Michael Hoffmann

Stil und Text


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zu sehen, d.h. von Stilgestaltung zu sprechen, nachzulesen etwa bei Ulf Abraham: „Stil wahrnehmen und gestalten“ (1996: 293) oder Barbara Sandig: „GESTALTEN von Stil“ (2006: 51). Dem ist entgegenzusetzen: Stil wird nicht gestaltet, sondern hergestellt, und zwar innerhalb eines Gestaltungsrahmens, in dem sich das Gestaltungsobjekt befindet.

       2 . In der Literatur wird auch von Stil als einem GestaltungsmittelGestaltungsmittel gesprochen. Kann Stil Produkt und zugleich Mittel des Gestaltens sein?

      Es erscheint verwirrend, wenn zu lesen ist, dass Stil ein GestaltungsmittelGestaltungsmittel ist (vgl. Sandig 2006: 23). Kann Stil wirklich ein Gestaltungsprodukt und zugleich ein Gestaltungsmittel sein? Es ist doch wohl vielmehr so, dass bei der Herstellung von Stil Gestaltungsmittel zum Einsatz kommen, die in das Gestaltungsergebnis eingehen und eine textuelle Stilstruktur konstituieren. Weniger verwirrend ist das Ganze indes, wenn man sich verschiedene Bezugsgrößen des Gestaltens vor Augen führt. Gestalten hat nämlich einen Doppelaspekt; es ist einerseits auf die Ausformung von Textstrukturen beziehbar (siehe z.B. die GestaltungsprinzipienGestaltungsprinzip AbwechslungAbwechslung, DekoriertheitDekoriertheit/Dekorieren, KnappheitKnappheit, RhythmikRhythmik/Rhythmisieren), andererseits auf Gegebenheiten des kommunikativen Geschehens, d.h. auf Gegebenheiten, die über die Form des Textes hinausweisen. So kann man eben auch davon sprechen, dass mittels Stil die Beeinflussung des Rezipienten bzw. Adressaten gestaltet wird (siehe das Gestaltungsprinzip AnpreisungAnpreisung) oder die soziale Beziehung zwischen Textproduzent und Textrezipient (z.B. als förmlich oder familiär) oder die soziale Rolle, in der sich der Textproduzent präsentiert (z.B. als Amtsträger oder als Privatperson), oder global und übergreifend die Situation, in der sich das kommunikative Geschehen vollzieht (z.B. innerhalb von KommunikationsbereichenKommunikationsbereich wie Journalismus, Parlamentarismus und Gottesdienst). Man kann von Beziehungs-, Rollen- und Situationsgestaltung sprechen (Näheres in 2.5.2). Wie man an diesem Diskussionspunkt sieht, kann sich hinter einer problematisch erscheinenden Äußerung eine plausible stiltheoretische Überlegung verbergen – hier ist es die Überlegung, dass Stil ein „Mittel gesellschaftlich […] relevanter Differenzierungen von Kommunikation“ (Sandig 2006: 142) ist. Der Sprung von einer Sichtweise in eine andere muss jedoch expliziert werden. Die Darstellung von Barbara Sandig lässt dies vermissen.

       3 . Können Texte gestaltet werden, also sowohl Rahmen als auch Objekte des Gestaltens sein?

      Ja, natürlich!, könnte man vorschnell antworten. Doch der geläufige und unverfänglich erscheinende Ausdruck Textgestaltung ist so unproblematisch nicht, denn der Stil eines Textes ist ja Teil eines Textes und nicht etwas, was nachträglich hinzugefügt wird in der Art eines Gewands, das den Text einkleidet. Der Ausdruck Textgestaltung hat allerdings seine Berechtigung, sofern man sich im Klaren darüber ist, dass streng genommen nur einzelne Komponenten des Textes (TexthandlungTexthandlung, TextthemaTextthema, TextarchitekturTextarchitektur u.a.) gestaltet werden können (Näheres in 2.4.2), nicht aber das Textganze, zu dem der Stil gehört.

      2.3 Ganzheitlichkeit

      2.3.1 Zum Begriff StilgestaltStilgestalt

      In diesem Abschnitt wechseln wir die Perspektive auf Stil, und zwar insofern, als nicht die Grundlagen seiner Herausbildung, sondern die Grundlagen seiner Wahrnehmung und Interpretation im Mittelpunkt stehen. Es geht um stilistisch bedeutsame Ganzes-Teil-Beziehungen im Text und um einen weiteren feinen terminologischen Unterschied. Gemeint ist der Unterschied zwischen dem Gestalten einerseits und den Gestalten andererseits. Das Gestalten ist – wie wir inzwischen wissen – ein GestaltungsaktGestaltungsakt. Die Gestalten hingegen sind stilistisch gesehen Gestaltungsprodukte, sodass man sie auch genauer als StilgestaltenStilgestalt bezeichnen kann. Doch was leistet der Gestaltbegriff, der seine Wurzeln in der Gestaltpsychologie hat, für die Stilistik? Er macht es möglich, ja er zwingt dazu, Stil als eine gestaltete Ganzheit zu begreifen und zu erfassen, als ein Gefüge aus Teilen, die zusammengehören, zusammenpassen, zusammenwirken, kurz: die in einem irgendwie gearteten Gestaltungszusammenhang stehen.

      StilgestaltenStilgestalt können prägend sein für einen Text insgesamt oder für eine Textpassage oder für einen Teiltext. So kann man z.B. Werbeslogans daraufhin betrachten, was an ihnen stilistisch gestalthaft ist. Als Beispiel der Slogan Bitte ein Bit, den auch Barbara Sandig (2006: 83) untersucht hat. Im Unterschied zu ihrer Analyse setzt sich die Stilgestalt dieses Slogans nach unserer Auffassung aus drei Teilgestalten zusammen. Wir registrieren:

       die DoppelungDoppelung einer Silbe (bit);

       die symmetrische AnordnungAnordnen der beiden gleichen Silben am Anfang und am Ende des Slogans;

       die elliptische Formung und dadurch bewirkte Kürze des Satzes (nichtelliptisch könnte der Satz Ich möchte bitte ein Bit. lauten).

      Diese Analyse hilft uns dabei, Eigenschaften von StilgestaltenStilgestalt zu erkennen.

      1 StilgestaltenStilgestalt setzen sich aus Elementen (GestalteinheitenGestalteinheit) zusammen, z.B. aus Silben und Wörtern.

      2 Relationen zwischen den GestalteinheitenGestalteinheit bilden eine GestaltstrukturGestaltstruktur. Diese Struktur wird durch GestaltungsverfahrenGestaltungsverfahren hergestellt, z.B. durch das WiederholenWiederholen und AnordnenAnordnen von Silben oder durch das AuslassenAuslassen von Wörtern.

      3 GestaltstrukturenGestaltstruktur verbinden sich mit einer GestaltqualitätGestaltqualität, einem qualitativen Gestaltungszusammenhang, in den sich die GestalteinheitenGestalteinheit einfügen. Solche Qualitäten sind z.B. DoppelungDoppelung, SymmetrieSymmetrie und KürzeKürze.

      Alle aufgeführten Teilgestalten stehen in einem übergreifenden Gestaltungszusammenhang. Nimmt man Bezug auf Regularitäten der Werbekommunikation, erkennt man, dass sich alle Teilgestalten in den werbestrategisch bedeutsamen Gestaltungszusammenhang EinprägsamkeitEinprägsamkeit einfügen. Im Unterschied zu den formalen (textinternen) GestaltqualitätenGestaltqualität DoppelungDoppelung, SymmetrieSymmetrie und KürzeKürze ist Einprägsamkeit eine funktionale Gestaltqualität. Sie erfüllt eine kommunikative Funktion. StilgestaltenStilgestalt mit funktionaler Gestaltqualität werden generell von GestaltungsaktenGestaltungsakt hervorgebracht, und so können wir nun auch sagen, dass der Slogan nach dem Muster Einprägsam-Machen gestaltet wurde.

      Stellt man sich die Aufgabe, StilgestaltenStilgestalt als ganzheitliche Gebilde zu modellieren, gilt es, das Ganze und seine Teile wechselseitig aufeinander beziehbar zu machen. Wir nennen die beiden Grundkomponenten, aus denen Stilgestalten bestehen, GestaltstrukturGestaltstruktur und GestaltqualitätGestaltqualität (siehe Tab. 5).

GestaltstrukturGestaltstrukturGestaltqualitätGestaltqualität
Formal oder funktional bestimmtes Gefüge aus Elementen (Gestalteinheiten)GestalteinheitFormaler oder funktionalerGestaltungszusammenhang

      Tab. 5: Komponenten von StilgestaltenStilgestalt

      Es bleibt festzuhalten:

      1 StilgestaltenStilgestalt umfassen ein Gefüge aus Elementen, die in einem formalen oder funktionalen Gestaltungszusammenhang stehen. Die Kookkurrenz (das Zusammenvorkommen) von Einzelheiten allein reicht nicht aus, ergibt noch keine Gestalt. Die Kookkurrenz von Einzelheiten erlangt erst dann Gestalthaftigkeit, wenn deren Zusammenvorkommen als ein Zusammengehören oder Zusammenpassen wahrnehmbar gemacht worden ist.

      2 StilgestaltenStilgestalt werden sowohl von GestaltungsverfahrenGestaltungsverfahren als auch von GestaltungsaktenGestaltungsakt hervorgebracht.

      3 Die unlösbare Verbindung von GestaltstrukturGestaltstruktur und GestaltqualitätGestaltqualität macht StilgestaltenStilgestalt zu wahrnehmbaren und interpretierbaren Texteinheiten. Stilgestalten sind stilistische ZeichenStilzeichen (zum Zeichenbegriff siehe 2.9.1).

      2.3.2 StilgestaltenStilgestalt im Text

      Im Folgenden wollen wir StilgestaltenStilgestalt an konkreten