Michaela Sambanis

Didaktik und Neurowissenschaften


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Wir haben dann tatsächlich ein paar schallabsorbierende Wände und Deckenverkleidungen bekommen.

      Claudia: Das sei euch von Herzen gegönnt, aber ich frage trotzdem mal nach: Dianne hat gerade gesagt, dass jüngere Kinder stärker beeinträchtigt werden. Hätten dann nicht zuerst wir an der Grundschule die schallschluckenden Wände bekommen müssen? Wie gesagt, ich denke nur mal quer und frage mich, ob die Investition nicht in einer Grundschule mindestens genauso gut platziert gewesen wäre.

      Peter: Ich finde es absolut legitim, diese Frage zu stellen. Was weiß man dazu?

      Dianne: Man weiß, dass Jugendliche erst ab ca. 14 Jahren in der Lage sind, Hintergrundgeräusche sowie Nachhall besser zu unterdrücken, um dadurch auch bei weniger günstigen Verhältnissen trotzdem recht gut zu verstehen.

      Gesa: Die zur Erbringung des Unterdrückens von StörreizenStörreize und des Herausfilterns und Verarbeitens von Sprachreizen erforderlichen auditiven, sprachlichen und kognitiven Fähigkeiten kommen erst im Laufe des Jugendalters zur Entfaltung.3 Die Kinder verbringen also die Zeit, in der Hintergrundgeräusche besonders abträglich sein können, sowohl in der Grundschule als auch in der weiterführenden Schule. Abgesehen davon, darf man nicht vergessen, dass Kinder mit ADHSAD(H)S, LRS, Sprachverarbeitungsstörungen, einer Sprachenbiografie, in der das Deutsche erst spät dazukam usw. auch in höheren Klassen noch durch eine ungünstige Raumakustik sehr beeinträchtigt werden können.

      Claudia, du hattest darauf hingewiesen, dass im Unterricht viel an der Sprache hängt, und Studien haben gezeigt, dass Hintergrundgeräusche dann besonders störend sind, wenn es darum geht, sprachliche Informationen im ArbeitsgedächtnisArbeitsgedächtnis zu halten.

      Dianne: Und das betrifft ganz viele Aufgabenstellungen in unterschiedlichen Fächern, z.B. alle, bei denen es um sinnentnehmendes Lesen geht, also z.B. auch Textaufgaben in der Mathematik oder Zahlenoperationen, die im Kopf versprachlicht werden. Natürlich betrifft es auch das Vokabellernen und das Einprägen von Fakten. Dann scheint RuheRuhe wichtig und z.B. Gruppenarbeit oder Hintergrundmusik eher schlecht platziert zu sein.4 Man sollte aber die Kinder auch nicht ständig um Ruhe bitten und keineswegs generell auf Gruppenarbeit usw. verzichten, sondern vielmehr abwägen, wann Ruhe nötig ist.

      Peter: Beispielsweise vor Inputphasen versuche ich, meine Schülerinnen und Schüler zur RuheRuhe kommen zu lassen. Wir haben uns im Kollegium auf einige StilleStille-Techniken verständigt, die wir jeweils für altersangemessen halten. Außerdem erkläre ich meinen Schülerinnen und Schülern im Bedarfsfall kurz, warum ein niedriger Lärmpegel für eine bestimmte Arbeitsphase wichtig, sinnvoll und letztlich in ihrem eigenen Interesse ist. Bei meinen Klassen stieg dadurch die Bereitschaft, Stille-Techniken anzunehmen und auf eine gemäßigte Sprechlautstärke bei der Gruppenarbeit zu achten.

      Dianne: In Unterrichtsbesuchen habe ich den Eindruck gewonnen, dass es in Inputphasen nicht schlecht ist, wenn z.B. eher zappelige Kinder nicht ausgerechnet zwischen der oder dem Vortragenden und der Klasse sitzen, sondern wenn sie eher außen platziert sind.

      Claudia: Da ist was dran. Bei meinen Grundschulkindern muss ich außerdem bedenken, dass manche das leise Sprechen, wie es z.B. in Partnerarbeit gebraucht wird, noch gar nicht in ihrem Repertoire haben. Manche können nicht einschätzen, wie laut sie sprechen, als hätten sie noch nie geflüstert.

      Im Übrigen kann das Einteilen des Klassenzimmers in ein paar Zonen hilfreich sein, z.B. eine, in der leise miteinander gesprochen werden darf und eine, in der die Kinder RuheRuhe suchen und allein dadurch, dass sie sich in die StilleStille-Zone begeben, schon anzeigen, dass sie Ruhe brauchen. Wir haben auch einige Lärmschutzkopfhörer für die Kinder angeschafft, die gerne genutzt werden.

      Peter: In einer Fortbildungsveranstaltung hat uns ein Referent einmal einen ziemlich simplen, aber aus meiner Sicht schönen Rat gegeben, wie es besser gelingen kann, von Anfang an etwas mehr RuheRuhe in die Klasse zu bringen: Die Lehrkraft solle, wenn sie die Klasse morgens oder nach der Hofpause ins Zimmer lässt, die Schülerinnen und Schüler nicht hineinstürmen lassen, sondern das Eintreten ins Klassenzimmer als einen kleinen Moment des Ankommens gestalten. Als Lehrkraft stehe ich bei der Türe und zeige, dass ich sie alle wahrnehme, spreche den einen oder anderen kurz an, keine langen Gespräche, sondern z.B. Mia, bist du wieder gesund? Das freut mich aber! Oder Na Ben, Englischbuch noch nicht vermisst? Liegt seit Freitag unter deinem Tisch.

      Ich dachte zuerst, dass das eher etwas für die Grundschule wäre, habe es aber ausprobiert und muss sagen: nicht übel. Schon das Reinkommen ins Zimmer ist viel weniger hektisch und deutlich ruhiger. Ich mache das nicht immer, aber in bestimmten Klassen, wie gesagt, in der ersten Stunde, nach der Hofpause und ganz besonders im Nachmittagsunterricht. Dabei achte ich darauf, nicht immer dieselben anzusprechen, sondern meine Aufmerksamkeit mal diesem, mal jenem zu schenken. Es ist, als würde ich dadurch Dampf rausnehmen, diejenigen, die um Aufmerksamkeit buhlen schon ein bisschen einfangen und denjenigen, die sich im Unterricht nicht gerne in den Fokus stellen, kann ich durch Blickkontakt, freundliches Zunicken oder einen kurzen Smalltalk Aufmerksamkeit schenken.

      Claudia: Morgens oder nach Zäsuren im Schulalltag kann ich mir das gut vorstellen. Aber was mache ich, wenn’s im Unterricht selbst zu laut wird? Eine Binsenweisheit in diesem Zusammenhang ist die, niemals LärmLärm mit Lärm bekämpfen zu wollen. Dadurch wird es nur noch lauter – es sei denn, es ist ein bemerkenswertes, kurzes Signal. Ich hatte im Referendariat einen Seminarleiter, der hat plötzlich eine alte Hupe aus seiner Schublade geholt und mit dem Tröten-Ton alle überrascht.

      Gesa: Das war ein akustischer Novitäten-Effekt, etwas Unerwartetes und in der Schulumgebung eigentlich Abwegiges. Darauf achten wir automatisch, aber wir gewöhnen uns auch daran, wenn es uns wiederholt begegnet.

      Dianne: In der Theaterpädagogik gibt es eine Technik, die ganz gut in Klassenzimmern, Seminarräumen oder Hörsälen klappt: Man fängt an zu klatschen und bittet einfach ein paar, sich zu beteiligen. Alle schauen in die Richtung, aus der plötzlich Applaus kommt und man kann alle einladen, sich zu beteiligen. Das ist eine schöne Technik, wenn man Gruppenarbeit beenden und zu einer anderen Phase überleiten möchte.

      Claudia: Und natürlich gibt es die Klassiker Handzeichen, z.B. der stille Fuchs, wo man mit ausgestrecktem Zeigefinger und kleinem Finger einen Tierkopf nachahmt, der als stummer Impuls für mehr RuheRuhe sorgen soll, das Runterzählen oder auch den Geduldsfaden, der an die Tafel gezeichnet, dann nach und nach ausgewischt und dadurch verkürzt wird, bis er weg ist. Dann muss es ruhig sein.

      Peter: Mit dem stillen Fuchs könnte ich meine Klassen nicht mehr zur RuheRuhe bringen, eher im Gegenteil.

      Claudia: Klar, aber meine Lieblings-StilleStille-Technik könnte zumindest deinen Fünft- und vielleicht auch den Sechstklässlern noch gefallen: Zu Beginn des Monats erklären wir ein beliebiges Wort zum Stille-WortStille-Wort des Monats und notieren es für alle sichtbar. Das Stille-Wort ist eine Art Codewort, das nicht nur die Lehrkraft verwenden darf, sondern auch die Kinder. Wann immer jemand auf die Wortkarte zeigt bzw. wann immer es ausgesprochen oder angeschrieben wird, empfindet es jemand als zu laut. Wie bei allem, muss man natürlich auch hier darauf hinwirken, dass es nicht inflationär gebraucht wird, sondern, wie ein Hilferuf, nur im Notfall.

      Wir wechseln ab zwischen englischen und deutschen Wörtern, z.B. hatten wir kürzlich Funkstille ausgesucht, davor war es Hängebauchschwein – hat nichts mit StilleStille zu tun, muss es auch nicht. Ist ja schließlich unser geheimer Code. Auf Englisch waren es schon lullaby und bumblebee. Es können auch Wörter aus den Familiensprachen der Kinder sein. Ich google dann kurz die anderssprachigen Vorschläge, um sicherzugehen, dass wir kein „schlimmes“ Wort verwenden.

      Peter: Hat Potenzial, gerade die Möglichkeit, auch Wörter aus anderen Sprachen zum StilleStille-WortStille-Wort des Monats zu erklären, gefällt mir. Das ist zugleich eine kleine Geste, um Herkunftssprachen zu würdigen. Auch der Überraschungseffekt, wenn das Stille-Wort einfach in den sonstigen Redefluss eingebaut wird, ist sicher