignung im Theater bedeutet eine Verschiebung von der „Verrätselung der Welt durch die Kunst“, um mit Adorno zu sprechen, hin zu einer Enträtselung und Deutung der Welt und ihrer Zusammenhänge. Dies bedeutet auch eine Neuordnung des Theaterrahmens im Sinne Erving Goffmans. Was wir von Theater erwarten, verändert sich offensichtlich. Am Ende des Hahnenkampf-Aufsatzes zitiert Clifford Geertz den Literaturwissenschaftler Northrope Frye: „Niemand ginge in eine Vorstellung von Macbeth, um etwas über die Geschichte Schottlands zu erfahren; man will erfahren, wie sich ein Mann fühlt, der ein Königreich gewonnen, aber seine Seele verloren hat.“ Geertz fährt selber fort:

      So schafft [der Hahnenkampf] etwas, das man vielleicht […] ein paradigmatisches menschliches Ereignis nennen könnte, denn es sagt nicht so sehr, was geschieht, sondern eher, was in etwa geschehen würde, wenn das Leben – was ja nicht der Fall ist – Kunst wäre und so uneingeschränkt wie bei Macbeth und David Copperfield von Gefühlen bestimmt sein könnte.1

      Bei allen Konditionalsätzen und Theatermetaphern nimmt Geertz doch eine kategoriale Unterscheidung zwischen Theater und Hahnenkampf und somit zwischen Literatur- bzw. Theaterwissenschaft und Ethnologie vor. Heute aber, im Zeitalter des postdramatischen Theaters, ist es nicht mehr so gesichert, ob man in eine Theatervorstellung geht und nichts über die Kultur Westafrikas, die Arbeitsbedingungen der Callcenter-Angestellten in Kalkutta, die Müllarbeiter in Istanbul oder die globalen Verflechtungen des Lebensmittelmarktes erfahren will. Bei den heutigen dichten Aufführungen heißt es: Wissenserwerb wahrscheinlich, aber ästhetische Erfahrung ohne Gewähr.

      

       C’est du Chinois

      Theater für Experten des Nicht-Verstehens

      Bart Philipsen (Leuven)

      Das Forschungsthema ‚Theater und Ethnologie‘ mag auf den ersten Blick andere Schwerpunkte nahelegen, als den des sprachlich Fremden im geläufigen Sinne. Die Frage der Anderssprachigkeit und die damit zusammenhängenden Verständigungs- und Übertragungsprobleme in internationalen bzw. interkulturellen Theateraufführungen werden in heutigen Produktionen längst mittels eingeblendeten Übertiteln gelöst (oder übersprungen). Die exemplarischen Überschneidungen zwischen ethnologisch-anthropologischen, soziologischen und theaterwissenschaftlichen Interessen situieren sich vor allem seit den grundlegenden Arbeiten von Victor Turner und Richard Schechner in erster Linie im Bereich des kulturell Performativen, wobei sowohl nach der Theatralität und Dramatik bestimmter kultureller Praktiken und Prozesse gefragt als auch auf das Potential zur ästhetischen (und kritischen) Reflexion solcher ‚cultural performances‘ in künstlerischen Praktiken, im Besonderen im Bereich des Theaters, fokussiert wird.1 Das Interesse für ethnologisch-anthropologische Fragestellungen hat in den Theaterpraktiken sowie in der Theaterwissenschaft, vor allem in den USA und Europa, ebenfalls zu einer zunehmenden Aufmerksamkeit für einerseits nicht-europäische Theateraufführungen und Praktiken und andererseits nicht-dramatische und durchaus zeremonielle bzw. kultisch-rituelle Aspekte vormoderner europäischer Aufführungstraditionen geführt. Die Verschiebung des Interesses zum kulturell Fremden sowie zum Rituellen ging und geht nicht selten mit einer Kritik am ‚abendländischen‘ Diskurs-primat einher, einer Infragestellung der westlichen Tradition psychologisch gesteuerten Texttheaters, insbesondere des modernen Dramas (Szondi), dessen Handlung ganz von dialogisierenden Personae, das heißt also: exklusiv durch verkörperte Sprechakte durchgeführt wird.2 Diese Tendenz zu nicht-dramatischen bzw. nicht-diskursiven Theaterpraktiken könnte allerdings auch als Folge des Interesses an fremdsprachigen Theaterformen oder kulturellen Performances betrachtet werden; ist das Verstehen in solchen Fällen doch überwiegend auf eine andere als linguistische, d.h. eher auf eine materielle, sinnliche oder körperliche Zeichensprache angewiesen. Die Kritik am Text- bzw. Diskursprimat der westlichen Theatertradition und die Verlagerung des Fokus auf nicht-semantische, körper- oder dingbetonte Zeichensprachen droht freilich auch eine althergebrachte kolonialistische (ggf. orientalistische oder exotistische) Repräsentationslogik zu bestätigen, auch wenn augenscheinlich nur materielle performative Praktiken betont werden.3 Die einseitige Aufwertung von Musikalität (oder sprachlicher Materialität), Sinnlichkeit und Ritualismus in nicht-europäischen oder nicht-angloamerikanischen Aufführungen, und die spiegelverkehrte Abwertung abendländischer Diskursivität setzen eine durchaus problematische Dichotomisierung fort, die den Fremden nur um den Preis der Sprachlosigkeit bzw. der stummen Körperlichkeit und der grundsätzlichen Unverständlichkeit als den absolut Anderen zu schätzen droht. Dabei verliert man vielleicht aus dem Auge, dass der westlichen Denk- und Wahrnehmungsmustern und diskursiven Modellen öfters zur Last gelegte ‚Logozentrismus‘ in der sich globalisierenden Welt wohl kein exklusiv europäisch-angloamerikanisches ‚Übel‘ mehr ist; überall sind diskursive Mechanismen der Vereinheitlichung, Reduktion, Ein- und Ausschließung sowie der dichotomisierenden Logik wirksam, um kulturelle und linguistische Differenzen entweder zum Zweck weiterer Globalisierung homogenisierenden Strategien zu unterziehen oder (und zugleich) zu bestimmten (sogar marktwirtschaftlichen) Zwecken einer durchaus nationalistischen Identitätspolitik zu unterwerfen. Sprach- und Diskurspolitik und die durch diese eingesetzten performativen Strategien sind wohl wesentliche Instrumente solcher Identität und Homogenität produzierenden Mechanismen, und genuine kulturelle Differenzerfahrungen werden nicht zuletzt solchen Gegenstrategien abgewonnen werden müssen, die eine homogenisierende diskursiv-semantische Logik unterminieren und pervertieren.

      Aus diesem Grund wird längst keiner mehr bestreiten, dass Sprachlichkeit als solche – d.h. linguistische Diskursivität – inzwischen einen nicht unbedeutenden Faktor in der Debatte über Theater und Ethnologie, eben auch im oben erwähnten erweiterten Sinne des Interkulturellen, darstellen kann. Das dürfte mit einem verschärften Bewusstsein der in vielen großstädtischen Räumen anwesenden kulturellen Vielfalt oder ‚Multikulturalität‘ zusammenhängen, durch die alte binäre und dichotomische Kategorien und diskursive Strategien des Eigenen und des Fremden schwer unter Druck geraten sind und kulturelle sowie auch sprachliche Hybridität keine Ausnahme mehr bilden. Die Erfahrung kultureller Differenz hat nicht nur zu einer verfeinerten und differenzierteren Semantik von Alterität und Differenz jenseits von und manchmal quer zu den alten Grenzziehungen des Eigenen und des Fremden geführt, sondern die reflektierte Sprachlichkeit der produzierten Repräsentationen kultureller Differenz überschneidet sich auch mit der realen Wahrnehmung einer Multilingualität, die Konzepte wie Muttersprache und Fremdsprache und die in ihnen wirksamen Kräfte der Zuordnung und Zugehörigkeit in Frage stellt.4

      Die mit der Hürde der Fremdsprachen bzw. der Anders- und Vielsprachigkeit verbundenen Schwierigkeiten lassen sich kaum von der Problematik der Übersetzung trennen. So wie ethnologisch-anthropologische Fragestellungen den Kultur- und Geisteswissenschaften neue Impulse gegeben haben und Performativitäts- und Theatralitätskonzepte paradigmatisch für andere kulturelle Forschungsobjekte geworden sind,5 so lässt sich auch der aktuelle Erfolg der Übersetzungswissenschaft in den Geisteswissenschaften verstehen. Nicht nur ist sie seit einiger Zeit als eine akademisch (und theoretisch) salonfähige Forschungsdisziplin sowohl in literaturwissenschaftlichen bzw. theoretischen und hermeneutischen als auch in kulturwissenschaftlichen Debatten, etwa über Prozesse kulturellen Transfers, ausdrücklich anwesend; so ausdrücklich, dass man von einem translational turn6 in den Kulturwissenschaften spricht; die Sensibilität für Sprachdifferenz und Sprachlosigkeit in der Theoriebildung (und selbstverständlich auch der Praxis) der Übersetzungswissenschaft bedeutet auch für die Philologie eine Herausforderung und eine Möglichkeit, sowohl ihren Gegenstand als auch ihren Auftrag grundsätzlich neu zu überdenken. Denn die Einsicht in die unaufhebbare Differenz zwischen der unaufhaltsamen und kaum einzugrenzenden Dynamik des Sprechens und den homogenisierenden Standards der (National-)Sprache(n) (langue), die Einsprachigkeit als kulturpolitisches