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Fremdsprachenunterricht in Geschichte und Gegenwart


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im Französischunterricht vor der neusprachlichen Reformbewegung untersucht. Im Mittelpunkt des Beitrags steht der Musikeinsatz im Rahmen der neusprachlichen Reformbewegung. Die komplexe Anwendung des Liedeinsatzes durch Integration verschiedener Medien innerhalb der direkten Methode bildet den Abschluss dieses Artikels.

      Nach einem Aphorismus des deutschen Philosophen Odo Marquart „Zukunft braucht Herkunft”1 speist sich ein tiefgründiges Verständnis der Gegenwart, also des modernen Französischunterrichts, aus einer profunden Kenntnis und Analyse der historischen Zusammenhänge in ihrer diachronen Evolution. Deshalb soll abschließend mit dem vorliegenden Beitrag auch gezeigt werden, dass heute gängige, verbreitete Konzepte und Unterrichtsformen beim Einsatz von Musik im Französischunterricht keinesfalls Produkte des 21. Jahrhunderts sind, sondern sich bereits in Ansätzen in der über 500-jährigen Geschichte des Fremdsprachenunterrichts manifestieren (vgl. auch Kelly 1969).

      2 Frühe Formen des Musikeinsatzes im Französischunterricht

      2.1 Die Reformation und der Musikeinsatz im Französischunterricht

      Bereits bei Martin Luthers Bildungskonzeption spielt der Musikeinsatz im Unterricht eine zentrale Rolle: Das Singen der Schulchöre diente dem Lob Gottes, und dazu sollten alle Gläubigen angehalten werden, in ihrer Muttersprache mitzusingen. Luthers Bedeutung für das Kirchenlied mündet in die Rolle der Reformation als Singbewegung.1 Er dichtete 36 Kirchenlieder, bei mindestens 20 dieser Lieder stammen die Melodien sicher von ihm selbst. Viele Kirchenlieder von Luther greifen nach dem Prinzip der Kontrafaktur2 vorreformatorische deutsche Lieder, aber auch lateinische Gesänge der katholischen Kirche, wie Hymnen sowie Volks- und Gesellschaftslieder, auf. Hierbei wird das didaktische Konzept ‚Vom Eigenen zum Fremden‘3 angewendet. Da viele (vormals katholische) Choräle und Volkslieder bekannt waren und zum Allgemeingut gehörten, konnte Luther diese erfolgreich verbreiten und für den protestantischen Kirchenchoral nutzen. Ein bekanntes Beispiel ist das Kirchenlied Ein feste Burg ist unser Gott, dessen Text von Martin Luther zwischen 1527 und 1529 geschrieben wurde und bis heute zum Reformationstag in den evangelischen Gemeinden gesungen wird.4 Die Rezeption und musikalische Fortentwicklung des Lutherschen Reformationschorals ist für den zeitgenössischen Französischunterricht sehr interessant. Das Kirchenlied, das fester Bestandteil des evangelischen Gottesdienstes war, ist vermutlich auch zu Tischgebeten in den protestantischen Familien gesungen worden und wurde auch ins Französische übersetzt. Ein Beispiel dafür ist die Interlinearversion des Lutherchorals in einer zweisprachigen Ausgabe von Mömpelgard/Montbéliard 1618 mit dem Titel Gesangbüchlein/Teutsch und Frantzösisch nebeneinander gesetzt (Luther/Foillet 1618, 174 f.). Die Interlinearversion des Mömpelgarder Gesangsbüchleins ist sofern aufschlussreich, da es ein Zeugnis für die Zweisprachigkeit der Enklave ist.

      Eine interessante parallele Entwicklung stellt die Evolution der Sprach- und Kulturassimilation der Hugenotten in Preußen dar. Seit 1560 nannte man die Evangelischen reformierten Bekenntnisses huguenots.5 Mit dem Revokationsedikt von Fontainebleau 1685 durch Ludwig XIV. wurde das Edikt von Nantes aufgehoben und das reformierte Bekenntnis verboten. Dies löste einen Exodus der Glaubensflüchtlinge aus. Dabei kam die Aufnahme der Hugenotten in Preußen der „fürstlichen Einwanderungs-, Wirtschafts- und Peuplierungspolitik entgegen, die darauf gerichtet war, die Auswirkungen des Dreißigjährigen Krieges zu überwinden und das kulturelle und wirtschaftliche West-Ost-Gefälle in Europa auszugleichen“ (Kuhfuß 2014, 302). Kuhfuß (ebd.) schreibt, dass sich 1672 die ersten Hugenotten in Berlin niederließen; 1688 erhielten sie Versammlungsfreiheit in den Kirchen der Stadt und ab 1700 verfügten sie über eine eigene Kirche. Die Hugenottenprivilegien umfassten wirtschaftliche und kulturelle Vorrechte (ebd., 304). Das Französische wurde besonders gepflegt und zur offiziellen Sprache in den Domänen Kirche, Familie sowie Schule.

      Noch vor dem Aufbau eines Elementarschulwesens erhielten die Hugenotten mit dem Collège royal françois 1689 ein erstes eigenes Gymnasium, wobei der Unterricht auf Französisch stattfand (vgl. Roosen 2008, 190). Die weltoffene, frankophile Politik Friedrichs II. favorisierte französische reformierte Glaubensflüchtlinge als Lehrer und Erzieher (vgl. Kuhfuß 2014, 308).6 Der Psalm galt für die Reformierten als gesungenes Gebet und der Hugenottenpsalter als wichtiger Bestandteil hugenottischer Frömmigkeit. Die Psalmen wurden seit dem 16. Jahrhundert auch im Unterricht gesungen. Noch im Jahr 1783 hatte das Berliner Konsistorium im Bereich des Liedgutes und Psalmengesangs eine Neuauflage der vom hugenottischen Pastor Hauchecorne7 herausgegebenen Psalmensammlung beschlossen (vgl. Böhm 2010, 223).

      2.2 Grundlegende Reformideen der Dessauer Philanthropen und die Auswirkung auf den Musikeinsatz im Unterricht

      Hauchecorne spielt nicht nur eine wichtige Rolle als Theologe, sondern auch als Pädagoge und Erzieher. Er kann als einer der „umtriebigsten Pädagogen der französischen Kolonie“ bezeichnet werden (Böhm 2011, 304). Unter seinen Schülern soll auch Heinrich von Kleist gewesen sein (vgl. Hauchecorne 1820, 5 ff.). Seine Lehrbücher zeigen bereits realienkundliche Inhalte (vgl. dazu Kuhfuß 2014, 443), die später in Kerschensteiners Arbeitsschule und der Waldorfpädagogik Anwendung finden.

      Außerdem wird Hauchecornes Nähe zu den Philanthropen deutlich. Die Bewegung wurde von Johann Bernard Basedow initiiert, den Hauchecorne in Dessau persönlich kennen lernte. Basedow hatte dort 1774 das berühmte Philanthropin gegründet, eine „Werkstätte der Menschenfreundschaft“ (Reinfried 1992, 56). Es handelt sich um eine Versuchsschule mit Internat, deren Entwicklung von der an pädagogischen Reformen interessierten Öffentlichkeit verfolgt wurde. Nach Basedows Vorbild errichtete der Schulreformer Friedrich Eberhard von Rochow auf seinem Gut Reckhan eine Musterschule.

      Ein bisher noch wenig berücksichtigter Aspekt ist Rochows Wertschätzung des Singens als Teil der Elementarbildung. Auch die Mädchenbildung wurde gefördert. 1776, also zwei Jahre nach Eröffnung des Basedowschen Philantropins und von Hauchecornes Pensionatsschule erscheint von Rochows Kinderfreund (vgl. Rochow 1776). Schon im Titel wird die Rousseausche Konzeption des Autors deutlich. Hauchecorne überträgt das pädagogische Werk zusammen mit dem hugenottischen Pfarrer Samuel Henri Catel ins Französische. Es erscheint 1778 in Berlin in der französischen Kolonie bei Starcke unter dem Titel L’Ami des enfans à l’usage des écoles in zwei Bänden. Hauchecorne verweist darauf, dass Rochows Lehrbuch sowohl im Muttersprach- als auch Fremdsprachenunterricht angewendet werden kann. Deshalb empfiehlt er auch kontrastive intertextuelle und interkulturelle Vergleiche, bei denen sich die Schüler individuell korrigieren können. Der zweite Band enthält nachgestellte Unterrichtssequenzen mit Bezügen zu entsprechenden Bibelstellen. In einige Parabeln wurden Kirchenlieder eingebettet, bei denen komplexe soziale und moralisch-ethische Zusammenhänge kindgemäß nahegebracht werden sollen.

      2.3 Musikalische Elemente in Salons, Konversationszirkeln und Damenorden

      Das Französische wurde in Deutschland in der Mitte des 17. Jahrhunderts zur „mit großem Abstand wichtigsten neueren Fremdsprache – eine Position, die es zweieinhalb Jahrhunderte lang halten sollte“ (Reinfried 2016, 620). Die französische Sprache nahm eine wichtige Stellung als langue véhiculaire des europäischen Adels ein und fungierte am kursächsischen Hof in den zwanziger Jahren des 17. Jahrhunderts als lingua franca der Aristokratie.

      Koldau (2005, 297 f.) und Kuhfuß (2014, 90) berichten über frankophile Damenkränzchen am anhaltinischen Hof von Fürst Ludwig von Anhalt-Köthen. Am Hof wurde die Bildung in verschiedenen europäischen Sprachen durch französische Konversation und die Lektüre französischsprachiger Literatur gepflegt, wozu ‚Damenorden‘ gegründet wurden. Als Gegenentwurf zur männlich dominierten Fruchtbringenden Gesellschaft erfolgte am 21.10.1617 die Gegengründung der frankophilen Noble Académie des Loyales (Dünnhaupt 1983, 384 ff.) durch Fürstin Anna von Anhalt-Bernburg, die Schwägerin von Fürst Ludwig I. Es handelt sich um eine geheimgehaltene Gesellschaft, die exklusiv Frauen und Angehörigen von Adelsfamilien vorbehalten war. „Die adligen Damen sangen in gemeinsamer Runde auch gerne französische Lieder“, stellt Kuhfuß (2014, 90) fest.

      2.4 Musikeinsatz in Französischlehrwerken und Grammatiken für weibliche Lernende