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Fremdsprachenunterricht in Geschichte und Gegenwart


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Mädchen und Frauen lernten im 16. Jahrhundert meist Französisch und Italienisch. Sie beherrschten kein Latein, während die jungen Männer in Latein als erster Fremdsprache unterrichtet wurden (Kuhfuß 2014, 188). Das Zitat verweist auf zwei ausgebildete Hauptrichtungen des Fremdsprachenunterrichts, die von Marcus Reinfried (2016, 621) folgendermaßen beschrieben werden:

       Eine hauptsächlich vom traditionellen Lateinunterricht inspirierte deduktive Richtung (vgl. Streuber 1914: 20 ff.). Sie begann mit dem Auswendiglernen von (in Deutschland während des 17. Jhs. auch noch in vielen Grammatiken neuerer Sprachen lateinisch formulierten) Grammatikregeln und den dazu gehörigen zielsprachlichen Beispielsätzen. Zur Textlektüre kam es bei diesem Unterrichtsverfahren erst in einem fortgeschrittenen Stadium.

       Eine eher imitative Richtung, die keine zuvor erworbenen Lateinkenntnisse voraussetzte und entweder mit verschriftlichten Dialogen oder einfacheren zielsprachlichen Texten begann. [...] Diese Richtung setzte Grammatik im Anfangsunterricht nur sehr reduziert ein.

      In dieser imitativen, auf die Sprachpraxis hin orientierten Perspektive wurde eine Vielzahl von Lehrwerken speziell für Lateinunkundige konzipiert. Mit den Grammaires des Dames entstand damit ein neuartiges Genre von Lehrmaterialien (vgl. Beck-Busse 2014, 249). Der Stoff wird darin auf ,angenehme Weise‘, also ,unakademisch‘ vermittelt und eignet sich für das Selbststudium. Die Eigenschaften der utilitaristischen Verwendung des Lernstoffs und der Fokussierung auf die praktische, konkrete Anwendung und Realisierbarkeit des Lernziels für das nicht gelehrte, also lateinunkundige Publikum zeigen die Linie zur späteren Entwicklung der Realienbildung und der vor allem auf praktische Sprachfertigkeiten ausgerichteten Realschule auf. Die Grammaires des Dames sind also funktionale Gebrauchsgrammatiken (vgl. Polzin-Haumann 2001, 131 ff.).1 Die lernunterstützende Rolle der Musik im Grammatikunterricht wird illustriert auf der Frontispizseite2 von La Grammaire en vaudevilles, ou lettres à Caroline (Simmonin 1806, Abb. 1). Die hier beschriebene Szene bezieht sich auf Barthélémys Motto: „Il est agréable d’apprendre sa langue en chantant.“ (Barthélémy 1788, Préface, xi). Es werden drei junge Damen dargestellt, die anhand von Gesang die Grammatik wiederholen: in der Mitte des Bildes spielt eine junge Dame die Laute, rechts lehnt sich eine junge Dame mit verschränkten Armen an die Lautenspielerin und hört ihr andächtig zu, während die links gegenüber sitzende junge Dame die Hände wie eine Dirigentin im Takt der Melodie wiegt. Als Subtext steht unter der Abbildung: „Elles répètent leur grammaire en s’accompagnant de la guitare“ (ebd., Frontispiz). Diese Szene illustriert zwei interessante Aspekte zum Liedeinsatz: einerseits handelt es sich erstmalig um eine inhärente didaktische Funktion der Musik, andererseits wird mit dem Wiederholen und Nachahmen im Sinne der imitativen Richtung die zunehmende Bedeutung der Artikulation und Aussprache deutlich.

      3 Der Musikeinsatz im Französischunterricht im Rahmen der neusprachlichen Reformbewegung

      3.1 Viëtors Trompetenstoß und das Vordringen von Sprech- und Gesangstechniken im Rahmen der neusprachlichen Reformbewegung

      Der Einsatz von musischen Elementen im Französischunterricht wurde zu Beginn des 19. Jahrhunderts zugunsten der Grammatik-Übersetzungs-Methode weitgehend zurückgedrängt, wobei die zentrale Bedeutung der Grammatik durch die formale Bildungstheorie gerechtfertigt wurde (vgl. Reinfried 1992, 91 f.). Parallel dazu etablierte sich im Gegensatz zum holistischen Einsprachigkeitsprinzip bei den Philanthropen (vgl. Reinfried 1990) und den Grammaires des Dames1 eine konsequente Zweisprachigkeit. Das zeigte sich im zeitgenössischen Französischunterricht darin, dass hauptsächlich übersetzt wurde. Marcus Reinfried fasst dieses Spannungsfeld folgendermaßen zusammen: Das methodische Spektrum zwischen der kognitiven Durchdringung der Zielsprache und der ganzheitlichen Sprachpräsentation konstituierte sich nun in einer neuen Weise: Die synthetische Grammatik-Übersetzungs-Methode, die es bereits in vorangegangenen Jahrhunderten gegeben hatte, bildete nach wie vor (in verbesserter Form) den einen Eckpfeiler des Spektrums. Die sogenannte ,analytische Methode‘, eine streng wörtliche Übersetzungsmethode, bildete nun den neuen Eckpfeiler; sie steht in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Deutschland für den ganzheitlichen Pol beim schulischen Fremdsprachenlernen (vgl. Reinfried 2007, 263).

      Abb. 1:

      Antoine-Jean-Baptiste Simmonin (1806): La Grammaire en vaudevilles, ou lettres à Caroline sur la grammaire française. Paris: Barba An XIV, Frontispiz.

      Viëtors 1882 unter dem Pseudonym Quo usque tandem2 erschienene Streitschrift Der Sprachunterricht muß umkehren (Viëtor 1886) stellt einen Paradigmenwechsel dar, der als „début de la Querelle des Anciens et des Modernes en didactique des langues“ (Reinfried 1997, 184) für den modernen Fremdsprachenunterricht in die Geschichte eingegangen ist. Viëtors Pamphlet ist von Breymann als „Trompetenstoß der Reform“3 bezeichnet worden. Die Schrift „setzte Signale, wie sie in der Fremdsprachendidaktik seither wohl nie wieder von einer Publikation im Umfang eines Zeitschriftenaufsatzes gesetzt worden sind“ (Schröder 1984, 6); „30 Jahre vor Saussures Cours de linguistique générale rückt Quo usque tandem damit das Sprechen ins Zentrum des Interesses“ (ebd., 27). Moritz Trautmann konstatierte bereits 1878 in einem Aufsatz: „[...] die aussprache des englischen und französischen, welche bis jetzt in der grossen mehrzahl unserer schulen gehört wird, ist wahrhaft grauenvoll“ (Trautmann 1878, 598).

      Trautmann nahm die Parallele von Sprache und Musik auf und erklärt die Lautphysiologie der Vokale anhand von Noten:

      Die vokale sind eigentümlich gefärbte töne unserer Stimme. Die eigentümliche färbung wird dadurch erzeugt, dass wir bei hervorbringung der verschiedenen vokale unserer mund- und rachenhöhle verschiedene anordnungen geben. [...] Die verschiedenen mundstellungen dienen dazu, die mundhöhle auf verschiedene resonanzen abzustimmen. [...] Die resonanzen der mundhöhle haben den zweck, sich mit den tönen der stimme zu verbinden und auf diese weise vokale zu erzeugen. (ebd., 587 f.)

      Der Phonetiker, Dialektologe und Vater der experimentalen Phonetik Jean-Pierre Rousselot kreiert ebenfalls eine Analogie zwischen Sprache und Musik, zwischen maître de langue und maître de piano (vgl. Aubin 2008, 105): „Le maître lui [à l’élève, A. R.] met le doigt sur la touche qui correspond à la note demandée. Pourquoi le maître de langue ne ferait-il pas de même?“ (Galazzi 1993, 74).

      Zur Veranschaulichung der Lautbildung und zur Einübung der Laute entwickelten die Französischdidaktiker zahlreiche Erklärungsmodelle. So läßt der Didaktiker Max Walter, um

      den Unterschied stimmhaften und stimmlosen Lauten durch besondere Merkzeichen hervorzuheben, [...] die Schüler einen Finger an den Kehlkopf legen und sie dann die verschiedenen Laute wiederholen. Hierbei fanden sie selbst heraus, dass sie bei den ersten Lauten ein Erzittern des Kehlkopfs gemerkt hätten, bei letzteren nicht. (Walter 1887, 10)

      Max Walter (1931, 7 f.) erweitert diesen kontrastiven Vergleich, indem er die Schüler in einer Simulation selbst erkennen läßt, dass man stimmlose Laute nicht singen kann. Walter zitiert u. a. das Beispiel des stimmhaften alveolaren Frikativs [z] am Beispiel des Geräuschs einer großen Schmeißfliege und beschreibt die sich anschließende Artikulationsgymnastik im Französischunterricht. Der Reformer Herrmann Klinghardt setzt bei der Artikulationsgymnastik kleine Taschenspiegel ein, die er in seiner Klasse verteilt und so eine sofortige, bessere Kontrolle der Artikulation seiner Schüler ermöglicht.

      3.2 Systematische Lauteinführung und -einübung mit Hilfe von Liedern

      In der zeitgenössischen fachdidaktischen Literatur gab es eine Vielzahl methodischer Ansätze zu Ausspracheübungen, wobei besonders auf das musikalische Gehör verwiesen wird. Die Beispiele des Durakkords von Viëtor und Trautmann haben gezeigt, dass die Phonetiker der Musikalität der Sprache eine besondere Bedeutung zuschreiben und die neusprachliche Reformbewegung meiner Auffassung nach auch als „musikalische Reform“ bezeichnet werden kann:

      Beim Klassenunterricht kann man – die beste Befähigung des Lehrers vorausgesetzt – nur mit denjenigen Schülern etwas Vortreffliches in der Aussprache