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Theater und Ethnologie


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dazu, dass jede Art von Sprach-Wissenschaft sich mit einem Objekt konfrontiert sieht, das den es konstituierenden Beschreibungs- und Zuweisungsstrategien Widerstand leistet und sich ihnen als festumrissenes Wissensobjekt letztendlich entzieht. Die Infragestellung der dichotomischen Logik des Eigenen und des Fremden, die mittlerweile jeder zeitgenössischen wissenschaftlich fundierten ethnologischen Perspektive zugrunde liegen muss, wird wohl nirgendwo konkreter als in Übersetzungspraktiken, wobei literarische Übersetzungen wegen der erhöhten Sensibilität fürs Sprachliche als exemplarisch gelten können. Aber der wichtigste Ertrag dieser Entwicklung dürfte die Erfahrung jener sich in jeder vermeintlich ‚einsprachigen‘ Sprache (d.h. in jeder sich als eine einheitliche Nationalsprache präsentierenden Sprache) unverfügbar machenden bloßen Sprachlichkeit sein, die sich nicht semantisch auflösen lässt und weder in Übersetzungsprozessen noch in irgendwelchen Erklärungsprozessen innerhalb einer Sprache zu ‚klären‘ ist: die „Fremdsprache des bloßen Sprechens“, so Werner Hamacher in dem Aufsatz „Kontraduktionen“, ist wie die Sprache eines „inneren Ausland[s] […], in dem keine politische und keine nationalsprachliche Autorität gilt“.7 Diese Sprachlichkeit ist kein idiomatischer Kern, sondern eher der niemals zu verrechnende Rest, der übrigbleibt, wenn linguistische und hermeneutische Kategorien und Operationen an ihre Grenzen stoßen – ein Eigentümliches, das paradoxerweise keinem Sprecher und keiner spezifischen Sprache als identifizierbare Eigenschaft oder idiomatische Substanz gehört, da es sich – um Novalis’ berühmtes Diktum zu zitieren – „nur um sich selbst kümmert“ und die Absichten und Strategien des wollenden und (gut) meinenden Subjekts sowie der sprachpolitischen Grenzziehungen unterläuft.8 Es könnte am ehesten noch mit Hilfe von Walter Benjamins Begriff ‚Mitteilbarkeit‘ erhellt werden, mit dem ebenfalls auf ein performatives Mitteilen gezielt wird, das nichts Spezifisches mitteilt oder meint bzw. keinen kommunikativen Inhalt, sondern nur unmittelbar die Sprache als Medium vermittelt (oder dazu einlädt, sie miteinander zu teilen). Die Analogie bringt auch die messianische Tendenz von Benjamins Werk ins Spiel. Deren profanere Bedeutung liegt nicht zuletzt in einem impliziten Versprechen, dass die Bereitschaft, sich dem Anderen zu eröffnen, ohne ihn unbedingt verstehen zu wollen oder von ihm verstanden werden zu wollen – Letzteres wäre noch einmal der gute Wille des Verstehens, der den/die Anderen der Bestimmung einer wollenden Subjektivität unterwirft –, zu einer Begegnung im ‚unmittelbaren‘ Medium der Sprache führen kann.9

      Sind wir damit vom ursprünglichen Schwerpunkt ‚Theater und Ethnologie‘ ins (zu) weite Feld des Philologischen, Literarischen und (Sprach-)Philosophischen abgedriftet, d.h. in ein Feld, von dem das Theater im zeitgenössischen Sinne, als performative oder aufführungsorientierte künstlerische Praxis, sich vor allem seit der sogenannten postdramatischen Wende hat emanzipieren müssen? Wohl kaum, denn das prekäre Moment des Durchquerens von Sprachlichkeit oder Mitteilbarkeit bzw. ‚Unmittelbarkeit‘ eines Verstehens, das zwar versprochen bleibt, aber keine sichere Auskunft – weder Gelingen noch Scheitern – versprechen kann, betrifft ebenfalls einen wesentlichen Aspekt und eine Möglichkeit des interkulturellen Theaters. Es handelt sich um die Aufgabe, sprachlich bedingte Verstehens- und Verständigungsprozesse samt Missverständnissen durchzuspielen und einen Raum der Begegnung jenseits eines vom ‚guten Willen des Verstehens‘ bestimmten Diskurses zu eröffnen. Der von ethnologischen, anthropologischen und soziologischen Impulsen ausgelöste performative turn in den Kulturwissenschaften und dessen Fruchtbarkeit für theaterwissenschaftliche Theoriebildung und Aufführungsanalyse mögen die sprachphilosophische oder -pragmatische Performativität am Anfang überblendet haben; aktuelle Theatertheorien und Analysemodelle bedienen sich mittlerweile jedoch längst eines hybriden Performativitätskonzepts, in dem sich linguistisch-rhetorische und aufführungsanalytische Ansätze ergänzen.10 Das gilt besonders für solche Performances, in denen die Beziehungen zwischen Sprechakten und deren Verkörperungen hervortreten, Sprechakte also als Handlungen oder Ereignisse oder „unselbstverständliche“ Vorgänge aufgeführt werden, welche die vermeintlich evidente, quasi-natürliche semiotische Beziehung zwischen Sprechendem und Sprache, Körper und Wort in Frage stellen.11 Eine besondere, für das Thema des interkulturellen Theaters als ‚Theater der Anderen‘ sehr relevante Zuspitzung dieser Sprach-Ereignishaftigkeit liegt dann vor, wenn die Fremd- oder Anderssprachigkeit selber reflektiert, die mit ihr verbundene Problematik der Sprach- und/als Kulturzugehörigkeit thematisiert und die Kommunikations- und Verständigungsproblematik mit dem Publikum geteilt und als Moment der Aufführung mitinszeniert wird. Die Inszenierung des Sich-Verständigens als eines performativen Ereignisses ist nur die theatralisierte Vorführung bzw. performance von auch im Realen sich in bestimmten dramatisch-theatralischen Rahmen und nach einschlägigen (Spiel-)Regeln vollziehenden Sprechakten. Sie ermöglicht es allerdings, einen ‚schrägen‘ Blick auf die Performativität des täglichen Verstehens zu werfen und dessen Nicht-Evidenz zu reflektieren.

      Edit Kaldor

      Die Beziehungen zwischen Performativität in dem oben skizzierten, komplexen Sinne und einem (inter-)kulturellen Verstehen sollen im Folgenden am Beispiel der ungarisch-belgischen Theatermacherin Edit Kaldor dargelegt werden.1 Edit Kaldor wurde 1968 in Budapest geboren und emigrierte als Kind mit ihrer Mutter in die Vereinigten Staaten, nachdem sie zuerst ein halbes Jahr in einem österreichischen Flüchtlingslager verbracht hatte. Sie studierte an der Columbia Universität in New York, am University College in London und am DasArts in Amsterdam und arbeitete mehrere Jahre als Dramaturgin und Videokünstlerin für und mit Peter Halasz (Squat theater/Love theater New York), bevor sie mit eigenen Theaterarbeiten bekannt wurde. Ihr Leben und Werk spielen sich zurzeit zwischen Brüssel und Amsterdam ab. In ihren manchmal multimedialen und interdisziplinären Theaterproduktionen, die sehr oft die Grenzen zwischen Fiktivem und Faktischem abtasten und mit dem Genre des Dokumentartheaters spielen, ist immer wieder die Problematik der Kommunikation und des Verstehens zentral, wobei Kaldor selbstverständlich hin und wieder aus ihrer autobiographischen Erfahrung als politischer Flüchtling und Immigrantin schöpft. Und zu dieser Erfahrung gehört nicht zuletzt die Anders- und Fremdsprachigkeit, mit der sie in den verschiedenen kulturellen und sprachlichen Kontexten, in denen sich ihr Leben und ihre Bildung vollzogen haben, konfrontiert worden ist. Leitmotivisch kehrt in Interviews ihre komplizierte Beziehung zur (Mutter-)Sprache zurück; diese wird nicht nur auf die Tatsache zurückgeführt, dass sie so oft in ihrem Leben den sprachlich-kulturellen Kontext gewechselt habe, sondern ganz besonders auch darauf, dass sie, da sie mit dreizehn schon die Heimat verlassen habe, sich in keiner Sprache, auch nicht in der Muttersprache, zuhause oder sicher fühle und keine der von ihr benutzten Sprachen wirklich beherrsche.2

      Das nicht-evidente Verhältnis zwischen Sprechen, Kommunizieren und Verstehen sowie die damit (d.h. mit Sprache(n), Fremdwörtern usw.) verknüpften und daraus resultierenden affektiven Aspekte bilden einen roten Faden in Edit Kaldors Theaterproduktionen. Mit ‚nicht-evident‘ ist freilich nicht nur das negative Moment der Kritik rational fundierter Kommunikations- oder aber ‚pfingstlicher‘ Verständigungsideale gemeint; Kaldors Theater lotet vor allem den Raum nicht unbedingt auf rigiden Erkenntnisidealen basierender Verständigungsmöglichkeiten zwischen sturer Skepsis und allzu hoch angesetzten Erwartungen aus. Sie hat sich gewissermaßen zu einer Expertin in den hermeneutischen Möglichkeiten eines Nicht-so-richtig-Verstehens entwickelt.

      Ihre theatralischen Narrative übersteigen allerdings die sozial-politische Thematik der Emigration und inszenieren Kommunikations- und Verständigungsformen, -modi und -medien – Internet und soziale Medien sind öfters Motive in ihren Produktionen oder werden als reale Mittel (und nicht bloß als Requisiten) eingesetzt – um ethische und existentielle Fragestellungen und Erfahrungen wie Isolation, Unverständnis, Identitätskrisen, die Suche nach tragfähigen Lebens- und Beziehungsformen usw. anzuschneiden.3 Die Aufführungsformen, in denen solche Themen dargestellt werden, lassen sich am besten als theatralisierte künstlerische Forschungs- und Bildungsprozesse begreifen, in denen nicht nur interkulturelle, sondern auch intrakulturelle Fremdheits- oder Differenzerfahrungen erprobt werden und Evidentes durch Verunsicherungsstrategien ‚verfremdet‘ wird. Kaldor untersucht sehr gerne die komplexen Beziehungen zwischen Theater/Kunst und Wissen bzw. zwischen Wissen und Macht, sie führt Experimente vor und aus, die aber selten zu eindeutigen Erkenntnissen führen, sondern vielmehr die trügerischen Fallstricke und Aporien des Verstehen-Wollens des Anderen ‚exponieren‘.

      Das